2. Mai 2024

Besuch in Putins Russland: Demoverbot, Polizeiwillkür, Meinungseinschränkung, Postzensur

Strache macht bei seinem Auftritt in Ibiza kein Geheimnis daraus, siehe https://martinballuch.com/vielen-dank-fuer-das-ibiza-video/, dass er Putins Russland bewundert. Irgendwie lustig, dass die gesamte Szene der Rechtspopulist_innen plötzlich Russland nacheifern will. In meiner Jugend war Russland – mit einem dem derzeitigen in Hinsicht autoritärem Gehabe nicht ganz unähnlichen System – der politische Todfeind der Rechten schlechthin. Jetzt ist Russland Vorbild. Ich war vor einiger Zeit dort bei einem (dem ersten!) veganen Sommerfest zu Besuch und habe auch einen Vortrag gehalten. Dabei sprach ich mit zahlreichen Aktivist_innen über ihren Eindruck vom System Putin, aber auch vom realen Sozialismus und dem westlichen Kapitalismus. Ich habe einiges gelernt.

Zunächst einmal hat mich erschüttert, dass in Russland ein allgemeines Demonstrationsverbot herrscht, außer am 1. Mai, dem Tag der Arbeit. Die Tierrechtsbewegung schließt sich also an diesem Tag den Maiaufmärschen an und protestiert für Tierschutz und Tierrechte. Ansonsten sind nur Infostände – nach langwieriger Anmeldung – und einzelne Personen im Abstand von 15 m, die stumm Plakate halten, erlaubt. Letzteres darf man laut Judikatur zwar in Österreich auch, führt aber ohne Demoanmeldung regelmäßig zu Problemen. Nicht so in Russland. Ich habe mehrere solche Ein-Personen-Demos gesehen. Das ist dort offenbar die akzeptierte Form sich politisch auszudrücken.

Putins Russland ist so weit kapitalistisch, dass man jederzeit vegane Firmen gründen und auch indoor vegane Feste abhalten kann. Dafür gibt es deutlich mehr Armut als noch zu Zeiten der Sowjetunion. Deswegen traf ich nicht wenige Personen, die den alten realen Sozialismus zurück wünschen. Für diese Forderung habe ich sogar Ein-Personen-Demos gesehen. Und der KGB, das Gulagsystem und das Fehlen von Meinungsfreiheit damals? Nicht so wichtig, offenbar. Mir fiel jedenfalls auf, dass man demokratische Möglichkeiten in Russland nicht so schätzt, wie ich das erwartet hätte. Man hat dort einfach keine Erfahrung damit und ist daher rasch bereit, die Demokratie für andere scheinbare Vorteile, wie einen starken Mann an der Spitze, der Russlands internationales Ansehen steigert, aufzugeben. Ich vermute das ist auch der Grund, warum in Osteuropa momentan dieses Revival autoritärer Systeme stattfindet und es keine etablierten Parteien gibt. Je älter eine Demokratie, desto mehr wird sie von den Menschen geschätzt, und desto weniger fallt die Bevölkerung auf autoritäre Führer_innen herein. Bin ja gespannt ob 93 Jahre Demokratie in Österreich ausreichen, um die Bedrohung durch jemanden wie Kurz abzuwenden.

Jedenfalls war meinem Eindruck nach etwa ein Drittel der Aktivist_innen pro Sowjetunion, ein Drittel pro Putin und ein Drittel pro westliche Demokratie. Für die Sowjetunion wurde die soziale Sicherheit genannt, für Putin, dass er ohne lange zu debattieren das Wohl Russlands im Auge habe, Russland wieder stark gemacht habe und alle, die es wirklich wollen, sich Wohlstand erarbeiten könnten, und für die westliche Welt Meinungsfreiheit und Mitbestimmung.

Auf dem veganen Sommerfest gab es eine Bühne mit Ansprachen. Viele der Besucher_innen hatten ein Punk-Aussehen, bunte Haare, zerrissene Hosen, wilde Irokesenfrisuren, wie man das bei solchen Veranstaltungen auch vom Westen her kennt. Auch radikale T-Shirt Sprüche gab es überall. Ich fragte also die Menschen, wie es mit der Meinungsfreiheit steht. Darf man auf der Bühne tatsächlich sagen, was man will? Im Grunde schon, war die einhellige Antwort, außer explizit Putin zu kritisieren würden sie sich verkneifen. Und auf jeden Fall darf man nichts Positives zur Homosexualität sagen, das sei strafrechtlich verboten, da könne man sofort Schwierigkeiten bekommen.

Wie diese aussehen könnten, erlebte ich wenig später auf der Straße. In Russland ist die Polizei lange nicht so präsent im öffentlichen Raum, wie in Weißrussland, dieser weiteren Diktatur, dem letzten Land Europas mit der Todesstrafe. Doch sie wird gefürchtet. In autoritären Staaten sind meinem Eindruck nach Polizist_innen grundsätzlich deutlich unfreundlicher, respektloser und aggressiver, als bei uns (und das heißt schon was, habe ich doch sehr viele schlechte Erfahrungen mit der Polizei hierzulande gemacht).  Jedenfalls kam ein Betrunkener zu einem Mann, der auf der Straße musizierte, sang kurz in dessen Mikrophon hinein und wurde dann von dem Musiker weggeschoben. Daraufhin ergriff der Betrunkene das Wort, sagte er sei ein ehemaliger Soldat, und dass die Jugend heute nicht mehr so fit sei, wie man es früher gewesen wäre, und um das zu unterstreichen machte er auf der Straße einen Purzelbaum. Plötzlich kamen drei Polizeibeamt_innen, packten den Mann und zogen ihn unsanft davon. Die Menschen sahen betont weg. Ich zückte meine Kamera, wie ich das auch in Österreich in so einer Situation gemacht hätte. Ich wollte etwaige Übergriffe dokumentieren. Meine Begleiter_innen rieten mir ab. Ich wollte der Polizei folgen, um zu sehen, was jetzt geschähe. Widerwillig kamen meine Begleiter_innen mit. Ich sah dann, wie die Polizei den Betrunkenen mit erhobenen Händen an die Wand stellte und am Körper durchsuchte. Dann zogen sie ihn sehr brutal in einen Hauseingang. Nun hielten mich meine russischen Begleiter_innen aktiv zurück, sodass ich nicht mehr folgen konnte. Sie sagten mir, dass das zu gefährlich sei. Man dürfe die Polizei nicht provozieren, sie können einen jederzeit verprügeln und wegsperren, ohne dass man dagegen etwas unternehmen könnte.

Das erschütterte mich schon sehr, dass die Polizei in Russland einfach so Leute von der Straße wegfangen kann, ohne eine rechtsstaatliche Kontrolle. Die russischen Aktivist_innen schien das bei weitem nicht so zu schockieren. Sie sagten das sei nunmal so, da könne man nichts machen, außer zu schauen, dass einem selbst nichts geschehe. Abgesehen davon, so meinten meine durchwegs weiblichen Begleiterinnen, treffe das sowieso praktisch nur Männer, also wären sie sicher.

Ich möchte keinesfalls in einem Land leben, in dem man der Polizei derart ausgeliefert ist. Man hört, dass es in den USA nicht viel anders sei. Naja, Strache findet ja nicht nur Putin sondern auch Trump nachahmenswert. Umso wichtiger, dass wir in Europa alles daran setzen, dass sich solche Zustände nicht einstellen, bzw. dass wir hier eine Kontrolle von Polizei und Behörden erreichen, sodass man sich auf der Straße sicher fühlen kann.

Ich habe bei meiner Rückkehr einer russischen Aktivistin, die sich dafür interessierte, 2 Tuben Zahnpasta, die mit Vitamin B12 versetzt ist, mit der Post geschickt. Das Paket war einen Monat unterwegs und kam wieder zu mir zurück. Die russische Grenzkontrolle hatte es aufgerissen und dann die Weiterleitung verweigert. Als ich das der Aktivistin sagte, war sie nicht verwundert. Das sei halt so, meinte sie in typisch russischem Fatalismus, wie ich ihn bei meinem Besuch kennengelernt hatte. Da könne man halt nichts machen.

Kann man schon. Putin stürzen und eine Demokratie einführen. Ich würde mir wünschen, dass wir in Österreich bei allen Fehlern des Systems seine Vorteile mehr schätzen würden, damit niemand auf Politiker_innen herein fällt, die auch bei uns Zustände wie in Putins Russland einführen wollen.

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