22. November 2024

Medizinische Versuche an Menschen – können wir daraus lernen?

KZSachsenhausenklein
Die Krankenbaracken RI und RII des KZ Sachsenhausen, in denen medizinische Experimente an Menschen durchgeführt wurden

Momentan in Berlin auf dem Globale Filmfestival, nutze ich die Zeit zwischen interessanten Filmen mit dem Besuch der wirklich exzellent aufgearbeiteten Museen und Gedenkstätten hier. So war ich auch im ehemaligen KZ Sachsenhausen, das dermaßen viele Ausstellungen umfasst, sodass man gut und gern zwei ganze Tage dort verbringen könnte. Besonders erschüttert hat mich dabei eine Sonderausstellung über medizinische Experimente an Menschen, die in den beiden original erhalten gebliebenen Krankenrevierblöcken RI und RII durchgeführt worden waren. Eines der dort dargestellten historischen Beispiele umfasst einen Versuch vom Sommer 1943, in dessen Verlauf 11 kleine gesunde Buben mit Hepatitis-Viren infiziert wurden und letztlich daran starben. Auch die Gefängniszelle dieser Kinder ist völlig erhalten und führt einem diese erschreckenden Ereignisse vor Augen.

Für Tierschutz engagiere ich mich, weil mich der Missbrauch von hilflosen Geschöpfen besonders berührt. Und das Leid dieser Kinder ist auch so ein Fall. Man kann im Rahmen der Ausstellung einen Augenzeugenbericht über die Experimente im Originalton anhören, der einem die Tränen in die Augen treibt. Diese Verbrechen sind unentschuldbar und unnachvollziehbar. Doch wenigstens gibt es heute diese Erinnerungsstätte und eine gesellschaftsweite Verurteilung dieser Vorgänge. Niemand fände den geringsten Anlass, über die Berechtigung von medizinischen Versuchen an Menschenkindern auch nur zu diskutieren, selbst wenn dadurch Heilmittel gefunden würden, die dann hundertausenden oder Millionen Menschen helfen.

Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, im Anblick dieser beiden endlos langen, lebensfeindlichen Baracken an diesem Ort der Massenmorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Medizinische Menschenversuche an von der Krankheit nicht betroffenen Menschen, die dem nicht zustimmen, sind ein Verbrechen, egal zu welchem Zweck. Das ist heute ein Grundkonsens in der Gesellschaft. Seltsam dann, dass bei meinen Diskussionen mit TierexperimentatorInnen medizinische Hundeversuche an von der Krankheit nicht betroffenen Hunden wie selbstverständlich für berechtigt befunden werden. Ja, man bringt dieses Argument mit einer offensichtlichen Erleichterung vor, in der Erwartung, ich würde das selbstverständlich nachvollziehen können. Hier würden eine Handvoll Hunde geopfert, damit ab sofort einer zunehmenden Anzahl von Hunden, die die entsprechende Krankheit entwickeln, geholfen werden kann. Einige wenige Hunde leiden und sterben, damit sehr viele kranke Hunde nicht sterben müssen, sondern gesund werden. Ist das nicht berechtigt?

Nein, ist es nicht. Angesichts dieser langen Baracken hier mit ihrer furchtbaren Geschichte von Menschenversuchen bin ich mir sicherer denn je.

Und dafür brauchen wir nicht einmal eine Diskussion über Speziesismus zu führen, also über die Frage, ob Menschen nicht so viel mehr wert als andere Tiere sind, dass man diese zum Nutzen der Menschen „opfern“ müsste. Es geht um Experimente an Hunden, um anderen Hunden zu helfen, die erkrankt sind. Oder um Pferde, Katzen etc. Es geht um veterinärmedizinische Tierversuche. Und es geht darum, dass diese keinesfalls gerechtfertigt sind, wie man es auch dreht und wendet. Das lehrt uns dieses erschreckende Beispiel aus der Geschichte von Sachsenhausen.

8 Gedanken zu “Medizinische Versuche an Menschen – können wir daraus lernen?

  1. Menschenversuche haben auch die Japaner gemacht, ebenso die Amerikaner und wahrscheinlich auch noch andere. Es werden auch heute Menschenversuche gemacht. Dazu weicht man zunehmend in arme Länder aus. Man behauptet diese Versuchspersonen würden das “freiwillig” machen. Eigentlich ein “freiwilliger Zwang”, wie das so schön heißt.

    Wer mehr wissen, oder sich engagieren will:

    http://www.bukopharma.de/index.php?page=klinische-forschung

    https://docs.google.com/viewer?a=v&q=cache:0FxFqpECQOEJ:www.mpg.de/4316883/F003_Fokus_034-041.pdf+pharmafirmen+lassen+in+entwicklungsl%C3%A4ndern&hl=de&gl=at&pid=bl&srcid=ADGEESgUUHp6vhNHQr6agv-yEfzuovlr72fxdUIeAMf4yY60WJigJWCguhVZyRoEFDq7gu4BkpSITWTPGMGpbB53nbolznN9RCX3mOqRD0yiZ3ARVY_uWxba0nnFr5MlSRrw0Anrzs-y&sig=AHIEtbSw2bXpjtt3tKvZ877SKKz5FQMa1Q

    Es ist eine alte Tradition der Menschen, Opfer zu bringen. Früher opferten Priester den Göttern, heute opfern die Ärzte-Priester dem Gesundheitsgott und dem Gott des ewigen Lebens. Wir leben in einer primitiven Kultur, ohne es zu merken. Überzeugen nützt da wenig, denn mit Verstand hat dieses Verhalten nichts zu tun.

  2. @Tina:
    Deine Analyse ist richtig, wenn man das Gesetz betrachtet. Danach gibt es keine subjektiven Interessen von Tieren, sondern nur persönliche Interessen von Menschen an Tieren und ein gesellschaftliches Interesse Tierschutz. Aber ich denke nicht, dass das tatsächlich so ist. Im Gegensatz zum Gesetz sind die Menschen mit großer Mehrheit schon der Meinung, dass Tiere keine Sachen sind und Interessen haben und einen Schutz für ihrer selbst willen verdienen.

    Ich darf an unsere IFES-Umfrage zu Tierversuchen erinnern: 70% der Menschen in Österreich sind für ein absolutes Verbot von Tierversuchen an Hunden (und Katzen und Affen), selbst wenn es um die Entwicklung von Heilmitteln für Menschen geht, nur 21% waren dagegen. Ich vermute, dass die Mehrheit noch größer ist, wenn es um die Entwicklung von Heilmitteln für Hunde (oder Katzen oder Affen) geht.

    Da fragt man sich schon, warum es solche Tierversuche noch gibt! Die Mehrheit will sie nicht. Die ethische Begründung wackelt schon auf Basis grundsätzlicher Überlegungen. Nur die TierexperimentatorInnen selbst wollen das so. Aber mit was für einer Rechtfertigung? Ich vermute es geht letztlich, wie eh bei allen Tierversuchen, nicht um die Heilung von irgendwem, sondern entweder um Profite durch neue Medikamente oder um das (persönliche oder institutionelle) Interesse an der Forschung, also um die Freiheit der Wissenschaft.

    Ein Grund mehr, dass wir endlich Tierschutz in die Verfassung bekommen sollten. Ich hoffe alle schreiben diesbezüglich regelmäßig die ÖVP-Spitze an!

  3. Kein Individuum sollte unfreiwillig für ein anderes leiden müssen. Doch die Realität sieht leider anders aus. Jeder Besuch beim Tierarzt ist eine Zwickmühle: denn einerseits habe ich die Verantwortung für das Wohlergehen meiner Schützlinge und andererseits leiden und sterben andere Lebewesen für die Entwicklung von Medikamenten, Operationsmethoden etc., ein Umstand der ebenso unerträglich ist wie das Unterlassen der Hilfe für meine Schützlinge. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma wären wohl Alternativmethoden …

  4. Danke für diesen wahren, aber auch schmerzlichen Artikel…. als meine Katze, mit der ich über 17 Jahre zusammengelebt habe, sehr krank war, habe ich sehr viel über diese Thematik nachgedacht….was würde ich in Kauf nehmen, wie weit wäre ich bereit zu gehen, um sie zu retten….manchmal tuts weh, an Grenzen zu stoßen…

  5. Genau meine Meinung: man kann ein Leben nicht gegen das andere oder gegen mehrere andere aufwiegen. Jedes Leben ist einzigartig und hat für jedes einzelne Lebewesen einen unermesslich hohen Wert.

  6. Sehr wahr Tina, genauso wie Tierschutz gesetzlich zum Schutz für Menschen vorgeschrieben wird – um die Menschen vor Verrohung zu schützen.

  7. “Für Tierschutz engagiere ich mich, weil mich der Missbrauch von hilflosen Geschöpfen besonders berührt.”

    Danke für diesen berührenden Artikel. (Auch wenn ich hoffe, dass du auch noch andere Eindrücke aus Berlin mitnimmst ;-))

    “Und dafür brauchen wir nicht einmal eine Diskussion über Speziesismus zu führen, also über die Frage, ob Menschen nicht so viel mehr wert als andere Tiere sind, dass man diese zum Nutzen der Menschen „opfern“ müsste. Es geht um Experimente an Hunden, um anderen Hunden zu helfen, die erkrankt sind. Oder um Pferde, Katzen etc.”

    Da bin ich nicht so sicher. Denn der Wert eines nichtmenschlichen Tieres bemisst sich dann nur nach einem und das ist der Wert er oder sie für einen Menschen hat. Und das Tier, das für einen Versuch geopfert wird, hat vermutlich schlicht keinen Menschen als “Fürsprecher”, der seinem Leben einen Wert verleiht.

    Zumindest wird doch oft so argumentiert? Wenn ein Jäger ein Haustier erschießt ist das in den Augen vieler doch nicht deshalb schlimm, weil das Tier danach nicht mehr leben kann sondern weil man seinem “Besitzer” (sic!) Leid zugefügt hat, da der an dem Tier gehangen hat…

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