22. Dezember 2024

Homo Floresiensis und die Montessori-Pädagogik

Hobbit
Dieses Wesen hat vor 18.000 Jahren auf der Insel Flores in Südostasien gelebt. Mensch oder Tier?

Was unterscheidet den Menschen (d.h. die Tierart Homo Sapiens) von anderen Tieren? Diese Frage wird seltsamerweise im vorrangig an technischen Entwicklungen interessierten Fachmagazin New Scientist mantrahaft wiederholt und anthropozentrisch überhöht beantwortet. Die Abgrenzung scheint für das Weltbild der Leserschaft offenbar zentral. Auch im aufgeklärten Humanismus bemüht man sich fanatisch, alle Schlacken des Tierseins abzuschütteln. Und jetzt dieselbe Erfahrung in der Montessori-Pädagogik: Tiere seien rein instinktgesteuerte Triebwesen, Menschen dagegen hätten überhaupt keine Instinkte, sie wären völlig frei. Auf die Frage an die Ausbildnerin, wie sie das mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft in Einklang bringen könnte, siehe z.B. http://derstandard.at/1369362949209/Hat-der-Glaube-an-die-menschliche-Ueberlegenheit-ausgedient, kommt eine dogmatische Antwort: so sei eben die Montessori-Lehre und wem das nicht passe, der bzw. die könne ja eine andere Pädagogik studieren.

Wenn sich Mensch und (anderes) Tier so radikal unterscheiden sollen, was wäre dann mit einem Mischwesen, z.B. aus Schimpanse und Homo Sapiens? Vermutlich würde allein die Vorstellung dieser Blasphemie den Humanisten und die Montessori-Ausbilderin so entsetzen, dass sie keiner vernünftigen Antwort mehr fähig sind, sondern abwinken. Nur, weder brauchen wir dafür Geschlechtsverkehr zwischen Schimpanse und Mensch noch ein Genlabor. Die Menschen sind ja nicht fix und fertig von einem Gott auf die Welt gesetzt worden, sondern haben sich in einer evolutionären Kontinuität entwickelt, die alle Zwischenstufen enthält. Und was ist mit denen? Bis wo Tier, ab wann Mensch, und woran ist das zu erkennen?

Im Journal of Human Evolution, Vol 57, Seite 597, wird der Kopf von Homo Floresiensis, einer vor 10 Jahren auf der Insel Flores entdeckten Art, untersucht. Dieser Flores-Mensch benutzte zwar Steinwerkzeuge, hatte aber eine Hirngröße wie bei Schimpansen. Und das Erstaunliche: Der Flores-Mensch hat vermutlich schon vor 850.000 Jahren auf Flores gelebt, aber war jedenfalls vor 18.000 (!) Jahren dort noch immer vorhanden, d.h. gut 10.000 Jahre nach dem letzten Neandertaler. Um ein Haar hätten wir dieses Wesen heute noch erlebt und ich frage mich was unsere Montessori-Ausbildnerin dazu sagen würde. Der Flores-Mensch war definitiv kein Homo Sapiens, also kein Mitglied unserer Art, sondern laut dem ebenzitierten Artikel ein direkter Nachfahre von Homo erectus, der vor 550.000 Jahren ausgestorben ist. Wenn man den Kopf betrachtet.

Sieht man sich aber den Rest des Körpers an, oder auch das Hirnvolumen von 420 cm³, dann deutet alles darauf hin, dass der Flores-Mensch gar nicht zur Gattung Mensch gehört, sondern zu den Autralopithecinen, siehe Journal of Human Evolution, Vol 57, Seite 538, einer Tierart, die als Vorfahrin des Menschen von vor 4 bis 2,8 Millionen Jahren gelebt hat und – so dachte man bisher – nie aus Afrika hinauskam. Sollte der Flores-Mensch ein Flores-Australopithecus sein und als solcher bis vor 18.000 Jahren existiert haben? Ausgrabungen in Dmanisi in Georgien zeigen Skelette von Homininen, die 1,87 Millionen Jahre alt sind, also älter als Homo erectus in Ostafrika, und damit vielleicht auch ein Hinweis auf eine Migration von Australopithecus nach Eurasien, vielleicht auf dem Weg nach Flores.

Jetzt wüsste ich gerne, von Humanisten und Montessori-Ausbildnerin, wie sie dieses Wesen aus Flores, stünde es ihnen lebendig gegenüber, einschätzen würden. Australopithecus besaß jedenfalls keine menschenähnliche Sprache, weil aus den Mittelohrknochen geschlossen werden kann, dass er für diesen Frequenzbereich kein differenziertes Gehör hatte. Doch ein Tier? Und der Neandertaler? Oder Homo erectus? Wer eine unüberwindbare Kluft zwischen Mensch und Tier an die Basis der eigenen Ideologie setzt, gerät in Konflikt mit der Realität.

Ein Gedanke zu “Homo Floresiensis und die Montessori-Pädagogik

  1. Mario Montessori schrieb über seine Mutter:

    “Sie benutzt Wissenschaft wie einen Steinbruch, den sie beliebig nutzen kann, um ihre Auffassungen zu untermauern. Wissenschaft degeneriert bei ihr zu einem werbewirksamen Schmuck, der ihre Marktposition fördert.”

    Das sagt eigentlich alles.

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