Wir haben das ganze Jahr 2012 investiert, um endlich einen Fortschritt bei Tierversuchen zu erzielen. Während repräsentative Umfragen jeweils eine 2/3 Mehrheit für absolute Verbote von Tierversuchen an Hunden, Katzen und Primaten fordern, sowie 78% eine Veröffentlichungspflicht, 85% ein Verbot von Tierversuchen mit geringem Nutzen und 91% ein strenges Tierversuchsgesetz wollen, stemmt sich die Tierversuchsindustrie seit jeher gegen jede Änderung. Das alte Tierversuchsgesetz von 1988 erlaubte Tierversuche nur dahingehend einzuschränken, dass die wissenschaftliche Methodik optimiert werden musste. Aber der größte Unsinn mit dem geringsten Nutzen durfte mit grausamen Tierversuchen erforscht werden, dagegen gab es keine Handhabe.
Letztlich konnten wir die gesetzliche Vorschreibung eines Kriterienkatalogs durchsetzen, der eine objektive Schaden/Nutzen Analyse durchführt und dann ein Ergebnis liefert, ob der angestrebte Zweck den entstehenden Schaden an den Tieren im Sinne des öffentlichen Interesses an Tierschutz aufwiegt. Sofort meldete sich 2012 bereits die Tierversuchsindustrie dagegen zu Wort. Das sogenannten 3R-Prinzip, das Aushängeschild schlechthin der Tierversuchsseite, fordert, dass Tierversuche für einen gegebenen Zweck bzw. Nutzen möglichst wenig Tierleid verursachen sollen. Es stellt aber den angepeilten Zweck an sich nicht in Frage, ja, jeder Tierversuch darf durchgeführt werden, wenn er nur „3-R-optimiert“ ist. Eine Forderung, die darüber hinausginge, sei verfassungswidrig, weil sie die Freiheit der Wissenschaft einschränke.
Doch genau das muss der Kriterienkatalog leisten. Er soll Zwecke ausschließen können, wenn deren Erreichung zu viel Tierleid erfordert. Er soll Methoden unmöglich machen, wenn sie nicht für sehr nützliche Zwecke eingesetzt werden. Und ein nützlicher Zweck ist einer, der den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen anvisiert. Ein Zweck mit geringem Nutzen wäre z.B. einer, der nur auf die Befriedigung von Neugier und die Erweiterung des menschlichen Wissens abzielt, die sogenannte Grundlagenforschung.
Tierversuche, die lediglich dem Erkenntnisgewinn dienen, ohne medizinische Anwendung für Menschen, entsprechen Kunstprojekten, die Tiere nutzen. Beide haben einen Wert als Kulturgut, aber nicht darüber hinaus zum Schutz von Menschen. Beide sind durch Grundfreiheiten geschützt, die Freiheit der Wissenschaft und die Freiheit der Kunst. Diese Freiheiten schützen WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen zwar davor, dass ihnen ein gewisses Thema vollständig untersagt wird, also z.B. Forschung in der Gentechnik oder regierungskritische Kunstprojekte. Aber diese Freiheiten bedeuten nicht, dass die gewählte Methode nicht durch ein öffentliches Interesse, wie den Tierschutz, eingeschränkt werden kann. Bei der Kunst funktioniert das in letzter Zeit meinem Eindruck nach ganz gut, die Orgien-Mysterien-Theater von Hermann Nitsch, bei denen lebende Tiere als Kunstaktion getötet wurden, sind Geschichte. Aber die Grundlagenforschung ist von jeglichem ethischen Tierschutzargument bisher noch völlig unberührt. Das muss jetzt der Kriterienkatalog ändern.
Anfang Juli 2015 wird das Wissenschaftsministerium den neuen Kriterienkatalog im Rahmen einer Verordnung in Begutachtung schicken. Erst dann werden wir wissen, was konkret darin steht, und ob sich der politische Druck und die Lobbyarbeit der Tierversuchsindustrie, wie sie im Vorfeld bereits angekündigt worden waren, durchgesetzt haben. Wie immer bei solchen Fragen ist mit dem Schlimmsten zu rechnen. Schließlich stehen hier die handfesten Profitinteressen mächtiger Industrien gegen den altruistischen Idealismus aller Menschen mit Herz. Letztere sind zweifellos die Mehrheit – was in einer Demokratie eigentlich reichen sollte –, Erstere haben aber großen politischen Einfluss und ein viel größeres Eigeninteresse.
Wir müssen also wachsam sein. Vielleicht wäre ein kritisches Email an Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner angebracht, um ihn an seine Pflicht zu erinnern, das öffentliche Interesse Tierschutz beim Kriterienkatalog nicht zu vergessen:
reinhold.mitterlehner@bmwfw.gv.at
ich erwarte mir nicht allzu viel von dem kriterienkatalog, da das messerli institut selber tierversuche durchführt, wenn auch keine invasiven, aber unter anderem stark freiheitsbeschränkende grundlagenforschung, auf die sie mit der derzeitigen aufstellung der projekte und des teams nicht verzichten können.