5. November 2024

Dauerproteste gegen Berlakovich – ist das nicht zu radikal?

Seit 12. September 2011 ist Schluss mit lustig in der Kastenstandfrage. Seitdem wird praktisch täglich bei jedem öffentlichen Auftritt von Landwirtschaftsminister Berlakovich protestiert. Am 12. und 13. September begann der Reigen, wie bekannt, mit einer 30 ½ stündigen Blockade des Landwirtschaftsministeriums. Sind derart heftige Proteste demokratiepolitisch zu rechtfertigen?

Erinnern wir uns: Bereits im September 2010 hat die Volksanwaltschaft ihre Missstandsfeststellung, dass die Kastenstandhaltung dem Tierschutzgesetz zuwiderläuft und deshalb die entsprechende Schweinehaltungsverordnung verfassungswidrig ist, veröffentlicht. Anfang März 2011 kam der Verordnungsentwurf von Gesundheitsminister Stöger heraus, der den Kompromiss beinhaltete, Kastenstände nicht vollständig abzuschaffen sondern auf maximal 1 ½ Monate pro Jahr zu reduzieren. Und seitdem ist Warten angesagt, weil der Landwirtschaftsminister eine Blockadepolitik betreibt, die ihm leider das Tierschutzgesetz ermöglicht. Dort steht nämlich, dass das Landwirtschaftsministerium ein Vetorecht bei allen Verordnungsänderungen im Tierschutz hat.

Das sind dazu die grundlegenden Fakten:

  • Kastenstände sind nachweislich eine furchtbare Tierquälerei. Das wird sogar von der Nutztierwissenschaft bestätigt.
  • Kastenstände sind sofort durch die freie Buchtenhaltung ersetzbar, die nicht nur kommerziell funktioniert, wie uns die Schweiz, Norwegen und Schweden z.B. zeigen, sondern sowohl für die Mutterschweine als auch für ihre Kinder die unvergleichlich bessere Alternative ist. Auch das bestätigt die Nutztierwissenschaft.
  • 80% der Bevölkerung wollen Kastenstände verboten wissen, 14% sind gegen ein Verbot, 6% ist es egal.
  • Alle drei VolksanwältInnen haben in seltener Einigkeit eine Missstandsfeststellung erhoben und erklärt, dass Kastenstände nicht nur tierschutzgesetz- sondern sogar verfassungswidrig sind.

Und trotzdem stellt sich unser Landwirtschaftsminister tot und betreibt eine Blockadepolitik. Er nutzt seine Machtposition schamlos aus, um seiner Klientel, den LobbyistInnen aus der Schweineindustrie, die mit einer Tierschutzverbesserung einhergehenden Kosten zu ersparen. Wie sollte man in diesem Fall anders reagieren, als den Herrn Minister an seine Verantwortung zu erinnern? Es geht hier schließlich nicht um irgendeinen nebensächlichen Modespleen, sondern um ein ganz konkretes, aktuelles und geradezu unermessliches Leid. Die Mutterschweine haben keine Zeit darauf zu warten, bis unser Landwirtschaftsminister aufwacht und realisiert, dass er dem Volk und nicht der Tierindustrie verpflichtet ist. Die Proteste werden also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur weitergehen, sondern an Intensität gewinnen.

Was ist der Ausweg, aus diesem Dilemma? Wie bei gesellschaftlichen Konflikten dieser Art üblich – es muss ein Kompromiss gefunden werden, mit dem alle beteiligten Gruppierungen (bis auf Weiteres) leben können, siehe mein Buch “Widerstand in der Demokratie“. Auch hier ist der Landwirtschaftsminister derjenige, der am Zug ist. Er sitzt an der Schaltstelle für die Ausarbeitung eines Kompromisses. Es liegt in seiner Verantwortung, nicht trotzig wie ein Kind „jetzt erst recht“ alle Gespräche zu blockieren, sondern zwischen den Streitparteien zu vermitteln und einen Kompromiss auszuhandeln.

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum es insbesondere PolitikerInnen der ÖVP so schwer fällt, die Lebensrealität einer lebendigen Demokratie ernst zu nehmen. Es reicht nicht, einmal alle 5 Jahre zu wählen bzw. gewählt zu werden, und daher nur einmal alle 5 Jahre Wahlversprechen abzugeben. Wir BürgerInnen wollen und müssen laufend mitbestimmen, wohin die Reise geht, nur so kann die Lebensqualität auch der Schwächsten gesichert werden. Unsere Proteste werden nur dann lauter, wenn wir nicht und nicht gehört werden, wenn man mit uns nicht ernsthaft verhandelt, obwohl eine Mehrheit hinter uns steht und wir in jeder Hinsicht im Recht sind. Die Qualität der Demokratie zeigt sich darin, wie leicht es dem Volk möglich ist, „von unten“ Einfluss zu nehmen. Unsere Tierschutzproteste gegen Minister Berlakovich werden also weitergehen müssen!

Ein Gedanke zu “Dauerproteste gegen Berlakovich – ist das nicht zu radikal?

  1. Hier ein kritischer Bericht über den Bauernbündler und obersten Agrar- und Schweinelobbyisten: http://derstandard.at/1317019441110/Kritik-an-Anzeigenkampagne-Mit-Minister-Berlakovich-inserieren-sagt-der-Hausverstand

    Tierschützerin sperrt sich in Käfig ein: http://ooe.orf.at/news/stories/2501989/

    Metallkäfig-Abschaffung: Buhrufe für Stöger: http://ooe.orf.at/news/stories/2501989/

    Leider wird in den ORF-Berichten die Problematik des Erdrückens von Ferkeln nur einseitig aus der Sicht der Schweinebauern gebracht und diese nicht mit Tierschutzargumenten entkräftet. So steht dann im Endeffekt das Erdrücken der Ferkel und die Raunzerei vom Zusperren “nur” gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Muttersauen. Nicht sehr objektiv, wie ich finde.

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