19. März 2024

Haben Sie Ihren Hund schon einmal gefragt, was er tun will?

Gestern sind mein Hundefreund und ich wieder mit dem Fahrrad und dem Buggy-Anhänger mitten in der Stadt unterwegs gewesen. Nach 30 Minuten Asphalt-Laufen frage ich Kuksi, ob er in den Buggy einsteigen will. Nein, will er nicht. 10 Minuten später bleibe ich noch einmal stehen und frage ihn erneut, trabt er doch bereits seit einiger Zeit mit gleicher Geschwindigkeit, ohne zum Schnüffeln zu stoppen. Er kommt her, schaut in den Buggy hinein, schaut heraus und entscheidet dann, weiter laufen zu wollen. Noch einmal vergehen 10 Minuten. Wieder halte ich an und frage meinen Hundefreund und dieser springt nun ohne zu zögern in den Buggy hinein.

Meine Begleitung ist erstaunt. Sie hält es für ungewöhnlich, dass Verantwortliche ihre Hunde fragen, was sie wollen, und ihnen Handlungsoptionen bieten. Besteht zwischen „Platz!“, „Steh!“, „Geh!“, „Fuß!“, „Rein!“ und „Raus!“ noch ein Freiraum für die eigene Entscheidung des Hundes? Oder wenn ich mir einbilde, meinen Hund dominieren zu müssen, kann ich ihm dann überhaupt eine Entscheidungsfreiheit lassen oder wäre das bereits rebellischer Ungehorsam?

Autonome Hunde können anstrengend sein und einen größeren Aufwand bedeuten, als „brave“ und folgsame Tiere, die sich immer anpassen (müssen) und genau das tun, was man selbst gerade will oder was für einen schlicht am einfachsten ist.

Einem Hund Autonomie zu bieten ist das Gegenteil davon, ihn zu vernachlässigen. Kann er nämlich mitentscheiden, was passiert, dann bin ich viel stärker von seinem Gefühlszustand abhängig und so werde ich viel enger mit ihm kommunizieren und mich für seine emotionale Lage interessieren. Das umso mehr, wenn ich die Letztverantwortung trage und daher achten muss, ob er von einer Situation überfordert wird oder ob er noch alles im Griff hat.

Aber mit einem autonomen Hund zusammen zu leben gibt uns letztlich wesentlich mehr zurück, als es kostet. Je unabhängiger er ist, desto spannender wird das Zusammenleben, desto mehr bringt er selbst Neues ein, desto ehrlicher ist seine Zuneigung.

Vielleicht kann man hier eine Parallele zum Übergang von einem autoritären Regime zur Demokratie ziehen: letztere ist für die Verantwortlichen anstrengender, erhöht aber die Lebensqualität aller und ist viel stabiler. Oder auch die politische Befreiung der Frauen: Vor 100 Jahren mag es als Mann weniger „anstrengend“ gewesen sein, eine folgsame und unterwürfige Haushälterin als Partnerin zu haben, die nirgends mitentscheiden kann, aber wer würde heute bestreiten, dass eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe für alle Beteiligten die wesentlich bessere Option ist?

4 Gedanken zu “Haben Sie Ihren Hund schon einmal gefragt, was er tun will?

  1. Ihr Kuksi schaut ja auch aus wie ein sehr autarkes – nennen wir es -, eigenständiges Hundemischlingsgeschöpf, wenn ich mich jetzt anhand der Bilder nicht irre. Hat etwas von meiner Dame, einem Erdélyi Kopó.
    Und da wäre ich auch schon beim philosophischen Bogen, der den Worten aus dem Post fürs Erste gänzlich zustimmt.
    Rationell gesehen muss ich aber den etwas “familienfreundlicher-gezüchteten” Hunde so eine Eigenschaft glattweg absprechen. Sie scheinen oftmals hilflos und folgen jedem Wunsch ihres Herr und Meisters. Und genau an dieser gedachten Stelle scheitert mein Geist.
    Was ich damit sagen oder in Frage stelle möchte: kann man so etwas wirklich pauschalieren?

  2. Ich war heute mit vier Menschen und zwei Hunden essen – dabei saßen wir auf der Terrasse. Die Besitzerin beschloss ihre Hunde müssen im Schatten liegen, da es ihnen in der Sonne zu heiss ist. Der eine Hund hingegen wollte sich einfach nur hingebungsvoll sonnen und beide wollten sichtbar selbst entscheiden wo sie liegen. Die Besitzerin machte mich langsam wahnsinnig da sie die ganze Zeit den Hunden sagen wollte wo sie sich hinlegen sollen. Die setzten sich dann dort hin um 10 Sekunden später wieder am ursprünglichen Platz zu liegen. Das machte sie geschlagene zwei Stunden lang bis sie endlich aufgab. Danach sonnten sich die Hunde zufrieden und wechselten dann (oh Wunder!) ganz von selbst auf den schattigen Platz als ihnen heiss wurde.

    Als ich zu äussern wagte, dass der Hund ja schon ausgewachsen ist und bestimmt selbst erkennen kann wo er am bequemsten liegt wurde mir erklärt der wäre wie ein Baby zu behandeln (!) Die Hunde sind 4 und 5 Jahre alt.

    Das wird anscheinend auch von der Hundeschule so gelehrt.

    Ich bewundere immer wieder, wie geduldig und tolerant Hunde sind!

  3. Alles korrekt, was Sie schreiben – sehe ich genau so.
    Meine Hunde sind alle durch die Bank Persönlichkeiten und jeweils zur Höchstform dessen, was ihnen persönlich an Entwicklung möglich war, gelangt. Und meine Hunde waren fast alle arme und zerstörte Charaktere, denen ich stets ein Maximum an Entfaltung gewährt habe. Was sie aber auch und vor allem geheilt hat war die Sicherheit, Geborgenheit und Kontinuität, die die Mischgemeinschaft aus Artgenossen und Menschen sowie die klare Rangordnung, die vorgegeben war, darstellte.
    Mein alter Schäferhund Timber wurde mit seinem Kopf von Lupa zwischen die Vorderbeine genommen und Lupa “rammelte” ihn, während Timber dabei schwänzelte, und nicht genug davon bekam. Die Leute dachten, dass Lupa sexuell verprägt sei. In Wahrheit sagte Lupa dem wesentlich größeren Rüden Timber mit diesem Verhalten: “Ich bin dein Rüde”, was bedweutet, “ich stehe über Dir, ich führe Dich, Du kannst Dich auf mich verlassen etc.” Timber kam mit 12 Jahren aus dem Tierheim Weimar zu mir, war ein gebrochener Militärhund der Russen, die in der DDR stationiert waren. Lupa – ich hoffe, Sie haben meinen Nachruf (den Link setzte ich im Kommentar zu dem vorherigen Thema) auf diese Calueth (Canis lupus ethicus) gelesen, konnte jeden gebrochenen Hund und Angehörige anderer Tierarten aufrichten, WEIL sie die Chefin von allen war.

    1. Ich habe auch im Umgang mit meiner Hundefreundin gelernt, dass nicht Gewalt, Dominanz usw. zum Ziel führt, sondern auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Seitdem sie genügend Auslastung hat, ist sie eine zufriedene Hündin, ausgeglichen und unkompliziert im Alltag. Sie darf viel frei laufen und schnuppern und pinkeln, wo sie will. Schon komisch, dass genau die Missachtung von Millans Regeln uns zu einem glücklichen Hunde-Mensch-Team macht 😉

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