24. November 2024

Die Human-Animal-Studies Konferenz in Innsbruck

Was sind Critical-Animal-Studies (CAS) und was Human-Animal-Studies (HAS)? Ich habe jetzt jeweils Konferenzen unter diesen Rubriken besucht, siehe https://martinballuch.com/critical-animal-studies-konferenz-in-karlsruhe/ in Karlsruhe und zuletzt von 6.-8. Februar 2014 in Innsbruck, und meinem persönlichen Eindruck nach setzt CAS für seine mehrheitlich sozialwissenschaftliche Arbeit den Anti-Speziesismus voraus, während HAS eher das Mensch-Tier Verhältnis in seinem Ist-Zustand in der Gesellschaft objektiv beschreibt, und zwar historisch, philosophisch, auch sozialwissenschaftlich, sprachwissenschaftlich, theologisch, rechtswissenschaftlich und sogar naturwissenschaftlich. Bei der Konferenz in Karlsruhe gab es eine gefühlte ideologische Vorgabe, wie sie auch in den Einleitungsvorträgen formuliert wurde. Bei der Konferenz in Innsbruck definitiv nicht, wenn dort auch das gesamte Buffet rein vegan war. Mir ist ein HAS-Zugang irgendwie sympathischer, zumal er die Naturwissenschaft einschließt, die für mich sowieso die relevanteste Quelle für Wissen darstellt. Und Naturwissenschaft funktioniert definitiv nur ohne ideologische Vorgaben.

Die Konferenz in Innsbruck bezog eine Reihe von österreichischen WissenschaftlerInnen mit ein, die bisher zumindest nicht durch ihr Tierschutzinteresse aufgefallen wären. In deren Vorträgen ging es z.B. um das Verhältnis der MongolInnen zu ihren Pferden im Lauf der Geschichte, oder um den weltweiten Handel mit Wildtieren von der Antike bis heute, oder um die Bedeutung von Tierbezeichnungen im Sprachgebrauch von Deutsch, Italienisch und Französisch. Man könnte den Grundtenor von HAS so umschreiben: Die Gesellschaft ist keine single-species affair, sie ist nicht Sache einer einzelnen Tierart (des Menschen). Die Gesellschaft wird vielmehr ganz wesentlich durch Individuen verschiedener Tierarten bestimmt und daher kann eine Gesellschaftsanalyse nicht umfassend sein, wenn sie nicht auch andere Tiere als den Menschen mit einbezieht. Ein sehr schöner Gedanke. Deutlich wurde das z.B. bei einer Wissenschaftlerin, die in Spanien die Auswirkungen der Beziehung von Menschenkindern zu Haustieren untersucht hat und fand, dass Kinder emotionale Unterstützung zuerst bei ihren Hunden suchen, sogar noch bevor sie zu ihren Eltern gehen, dass sie bei Angst in der Nacht genauso oft zu ihren Hunden wie zu ihren Eltern flüchten, und dass ihre Hunde als SpielpartnerInnen für sie wichtiger sind als ihre MenschenfreundInnen. Auch in Spanien gelten Haustiere für Kinder als voll integrierte Familienmitglieder.

Ein Spannungsfeld zum Tierschutz ergab sich auch, als z.B. eine Anthropologin von Erlebnissen mit UreinwohnerInnen der Philippinen berichtete. Dort wurden Pferdekämpfe veranstaltet, bei denen eine Stute angefesselt wird und zwei Hengste an sie heran geführt werden. Anschließend lässt man beide Hengste gleichzeitig zur Pferdefrau und die beiden bekämpfen sich dann bis aufs Blut, wie man auf einem Film sehen konnte. Die Anthropologin empfand zwar Mitleid mit den Pferden, fühlte sich aber als objektive, außenstehende Beobachterin außerstande, für die Pferde einzugreifen, geschweige denn die UreinwohnerInnen für die Veranstaltung dieses Spektakels zu kritisieren. Irgendwie sah sie es als Kulturimperialismus, den Tierschutzgedanken aus Europa den UreinwohnerInnen der Philippinen aufzuzwingen. Sie schloss, dass AnthropologInnen heute mit dem Postulat des Anti-Speziesismus genauso viele Probleme haben, wie vor 50 Jahren mit der universellen Deklaration der Menschenrechte und dem entsprechenden Postulat des Anti-Rassismus, der so mancher Lebenspraxis von UreinwohnerInnen widersprach.

Ein Politikwissenschaftler stellte eine mir neue These für Tierschutzaktivismus auf. Im Tierschutz haben wir ja das Problem, dass wir uns für Wesen einsetzen, die selbst nicht für ihre Rechte kämpfen können. Dadurch ergibt sich das in der Psychologie bekannte Problem der permanenten Opferrolle nichtmenschlicher Tiere, die man dadurch unbewusst abwertet oder ihnen sogar durch ihre vermeintliche Schwäche eine gewisse Mitschuld an ihrem Schicksal gibt. Der Vortragende schlug nun vor, Fälle, in denen einzelne Tiere den Aufstand wagten, wie z.B. ein Zirkuselefant, der ausbrach und seine WärterInnen tötete, publik zu machen und dabei die betroffenen Tiere sozusagen selbst für ihre Befreiung sprechen zu lassen. In Österreich gibt es regelmäßig Ausbrüche von Stieren oder Kühen aus Schlachthöfen, die zuweilen sogar wochenlang ihren VerfolgerInnen entkommen. Als TierschutzaktivistInnen sollten wir diese Chance nutzen und derartige Situationen breit an die Öffentlichkeit bringen oder sogar vor Ort die AusbrecherInnen unterstützen. Eine spannende Idee.

Am meisten interessiert war ich naturgemäß an den naturwissenschaftlichen Vorträgen. Zwar kam niemand der OrganisatorInnen der Konferenz aus diesem Fachgebiet, doch dennoch unternahm man eine gewisse Anstrengung, der Naturwissenschaft ihren Platz einzuräumen und so war der Hauptvortrag von Kurt Kotrschal dem Thema „Überbewertete Artgrenzen: Warum Menschen mit anderen Tieren soziale Beziehungen eingehen können“ gewidmet. Die Antwort des Vortragenden: weil sie genau dieselbe „soziale Werkzeugkiste“ zur Verfügung haben. In sozialer Hinsicht seien sich die sozialen Tiere inklusive der Menschen eben sehr ähnlich. In einem anderen Vortrag sprach ein Biologe davon, wie wenig der Mensch im Rahmen der Evolutionsbiologie als etwas Besonderes gesehen werden kann. Und im letzten Vortrag der Konferenz überhaupt ging es um eine Dissertation, in deren Rahmen die Frage behandelt wird, ob sich religiöse Gefühle auch bei nichtmenschlichen Tieren finden. Der Wissenschaftler meinte dazu ja und verwies vor allem auf das Trauerverhalten bei Elefanten, das in seinen Augen deutlich beweise, dass diese Tiere eine Vorstellung vom Tod haben müssen.

Ob eine rein naturwissenschaftliche „HAS“-Konferenz nicht ein interessantes Projekt sein könnte? Es würden mir eine Reihe von Spezialgebieten einfallen, die hierfür in Frage kämen: Neurobiologie, Ethologie, Anthropologie, Biologie, Veterinärmedizin, Artificial Intelligence, Alternativen zu Tierversuchen, Erzeugung von Tierzellen im Labor, Nutztierwissenschaften, Evolutionsbiologie, Astrobiologie, Ernährungswissenschaften, Medizin, Psychiatrie und vielleicht auch Psychologie usw.

HAS-Konferenzen handeln nur sehr peripher von Tierschutzaktivismus, ja oft nicht einmal von Tierschutzanliegen. Aber dafür haben wir unsere Tierrechtskongresse, wie z.B. den nächsten in Wien von 9.-12. Oktober 2014. Sicher ist es wichtig, sich direkt für Tiere in Not oder auch gesellschaftspolitisch für ihre gesetzliche Besserstellung zu engagieren, schließlich widme ich dem mein Leben. Doch ich halte die akademische Einbeziehung nichtmenschlicher Tiere in allen Forschungsbereichen, sie zu berücksichtigen und damit (ein bisschen) zu respektieren, statt sie zu vernachlässigen und zu ignorieren, für eine wirklich revolutionäre Entwicklung, in die ich große Hoffnungen setze. Genau deswegen habe ich ab 2000 Philosophie studiert und eine Doktorarbeit an der Uni Wien über Tierrechte geschrieben. Von den Unis geht ein großer Einfluss auf die Gesellschaft aus. Vielleicht können wir so auch „von oben“ ein Umdenken einleiten, das letztlich mit unserer Tierschutzarbeit „von unten“ zusammenwirken könnte, um eine grundlegende Änderung zu bewirken.

Ein Gedanke zu “Die Human-Animal-Studies Konferenz in Innsbruck

  1. “Und Naturwissenschaft funktioniert definitiv nur ohne ideologische Vorgaben.”

    Ha ha ha! Herr Ballluch, haben sie schonmal was von Wissenschaftskritik gehört? Mit demselben Argument, wie sie es nutzen (die wissenschaftliche Objektivität) werden sehr häufig tierversuche gerechtfertigt…

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