Der Forstarbeiter hatte uns noch mit Händen und Füssen erklärt, dass die Bisons da drüben wären, „sus, sus!“, ganz oben. Wir machen uns auf den Weg. Schon nach wenigen Schritten knackt es laut im Unterholz. Ein Bison? Bei einer Sichtweite von 3 m sind wir lieber vorsichtig. Kuksi, mein kleiner Leibwächter, immer dicht dabei, bleibt jetzt hinter mir zurück. Also ziehen wir hinauf in den offenen, alten Wald. Schließlich erreichen wir einen kleinen Gipfel auf 1030 m Höhe. Hier breiten sich Wiesen aus, der ideale Lebensraum für die Bisons. Bald finden wir Kothaufen. Der erste ist ein paar Tage alt, der letzte schließlich ganz frisch. Und Fußspuren von Bisons sind hier auch jede Menge zu sehen. Doch keine Tiere.
Es wird Abend und wir packen das Zelt aus. Da, wie Gespenster lösen sich dunkle Schatten aus den Bäumen und gehen den Berg herunter auf uns zu. Bisons! Sie kommen! Ich packe meine Kamera aus und schleiche mich an. Aufgrund der Lichtverhältnisse sind die ersten Fotos noch sehr schlecht, doch meine Vorsicht war unbegründet. Die Bisons ließen mich ganz nahe an sich heran.
Die urtümlichen Gesichter erinnern mich an unsere Perchtenmasken, an den Krampus. Ob dieser Brauch wohl seinen Ursprung in einer Zeit hat, in der die Bisons auch bei uns noch heimisch waren? Mit bis zu 1000 kg sind diese Tiere sehr selbstsicher, laufen nicht weg, obwohl das vielleicht ein Artefakt jener Individuen ist, die mir da gegenüberstehen. Schließlich wurden sie ja alle in Zoos geboren.
Alle nicht. Ein kleiner Bulle kam hier vor weniger als 2 Monaten zur Welt. Die kleinen Hörnchen sprießen gerade. Er ist der erste echt einheimische Wildbison in den Südkarpaten. Eigentlich nicht der erste, schon letztes Jahr gab es Nachwuchs. Doch dieses Kalb wurde bald danach tot aufgefunden. Es hatte einen Hornstoß in den Bauch nicht überlebt. Auch unser Kleiner heute hat unter den Erwachsenen eine schwere Zeit. Sie schubsen und stoßen ihn hin und her. Die Mutter kümmert sich kaum, man könnte richtig Mitleid mit ihm haben. Wer weiß, vielleicht schlägt da die Zeit in den Zoos noch durch. Die Bisons hier kannten sich ja nicht, sie kommen aus verschiedenen Ecken des Kontinents und hatten sicherlich alle keinen vergleichbaren Lebensraum wie jetzt.
Nun ist es dunkel, unser Zelt steht. Auch die Bisons haben sich niedergelegt, weniger als 50 m entfernt. Leuchte ich mit meiner Stirnlampe in ihre Richtung, blitzen sofort zahlreiche Augenpaare auf. Sie schauen mich an, ganz im Gegensatz zu allen Bären, die ich bisher in der Nacht angeleuchtet habe. Noch nie hat mich von denen einer angeschaut. Es heißt, wenn er einmal schaut, dann wird er angreifen.
Nach dem Bären galt unseren VorfahrInnen der Bison als die gefährlichste Tierart. Die Bisons, denen ich begegnete, waren aber sehr gelassen und weniger ängstlich als Bären. Wir werden sehen, wie sich das Verhältnis zu den Menschen für die nächsten Generationen entwickeln wird.
Um 6 Uhr früh, noch vor Sonnenaufgang, standen alle Bisons auf und gingen davon, den Berg hinauf zu den Wiesen. Vermutlich haben sie da noch die kühlen Morgenstunden nutzen wollen, um ihre 60 kg Nahrung pro Tier und Tag aufzunehmen. In der Mittagshitze zogen sie sich in den Wald zurück. Auch dort können sie in Form von Jungwuchs und Rinden etwas zu essen finden. Ökologisch haben Bisons die Auswirkung, Lichtungen vor der Verwaldung zu bewahren und so freie Grasflächen zu erhalten. Am frühen Nachmittag trafen wir sie wieder auf der Wiese und konnten sie noch einige Stunden beobachten.
Die einheimischen AnrainerInnen scheinen sehr gut auf die Bisons zu sprechen zu sein. Trotz gewisser Sprachbarrieren brach ihre Begeisterung für das Auswilderungsprojekt ganz offensichtlich durch. Zu den Bären dagegen ist das Verhältnis deutlich kühler, es erinnerte mich an die „Beziehung“ zu Wespen unter meinen Bekannten in Österreich. Sie sind lästig, man hätte sie lieber nicht da, aber sie sind eben Teil der Natur und das müsse man akzeptieren.
In meinen 2 Wochen Wanderschaft in den Südkarpaten fand ich 90 % der Häuser und Hütten im Waldbereich verfallen und unbewohnt. Hier gibt es eine Landflucht, man zieht in die Städte und Ballungsräume. Ein Hektar Wald wurde um € 2500 angeboten, ein Spottpreis im Vergleich zu meinen Erfahrungen in Österreich. Das nutzen Großindustrielle, die Land aufkaufen, um Profit daraus zu schlagen. So gibt es immer mehr Forststraßen und riesige Kahlschläge. Direkt gegenüber dem Bisonareal wird mit großen Maschinen alles abgeholzt, die Bäume krachen alle paar Minuten wie alte Kirchtürme zu Boden, stündlich fahren LKWs voller dicker Buchenstämme Richtung Zivilisation. Die Landflucht kann also in großflächige Abholzung und Naturzerstörung münden, oder in eine Rückentwicklung zur Wildnis. Kapitalismus und freier Markt, oder Allgemeinwohl ohne Profitdenken. Es gibt Kampagnen zur Rettung der Wälder, Spendenaufrufe, um die Natur freizukaufen, und eben das Projekt „Rewildering Europe“, das für die Wiederansiedlung der Bisons verantwortlich ist. Die Zukunft wird entscheiden, wohin wir Europa entwickeln.