28. April 2024

Aktueller Bericht Nachtdienst in der Intensivstation und Covid19

Der folgende, erschütternde Bericht entstammt einer Serie von Twitter Nachrichten von Oberarzt Dr. Wolfgang Hagen, Facharzt für innere Medizin an der Klinik Hietzing in 1130 Wien, vom 22. März 2021, siehe https://twitter.com/docjosiahboone/status/1373972818115895304

Das ist die Situation der #COVID19 Intensivbetten in #Wien. Wir haben mit 165 belegten Betten den Höchststand von 162 vom 21.11.2020 übertroffen. Alleine in den letzten 2 Tagen kamen 27 ICU-Patienten dazu. Netto, wohlgemerkt. D.h. übers Wochenende wurde >27 neue ICUs gefüllt.
In dieser Situation hatte ich von gestern früh bis heute früh einen OA-Dienst. Er wird mich noch länger beschäftigen.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Informieren und Schockieren. Deshalb habe ich lange überlegt, ob und wie ich darüber schreiben soll.
Ich tu es jetzt einfach.

Es begann damit, dass mir schon bei Dienstantritt mitgeteilt wurde, dass es in ganz Wien nur mehr ein einziges reguläres COV+ Intensivbett gebe + einzelne Notbetten ohne Personal dafür. Eines davon auf unserer an sich vollbelegten ICU.

Was also tun mit dem 70jährigen Diabetiker, der sich seit der Aufnahme vor ein paar Tagen progredient verschlechtert hatte und auf unserer Normalstation trotz auf Maximum eingestellter HFNC (siehe Werbefoto) nur mehr auf 85% sättigte?

Also nicht-invasive Maskenbeatmung (siehe Werbefoto), geht aber nur auf Überwachung oder ICU.
Der Patient: Komplett selbständig alleine lebend, aber 70 und Vorerkrankungen. D.h. schlechter Verlauf recht wahrscheinlich. Soll ich das Notfallbett opfern und dann “zu” sein?

Entscheidung:
Nein, denn sonst habe ich keine Möglichkeit mehr, eine jüngere, nicht vorerkrankte Person auf der ICU zu versorgen.
Pulmo-Überwachung gibt ihr letztes freies Bett her, Transferierung dorthin.

Davor Gespräch mit Pat. der sich vor dem Ersticken fürchtet, Beruhigung, “wir tun alles für Sie”, was gelogen ist. Ich habe ihm die ICU verwehrt.
Telefonat mit der weinenden Tochter. Versteht nicht, warum der Papa jetzt so schlecht ist wegen “Grippe”. Obige Lüge auch für sie.

Zwischenzeitlich Visite, Gespräche, normale Aufnahmen, Routine.
Abends Anfrage von der Notfall. Patienten in den Schockraum bekommen, hochgradiger Vd. auf COVID. Wurde vom Ärztefunkdienst mit 50% Sättigung bei Raumluft angetroffen, bereits seit 2Wo zunehmende Symptome.

Das Rettungsprotokoll lässt die zunehmende Verzweiflung der Sanis und die Bettensituation in Wien erahnen.
“Leitstelle wird versucht bezüglich Überwachungsbett zu erreiche, RTW (Anm: Rettungswagen) wird mehrmals abgewimmelt, da alle bettenplätze belegt …

Nachdem sich die Bettengestaltung daher massiv verzögern wird, wird NEF (Anm: Notarzteinsatzfahrzeug) nachbeordert. … LST wird durch NEF Lenker nochmals telefonisch bezüglich Überwachungsbett kontaktiert. … Patient wird in der langen Wartezeit für Zielspital weiter…”

Jetzt ist der 67jährige ohne bekannte Vorerkrankungen also auf unserer Notfall, mit HFNC am Anschlag, alle NIV-Betten belegt, alle unsere ICU-Betten belegt außer das einzige Notfallbett fürs ganze Spital.
->Trotz HFNC am Anschlag Aufnahme auf unsere Normalstation.

Hoffen darf man. Dass sich aber angesichts so einer Lunge durch ein bisschen Cortison keine rasche Verbesserung erreichen lässt, überrascht nicht.
Über Nacht weitere langsame Verschlechterung. In der Früh Entscheidung, das Notfallbett zu “opfern”. Verlegung auf die ICU.

Fast gleichzeitig Anfrage der Pulmo, 57jähriger Mann mit Vorerkrankungen, noch an HFNC, rasche Verschlechterung, deren eigene Überwachungsstation brettlvoll.
Sorry, Pulmo, müssts in einem anderen Spital suchen.

Das ist der Bericht aus einem einzigen Spital. An einem Tag, als in Wien netto 13 zusätzliche COV+ ICU-Betten belegt wurden. Nur eines davon bei uns. Ich will mir gar nicht ausmalen, was in einigen anderen Spitälern los war.

Kann sein, dass mein Arbeitgeber unglücklich über meine Schilderung ist (wäre unnötig, denn der Gesundheitsverbund macht in dieser Krise einen großartigen Job, an ihm liegt es nicht). Kann sein, dass mir wer Preisgabe von Pat.details vorwirft.

Aber man kann nicht ruhig zusehen, wie wir nur mehr einen kleinen Schritt von London Dezember 2020 entfernt sind. Während über “kluge Öffnungen” gesprochen wird und jeden 2.Samstag Coronaleugner durch Wien ziehen, bricht die Intensivversorgung gerade zusammen.

Wer will kann mir jetzt #Panikmache vorwerfen. Geschenkt.
Wer aber wieder mit irgendwelchen Grafiken kommt, laut denen nur 30% oder 40% der Intensivbetten belegt wären, wird kommentarlos geblockt.
Schluss jetzt.

Nach diesem Bericht hat die Triage in Wien also bereits begonnen. Mich verwirrt allerdings der Umstand, dass die ARGES sagt, es seien in ganz Österreich nur 40-50 % der Betten an Intensivstationen belegt. Dazu hat Alex Brosch, siehe seinen Blog https://woswasi.at/2021/03/21/die-auslastung-der-intensivstationen/, einen Artikel verfasst. Ich persönlich kann nicht beurteilen, ob dessen Inhalt stimmt. Ich gebe lediglich diese Information weiter:

In Medienberichten liest man, dass die Intensivstationen in Wien bereits voll sind, gleichzeitig zeigt das ages dashboard eine Auslastung für Wien von 50%. Wie passt das zusammen?

Grundsätzlich sind auf Intensivstationen immer ca. 90% der Betten belegt. Sie werden einerseits für akute medizinische Notfälle (Herzinfarkt, Unfälle, etc.) benötigt, andererseits für die Nachversorgung von Patient:innen nach einer Operation.
Da es in Österreich 2.000 Betten gibt, sind also normalerweise ca. 200 frei. Da im Moment 400 Personen alleine mit Covid-19 auf Intensivstationen liegen, ist das schon mehr als die Spitäler eigentlich hergeben.

Wie ist es dann möglich, dass 400 Personen auf Intensiv liegen, es eigentlich nur 200 freie Betten gibt, aber gleichzeitig das ages dashboard 483 zusätzlich verfügbare Intensivbetten anzeigt?

Da man den Menschen nur schwer weniger Herzinfarkte oder schwere Autounfälle verordnen kann, bekommt man Betten nur frei, indem man Operationen verschiebt (für deren Nachbetreuung man ja die Betten brauchen würde). Die im dashboard ausgewiesenen 883 Betten beinhalten also schon diese freien Betten, die es eigentlich überhaupt nicht gibt.

Das heißt, wir sind momentan schon in einer Situation, in der eine optimale Gesundheitsversorgung, wie in normalen Zeiten, nicht mehr gegeben ist (weil ja OPs verschoben werden müssen). Ob die Spitäler also jetzt schon überlastet sind, oder erst wenn die 883 voll sind und wirklich Patient:innen aussortiert werden müssen (wer wird aufgenommen und wen lässt man einfach sterben – das wäre dann harte Triage), ja das ist dann vielleicht Ansichtssache. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es durch die derzeit 400 von Covid Patient:innen belegten Betten bereits gesundheitliche Kolateralschäden gibt (durch verschobene OPs), und dass hinter dieser Auslastung ja auch Menschen stehen: Einerseits das Personal in den Spitälern, das nicht mehr optimal arbeiten kann, andererseits die Patient:innen. Es sind auch viele junge Gesunde darunter.

Quellen:

https://www.sn.at/panorama/oesterreich/covid-19-intensivmediziner-markstaller-spricht-vom-aufbau-einer-dritten-welle-100777243

https://www.heute.at/s/alles-voll-wien-hat-keine-intensivbetten-mehr-100133415

https://covid19-dashboard.ages.at/dashboard_Hosp.html

2 Gedanken zu “Aktueller Bericht Nachtdienst in der Intensivstation und Covid19

  1. Danke fürs verlinken! Die Zahlen können Sie im verlinkten SN-Artikel nachprüfen! Nachdem die Angaben direkt vom ÖGARI-Präsidenten Markstaller kommen, sollten Sie stimmen. Und es deckt sich auch mit mehreren Aussagen verschiedener Intensivärzte und -Pfleger. Ich finde das ages dashboard sehr irreführend, deshalb hab ich auch diesen Artikel verfasst.

    LG Alex Brosch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert