19. März 2024

„M.E.“ – Meines Erachtens, ein Buch von Chris Moser im Kyrene Verlag

P1000497Nach „Die Kunst, Widerstand zu leisten“ hat Chris Moser nun ein zweites Buch über politische Kunst und seine Konflikte mit dem Staat nachgeschossen. Als ehemals Angeklagter im Tierschutzprozess und langjähriger Aktivist ist er dafür auch prädestiniert. So wurde Chris schon als Teenager wegen politischer Graffiti angeklagt, bei Globalisierungsprotesten mit Tränengas, Blendgranaten und Gummimunition beschossen, und hat mit seiner Radikalkunst bereits über Jahrzehnte die Gemüter bewegt. Ein rasantes Buch, sehr persönlich geschrieben, das sich leicht liest. Man fliegt mit Chris förmlich durch sein Leben und kann gut nachvollziehen, was ihn bewegt.

Dabei ist Chris Moser ein Phänomen. Seinem Habitus und seinen politischen Botschaften nach der Schrecken aller Schwiegereltern, hat er so ein einnehmendes Wesen und wirkt so authentisch und ehrlich, dass man ihn mögen muss. Wie er diesen Widerspruch leben kann, wird für mich immer ein Rätsel bleiben. Dabei verstellt er sich wirklich nicht. So kritisiert er einerseits die katholische Kirche und ihre Würdenträger scharf, berichtet aber gleichzeitig von engen Freundschaften mit TheologInnen, die er gerade wegen ihrer katholischen Überzeugung achtet. Sein ganzer Weg ist kompromisslos radikal, und trotzdem ist er nicht nur seit langer Zeit im VGT als Kampaigner aktiv, sondern beteiligt sich auch an unseren Reformkampagnen. Wie kann man einerseits den Herrschaftsanspruch der Staatsmacht ablehnen und Anarchismus predigen, und gleichzeitig für verbesserte Tierschutzgesetze kämpfen, und dabei zu sich und nach außen ehrlich bleiben? Mit Toleranz und Verständnis geht das – wenn man Chris Moser heißt.

Österreich hat eine Tradition darin, mit künstlerischem Aktionismus Politik zu machen. Die Uni-Ferkelei im NIG war „unser“ Beitrag zur 1968er-Revolution. Nicht zuletzt deshalb habe ich 2001 ein Kunstsymposium „Das Tier als Subjekt“ in Grosswarasdorf im Burgenland organisiert, um KünstlerInnen für das Tierschutzthema zu interessieren. Dabei durfte ich Chris Moser und seine Familie kennenlernen – und bis heute im gemeinsamen Tierrechtsaktivismus inklusive aller Konsequenzen, wie einiger Monate U-Haft, verbunden bleiben. Auch dieses Symposium war einer der Anklagepunkte gegen mich im Tierschutzprozess.

Die Politische Kunst des Wiener Aktionismus ist über die Jahre zu einer Art mainstream geworden. Hermann Nitsch z.B. ist heute Kunstprofessor und ein Liebkind der linken Schickeria. Eine politische Kunst, die nicht mehr provoziert, hat ihre Kraft verloren. Nitschs Orgien-Mysterientheater ist zum Tourismusevent verkommen – was in seinem Fall gut ist, muss eine Kunstaktion, in deren Verlauf Tiere getötet werden, doch als reaktionär bezeichnet werden. Chris Moser ist viel konsequenter, doch für seine Kunst und unsere Gesellschaft bleibt zu hoffen, dass seine Fähigkeit, alle für sich einzunehmen, nicht dazu führt, dass seine kreativen Tätigkeiten vielleicht unmerklich ihre scharfe Kante verlieren.

Und das ist vielleicht jener Aspekt, der mir beim Lesen seines Buches am ehesten kritisch aufstieß. Es ist immer leichter, gegen Systemfehler aufzutreten, als selbst ein praktisch funktionierendes, besseres System zu schaffen. In vieler Hinsicht würde ich klar sagen, dass Letzteres möglich und notwendig ist, z.B. im Tierschutz oder bei der staatlichen Repression und Überwachung. Und Chris Moser kritisiert beileibe nicht nur, er arbeitet z.B. seit 2006 an einem alternativen Schulprojekt mit. Aber wie würden wir in der Praxis ohne eine Demokratie auskommen, die behördliche Organe legitimiert, mittels Gewaltmonopol zu agieren? Wie sieht gelebte Anarchie aus? Und selbst wenn man konstatiert, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft lauter, systemkritischer Stimmen bedarf – ich bin auch lieber NGO-Aktivist als verantwortlicher Politiker, der einen Kompromiss unter allen Interessensgruppierungen suchen muss –, so bleibt dennoch das Gefühl, Chris ist gegenüber Widersprüchen oder sogar Ungerechtigkeiten, die von der Alternativbewegung und deren Ideen ausgehen, viel weniger aufmerksam. Aber man muss eben Prioritäten setzen.

Ich kann die Lektüre dieses kleinen Büchleins, die gute 2 Stunden in Anspruch nimmt, nur empfehlen. Am Donnerstag den 16. Jänner 2014 spricht Chris Moser u.a. über sein Buch im Rahmen der Podiumsdiskussion zur Repression um 19 Uhr im Presseclub Concordia, Bankgasse 8, in 1010 Wien.

40 Minuten Gespräch von mir mit Chris Moser über sein Buch im Radio:http://www.veggies-linz.at/tierrechtsradio-mitschnitt-vom-24-01-2014/

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