Mit der sogenannten „underground railroad“ wurden schwarze SklavInnen der Südstaaten der USA im 19. Jahrhundert in die Freiheit des Nordens geschleust. Eine illegale Operation, und doch wird sich niemand darüber empören. Fühlenden Lebewesen zu helfen, die leiden – und sei dieses Leid noch so gesetzlich gedeckt – ist eine positive, zuweilen auch mutige Haltung. Und das betrifft Tiere genauso wie Menschen. Wer empfindet die Befreiung von Tieren aus der Massentierhaltung als unmoralisch? RichterInnen jedenfalls nicht, mit dem Freispruch im Tierschutzprozess gestern haben wir dazu nun ein weiteres Beispiel.
Im März 2003 befreite ich im Beisein einer Journalistin 7 Hühner aus einer Legebatterie in NÖ und brachte die Tiere zur veterinärmedizinischen Notaufnahme in Wien. Nachdem ich mich öffentlich dazu bekannt hatte, rief mich die Staatsanwältin an und schlug vor, ich möge dem Besitzer der Batterie € 15 zahlen und die Sache wäre vergessen. Ich weigerte mich. In erster Instanz verurteilte mich das zuständige Bezirksgericht tatsächlich wegen „Dauernder Sachentziehung im Wert von € 15“ zu einer bedingten Geldstrafe. Bei der Berufung zum Landesgericht St. Pölten kam es aber zum Freispruch. Der dreiköpfige Richtersenat meinte, ich hätte im Namen der Gesellschaft gehandelt und meine Tat sei nicht strafwürdig. Mit Berufung auf § 42 Strafgesetzbuch – mangelnde Strafwürdigkeit – wurde das Urteil begründet. Ein Aufschrei in der Tierfabriksindustrie war die Folge. Einer der Richter rief mich sogar verzweifelt an, ich solle dazu keine Öffentlichkeitsarbeit mehr machen und den Freispruch als Sieg feiern, weil er so unter Druck gesetzt würde. Danach entfernte man tatsächlich rasch diesen Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch. Wenn die Tierindustrie Gesetzesänderungen will, dann geht das ganz plötzlich. Im Kielwasser dieses Freispruchs befreite ich noch mehrmals Legebatteriehühner im Rahmen unserer Kampagne vor laufenden Fernsehkameras und wurde nie angeklagt, ebenso bei einigen Schweinebefreiungen.
In der Tierschutzcausa einige Jahre später waren Tierbefreiungen plötzlich wieder Thema. Die angebliche kriminelle Organisation hätte etwas von der „underground railroad“ des 19. Jahrhunderts und würde ständig Tiere in die Freiheit schleusen. Eine Aktivistin war verdächtig, weil sie ein schwer krankes Ferkel aus einer Schweinefabrik bei sich aufgenommen hatte. Und die Befreiung der Nerze aus Österreichs letzter Pelztierfarm, deren Nachkommen heute das Waldviertel bewohnen, wurde auch mir vorgehalten. Der damalige Kampagnenleiter der Vier Pfoten, Jürgen Faulmann, soll 400 Schweine aus einer Tierfabrik auf eine Wiese gelassen haben. Dieses „schwere Verbrechen“ brachte ihm eine Anklage wegen Tierquälerei (!) und Sachbeschädigung ein. Nach seinem Freispruch im ersten Rechtsgang wurde das gestern erneut am LG Wr. Neustadt verhandelt, siehe https://martinballuch.com/tierschutzprozess-2-0-erster-verhandlungstag-erster-freispruch/.
Das Urteil: Freispruch. Allerdings nicht, weil Faulmann die Tat nicht begangen hat, sondern weil das Befreien von Schweinen aus den erbärmlichen Bedingungen einer Schweinefabrik keine Sachbeschädigung und definitiv keine Tierquälerei ist. Der Fabriksbetreiber wurde auf den Zivilrechtsweg verwiesen. D.h. es handelt sich um keine Straftat, aber ob die Befreiung zivilrechtliche Konsequenzen haben kann, müsste erst ein entsprechendes Verfahren zeigen. Der Tierschutzprozess ist also ein weiteres Beispiel dafür, dass Tierbefreiungen keine Straftat sind, oder zumindest sein müssen. In Österreich wurde bisher noch niemand wegen einer der zahlreichen Tierbefreiungen hierzulande verurteilt, obwohl viele davon vor den Augen der Öffentlichkeit im Beisein von Medien durchgeführt worden waren.
Eine Bemerkung am Rande. In der Tierschutzcausa stand der „radikale“ VGT zentral im Fokus. Man versuchte uns von den „anständigen“ und „braven“ Tierschutzorganisationen abzuspalten und zu isolieren. Während ich als VGT-Obmann in U-Haft saß, erhielten die Vier Pfoten eine Ehrung durch die Republik. Die SOKO erklärte der Leitung der Vier Pfoten im vertraulichen Gespräch, dass es nur gegen den VGT gehe und sie nichts zu befürchten hätten. Anrechnen muss man den Vier Pfoten, dass sie damals nicht die Solidarität brachen und sich nicht von uns distanzierten, auch wenn sie sich kaum zur Tierschutzcausa öffentlich äußerten. Und nun hat ein Richter festgestellt, dass der damalige Kampagnenleiter der Vier Pfoten, also der Vierthöchste in deren Hierarchie, eine Schweinebefreiung durchgeführt hatte, während nichts dergleichen für die VGT-Aktiven gilt. Eine irgendwie lustige Wendung dieses irrwitzigen Verfahrens.