19. November 2024

„Ein Beitrag zur Jagdethik“ von Rudolf Winkelmayer

Im Österreichischen Jagd- und Fischereiverlag ist 2014 dieses dünne Heftchen erschienen. Das ist eigentlich ein Verlag, von dem ich mir keine lesenswerten Beiträge erwarten würde, aber dann wird man doch immer wieder überrascht. Ein radikales Anti-Jagd-Buch ist es nicht, aber es ist gegenüber vielen Aspekten der Jagd sehr kritisch, insbesondere der Jagd auf gezüchtete Tiere, die als Abschießbelustigung bezeichnet wird. Winkelmayer verteidigt die „Ultima Ratio“-Jagd, d.h. die Jagd als gelindestes Mittel, um ein ökologisches Ungleichgewicht wieder herzustellen. Zwar erwähnt er weder diesen Begriff in dem Buch, noch macht er das so explizit klar, doch der Großteil seines Werks handelt von tierethischen Diskussionen auf durchaus akademischem Niveau.

Man könnte hier dreifach abstufen:

  • Die Jagd als reiner Spaßfaktor – alles ist erlaubt, solange genügend Tiere „nachwachsen“, um den Spaß auch zukünftigen Generationen zu ermöglichen, d.h. Jagd auf Zuchttiere
  • Die Jagd als Nutzung einer Ressource – Erzeugung von Wildbret aus artgerechter Freilandhaltung sozusagen, allerdings nur in nachhaltigem Ausmaß, d.h. mit viel Fütterung und Wintergattern
  • Die Jagd um ein ökologisches Ungleichgewicht auszugleichen, also nur im Falle einer natürlichen Überpopulation ohne Zufütterung und dann in einer Form, die möglichst wenig Leid erzeugt („Ultima-Ratio Jagd“)

Winkelmayer kritisiert Ersteres scharf, vertritt Letzteres und lässt die mittlere Variante mehr oder weniger unerwähnt, damit aber auch unkritisiert. Aus einer realistischen Tierschutzposition heraus sollten wir bei Reformen des Jagdgesetzes letztlich versuchen, die Ultima-Ratio Jagd zu etablieren. Es gibt praktisch keine Jagdreviere in Österreich, in denen nicht gejagt wird. Daher wird es erst zu erforschen sein, in welchem Ausmaß Jagd vom ökologischen Standpunkt aus notwendig wäre. Aus Tierrechtssicht müsste man natürlich die Empfängnisverhütung der Bejagung bei einer Überpopulation vorziehen – oder die Etablierung von Raubfeinden.

So sehr ich mich also über Winkelmayers Beitrag freue und respektiere, dass er sich in diesem Verlag vor allem an JägerInnen wendet, so sehr muss ich zwei Aspekte seiner Ausführungen kritisieren. Da ist einerseits die von ihm breitgetretene These des Australischen Universitätsprofessors Mike Archer, der uns erzählt, dass in der ganzjährigen australischen Freilandhaltung 2,2 Kühe für 100 kg Rindfleischprotein sterben müssen, aber 55 Mäuse für die Herstellung von 100 kg Getreideprotein. Winkelmayer rechnet für Österreich vor, dass in der typischen Rindermast 50-60 Mäuse pro 100 kg Rindfleischprotein sterben, aber nur 30-40 für 100 kg Kuhmilchprotein. Er halte daher Wildbret für ethisch besser als vegan zu leben, aus utilitaristischer Sicht.

Tja, die utilitaristische Sicht ist eben seltsam und hat mit Tierrechten reichlich wenig zu tun. Ich rechne ja auch nicht vor, ob es nicht weniger Leid bedeuten würde, wenn ich einen Menschen esse und damit vermeide, dass für ihn in Zukunft soundsoviel Tiere sterben müssten. Menschen haben Rechte und Punkt. Wenn das für Tiere ebenso gilt, dann darf ich sie unter keinen Umständen für meinen Vorteil töten, egal wieviel Mäuseleben ich dadurch retten oder riskieren würde.

Aber davon abgesehen frage ich mich, was mit den im Getreidefeld getöteten Mäusen eigentlich passiert. Winkelmayer erwähnt, dass sie von Raubvögeln gegessen werden, die den Mähmaschinen folgen und sich auf die getöteten Mäuse stürzen. Aha, und was würden dieselben Raubvögel essen, gäbe es keine durch die Mahd getöteten Mäuse? Vermutlich auch Mäuse. Also ändert der Getreideanbau da nicht viel, oder nicht? Entsprechend dürfte man ihn nicht als zusätzlich entstandenes Leid zum Getreideprotein hinzurechnen. Aber diese Erbsenzählerei überlasse ich lieber den UtilitaristInnen.

Mehr irritiert mich an Winkelmayers Sichtweise sein Zugang zur Wildnis. Für ihn gibt es diese nicht mehr. Wir müssten akzeptieren, dass kein Fleck der Erde vom Menschen unberührt bleibt. Wildnis gäbe es nicht mehr, alles sei Kulturland. Die „natürliche“ evolutionäre Entwicklung sei daher, so Winkelmayer, dass Kulturfolger überleben und Kulturflüchter untergehen. Daher plädiert er, nicht unberührte Naturlandschaften zu erhalten oder gar Nutzwälder in Wildnisgebiete rückzuführen (wie z.B. das Aussetzen von Bisons in den Südkarpaten), sondern anzuerkennen, dass die Menschen Teil der Natur seien und unsere Wirkung insofern natürlich wäre und zu akzeptieren ist. Wir sollten die Aufgabe annehmen, GärtnerInnen des Kulturlandes der Erde zu sein, sie gestalten und pflegen, anstelle sie autonomen Wildtiergesellschaften zu überlassen und möglichst unbeeinflusst zu erhalten. Ich lese daraus auch die Folgerung, dass Bären, Wölfe und Luchse keinen Platz in Österreich haben. Besser unsere Jägerschaft übernimmt als „Gärtner“ deren Rolle.

Ich sehe das anders. Ich fühle mich in reinem Kulturland sehr unwohl. Ich halte autonome Wildtierbereiche für essenziell. Die Natur braucht den Menschen nicht. Wir sollten den Wildtieren, die nur mehr 3 % der Biomasse der Landwirbeltiere ausmachen, Lebensräume zugestehen, in denen sie sich völlig selbständig organisieren. Wir brauchen Wolf, Bär und Luchs in Österreich, und warum nicht auch wieder Bisons. Für mich ist diese Autonomie ein hoher ethischer Wert – und der Vorschlag von Gärtnerei eine Ausrede, doch noch jagen zu können.

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