22. Dezember 2024

Ein öffentlicher Prozess?

Der Tierschutzprozess ist ein öffentlicher Prozess. Das ist ein ganz wesentliches Element eines Rechtsstaates, dass die Art und Weise, wie Recht gesprochen wird, von der Bevölkerung nachvollzogen werden kann. Ja, das steht sogar in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel 6 und damit in der österreichischen Bundesverfassung: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dass sein Prozess öffentlich ist.

Dieser Aspekt ist auch deshalb so wichtig, weil wir alle wissen, wie abseits der Öffentlichkeit gemauschelt wird, wie jede Macht korrumpiert, und wie die Öffentlichkeit die unfaire Machtausübung in gewissen Grenzen halten kann.

Seit dieser Woche werden 30 – 50 PolizeischülerInnen jede Früh mit dem Bus in den Gerichtssaal im Landesgericht in Wr. Neustadt gekarrt und um 15 Uhr wieder abgeholt. Dazwischen besetzen sie möglichst viele Plätze des großen Schwurgerichtssaals und schauen stundenlang völlig gelangweilt in die Luft.

Was für eine unglaubliche Maßnahme! Wem ist sie eingefallen? Was wird damit bezweckt?

Auffallend in diesem Prozess war bisher, dass die Öffentlichkeit im Gerichtssaal eindeutig Seite bezog: Sie hat praktisch ausnahmslos mit den Angeklagten sympathisiert. Kein Wunder, möchte man meinen, bei diesem Vorwurf eine kriminelle Organisation gebildet zu haben, der überhaupt keine Substanz hat, sondern rein politisch motiviert ist.

Jetzt wollte jemand offenbar diese Sympathie der Öffentlichkeit brechen. Durch Propagandamaßnahmen ist es bisher nicht gelungen. Also karrt man nun bereits 1 Stunde vor Prozessbeginn so viele PolizeischülerInnen in den Gerichtssaal, dass die Mehrheit der SympathisantInnen der Öffentlichkeit draußen bleiben muss. Sie bekommen keine Plätze mehr. Alles sei voll, erklärte die Richterin.

Dazu kam noch die Maßnahme, dass alle Personen, die nicht zur Polizei gehören, beim Betreten des Gerichtssaals einen Ausweis abgeben müssen, den sie beim Wiederverlassen zurück bekommen. Jetzt kann die SOKO eifrig notieren, welche Personen sympathisieren, wer sich diesen Prozess anhören kommt. Wichtige Adressen für die nächsten blindwütigen Hausdurchsuchungen!

Wird damit dem Willen der Verfassung und der Menschenrechtskonvention genüge getan? Die Öffentlichkeit einer Verhandlung soll Sicherheit bieten. Sicherheit vor Machtmissbrauch und einem offensichtlich ungerechten Verfahren mit ungerechtem Urteil. Das ist die einzige Sicherheit, die wir in diesem Verfahren noch haben: den Schutz der Öffentlichkeit.

Ist dieser Schutz durch eine Horde von PolizeischülerInnen gewährleistet? Wird da nicht die Verfassung gebogen und ihr intendierter Sinn pervertiert?

Ich weiß, man sollte nicht immer Vergleiche zum Dritten Reich ziehen, das relativiert dessen singuläre Monströsität. Und zum Glück gibt es noch gewisse Aspekte, die den Tierschutzprozess von einem Verfahren am Volksgerichtshof eines Roland Freisler trennen. Aber jetzt haben sie sich in einem weiteren Aspekt angenähert. Wer den Film über die Geschwister Scholl gesehen hat, über den Widerstand der Weißen Rose an der Uni in München 1942, der/die wird wissen, was ich meine. Wie die Kamera mit den Angeklagten den Gerichtssaal betritt, sieht man sich plötzlich einem mit treuen Parteigenossen und SA-Leuten voll besetzten Zuschauerraum gegenüber. Die bedrohliche Stimmung, das Fehlen jeder sympathisierenden oder wenigstens kontrollierenden Öffentlichkeit trifft einen im Film wie ein Hammerschlag. Man kann mitfühlen, wie schwer es den Angeklagten fällt, sich angesichts dieses Psychodrucks zu verteidigen.

Dass im Jahr 2010 ein österreichisches Straflandesgericht dieselbe Taktik wählt, um ganz gezielt gegen die Angeklagten vorzugehen und die Menschenrechte auszuhebeln, ist wirklich mehr als erschreckend!

5 Gedanken zu “Ein öffentlicher Prozess?

  1. Mir fehlen langsam die Unterscheidungsmerkmale zu einem mustergültig diktatorischen Schauprozess.

    Es fehlt ja bloß noch physische Gewalt. Praktisch alle anderen Unrechtmäßigkeiten sind in Wiener Neustadt – zumindest bei diesem Prozess – erschreckende Normalität.

  2. die exikutive treibts wirklich auf die spitze. was die polizeischüler betrifft, man kann nicht früh genug die schüler abrichten und formen, gehirnwäsche im sinne des staates. mir reicht es!!!!!!!

  3. Auch interessant: gibt es nicht vielleicht die Möglichkeit, den gesamten Prozess mit Zustimmung der Angeklagten per Kamera aufnehmen zu lassen und auszustrahlen?

    Felix

  4. Bitte! Was sagt das Gesetz zu diesem Affentheater? Kann doch nicht sein, daß ein Prozess, der öffentlich sein soll, durch deratige Maßnahmen (Polizei als Publikum) zur Farce gemacht wird!!

    Was sagen die Anwälte? Oder kennt sich hier im Blog jemand juristisch aus und kann das fachlich beurteilen?

    Gibt es schon eine Anzeige gegen diesen Mißbrauch der Prozessordnung?

    Was sagen die Medien, die Presse?

    Jan

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