Am 24. Februar 2010 schrieb ich einen offenen Brief an die Richterin im ersten Durchgang des Tierschutzprozesses, wenige Tage vor Beginn der Verhandlung, siehe https://martinballuch.com/offener-brief-an-die-richterin-in-der-tierschutzcausa/. Darin steht: Wenn sich Polizei und Staatsanwaltschaft in ihren Ermittlungen in eine Sackgasse verrennen, wenn sie in ihrem fanatischen Eifer, Unschuldigen etwas anhängen zu wollen, den Boden der Realität unter den Füssen verlieren, dann hat das Rechtssystem eine Notbremse eingebaut. Geehrte Frau Richterin, diese Notbremse sind Sie. […] Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu, Frau Richterin, und ich kann mir kaum vorstellen, dass Ihnen das entgangen ist. Ich bitte Sie daher die Demokratie und den Rechtsstaat zu bewahren, der Justiz in Österreich diese internationale Blamage zu ersparen und meinen KollegInnen keinen sinnlosen Prozess zuzumuten, der ein Jahr lang dauern wird. Bereiten Sie bitte dieser Justizfarce ein Ende!
Prophetische Worte! Mehr als 4 Jahren hat es noch gedauert, bis diese Notbremse endlich gezogen wurde. Nach 14 Monaten Prozess, Freispruch, Berufung, schrecklichem OLG-Urteil und einem weiteren Jahr des Wartens kam es heute zum ersten von 4 Prozesstagen. Und was für ein Unterschied zum Prozess im ersten Durchgang!
Staatsanwalt Johannes Windisch, der den Fall von dem berüchtigten Staatsanwalt Wolfgang Handler übernommen hatte, war praktisch nicht vorhanden im Gerichtssaal. Am Anfang las er nur die beiden Anklagepunkte vor, stellte keine einzige Frage, war mit allen Verlesungen im Lauf des Verfahrens einverstanden und erklärte als „Schlussplädoyer“, dass er beantrage im Sinne der Anklage zu entscheiden. Er wollte diese Anklage also gar nicht durchführen, er verteidigte sie mit keinem Wort, offenbar fühlte er sich durch das Ministerium lediglich zu seiner Rolle genötigt.
Aber noch deutlicher trat der Richter Erich Csarmann auf. Er erörterte mit dem Angeklagten zusammen das Ausmaß an Tierquälerei, Verletzungen und Todesfällen in der Schweinefabrik, aus der die Tiere befreit worden sein sollen. Ganz im Gegensatz zur Erstrichterin Arleth hatte er keine Angst vor politischen Statements des Angeklagten oder vor einer Nutzung des Prozesses als „Tierschutzpropaganda“. Zuletzt hielt er dann auf Basis dieser Faktenzusammenstellung fest, dass in dieser Tierfabrik die Tiere wesentlich mehr gequält werden, als sie je durch eine Befreiung dieser Art leiden hätten können. Bemerkenswerter Weise gab sogar der Privatbeteiligtenvertreter, also der Anwalt des Schweinefabriksbesitzers, offen zu, dass niemand bezweifle, dass die Schweine in einer Tierfabrik leiden. Und das beendete das Verfahren, weil mangels Tierquälerei, Verletzungen und getöteten Tieren durch die Befreiung es auch keinen Sachschaden gab, daher weder Tierquälerei noch Sachbeschädigung vorlag. Da war es dann schon egal, wenn der Richter feststellte, dass der Angeklagte die Befreiung durchgeführt hat. Freispruch, weil die Befreiung keine Straftat war. Sie ist bestenfalls eine Zivilrechtsfrage, weshalb der Privatbeteiligtenvertreter auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde.
Am Beeindruckendsten war aber der Umstand, dass der Richter alle ZeugInnen der Anklage wieder nach Hause schickte und nur ihre Aussagen sehr kurz zusammenfasste. Dazu gab er an, dass die Erstrichterin in ihrer Befragung schon alle wichtigen Punkte abgearbeitet habe. Ebenso verfuhr er mit den Gutachten, wobei er offenbar zwei weitere Gutachter bestellt hatte. Man fragt sich, warum das OLG-Wien das Verfahren wieder an die erste Instanz verwiesen hat, wenn im Wiederholungsprozess nur die Aussagen der ersten Instanz erneut zusammengefasst und erneut ein Freispruch gefällt wird. Aber die Justiz geht eben verschlungene Pfade.
Dieser Richter hat also die Notbremse gezogen. Er hat das Verfahren stark gekürzt und auf weniger als 2 Stunden reduziert, und von den Verfahren der anderen Angeklagten abgetrennt. Er hat sofort erkannt, dass die toten Schweine schon vor der Befreiung tot gewesen sein müssen, und dass diese Haltungsbedingungen mehr Verletzungen verursachen, als eine Befreiung je könnte. Deshalb mussten auch keine langen Einvernahmen der ZeugInnen der Anklage stattfinden und man konnte die Gutachten auf das Wesentliche reduzieren. Wie viele Prozesstage haben wir uns damit bei der Erstrichterin aufgehalten, und wie überlegen hat der nunmehrige Richter die Sache abgeschmettert! Und dazu hat er bemerkt, dass die Ermittlungsintensität für diesen Fall schon sehr seltsam gewesen sei.
So hätte gleich mit dem Verfahren umgegangen werden sollen. Das wäre die Aufgabe der unabhängigen Justiz in Österreich gewesen. Das war ein offensichtlich politisch motivierter Prozess. Die RichterInnen bei den Haftverhandlungen und im Erstverfahren hätten eingreifen und die Sache beenden müssen, bevor so ein immenser Schaden entstehen konnte. Doch mit diesem Schlusspunkt hat die Justiz nun einiges wieder zurecht gerückt. Wir können mit einiger Zuversicht die nächsten 3 Prozesstage auf uns zukommen lassen.
Es residiert dort aber immer noch der alte Sektionschef! Warten wir ab, erst heute geht die Berufungsfrist der StA zu Ende. Dann werden wir wissen, welche Anweisung StA Windisch aus Wien erhalten hat.
Vielleicht liegt es auch am neuen Justizminister? Der macht jedenfalls ein seriöseren Eindruck als seine Vorgängerin.