In letzter Zeit hat die ÖVP auf meine Anfragen und meine Bitten um eine Unterredung zum Thema „Tierschutz in die Verfassung“ bzw. die Sabotage der Konstituierung des entsprechenden Unterausschusses durch die ÖVP nicht reagiert. Nachdem wir kürzlich die Möglichkeit hatten, mit ÖVP-Bundesparteiobmann Spindelegger über diese Fragen zu sprechen, ist die Sache wieder etwas in Bewegung geraten. Der ÖVP-Vorsitzende des Verfassungsausschusses, Wolfgang Gerstl, und Norbert Totschnig vom Parlamentsclub der ÖVP beantworten jetzt Protestemails und rufen sogar verschiedene Personen, die die ÖVP deshalb kritisiert haben, persönlich an.
Tenor der ÖVP dabei ist:
- Die Abstimmung im Jahr 2004 für Tierschutz in die Verfassung sei in Wirklichkeit nur eine Abstimmung dafür gewesen, über Tierschutz als Staatsziel zu diskutieren
- Die Einsetzung des Unterausschusses zu Tierschutz in die Verfassung sei nur mit dem Ziel beschlossen worden, um über einen umfassenden Staatszielkatalog zu diskutieren
- Die Aufnahme von Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung könne möglicherweise Menschenrechte beschneiden, die daher vor der Erhebung von Tierschutz in die Verfassung noch gestärkt und geschützt werden müssten
Ich habe daher wieder folgenden offenen Brief an die ÖVP-Führung verfasst:
Sehr geehrter Herr Bundesparteiobmann Dr. Spindelegger,
sehr geehrter Herr Clubobmann Kopf,
sehr geehrter Herr stellvertretender Vorsitzender des Verfassungsausschusses Mag. Gerstl,
am 27. Mai 2004 beschloss das Parlament einstimmig, mit ausnahmslos allen Stimmen der ÖVP, die Regierung aufzufordern, den Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere als Staatszielbestimmung in die Verfassung aufzunehmen. Es handelt sich dabei um §1 des Tierschutzgesetzes, die Zielbestimmung zu Tierschutz, die am selben Tag ebenfalls einstimmig vom Parlament und der ÖVP-Regierung unter Kanzler Dr. Schüssel beschlossen wurde. Die ÖVP hat sich also damals nicht nur zum Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere bekannt, sondern auch dazu, dass dieser Schutz als Staatszielbestimmung in die Verfassung aufgenommen wird. Ich weiß nicht ob Sie an diesem denkwürdigen Tag im Parlament anwesend waren. Ich schon, ich saß in der Galerie und war stolz auf diesen Erfolg, hatten wir im Tierschutz doch seit Jahren und sogar Jahrzehnten darauf hingearbeitet. Endlich war es soweit, und zig Abgeordnete, allen voran Kanzler Dr. Schüssel und verschiedene Minister, lobten diesen wichtigen Schritt. Es sei ein Maß für den Grad der geistigen Entwicklung einer Gesellschaft, wie sie mit ihren Schwächsten Mitgliedern, den Tieren, umgeht. Ohne jeden Zweifel war das Thema sowohl der Debatte als auch der Abstimmung ausschließlich die Aufwertung von Tierschutz. Es ging um keine anderen Staatsziele, es wurde auch keine Diskussion über Tierschutz in die Verfassung verlangt. Es wurde beschlossen, dass das Tierschutzgesetz das Leben und das Wohlbefinden der Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen schützen solle und dass die Regierung dafür Sorge tragen müsse, dass diese Bestimmung Verfassungsrang erhält. Nicht mehr und nicht weniger.
Zur gleichen Zeit veröffentlichte ein Meinungsforschungsinstitut das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage: 76% der Menschen in Österreich waren für die Aufnahme von Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung, 7% dagegen. Mehr als eine ¾ Mehrheit der BürgerInnen stand also hinter diesem einstimmigen Parlamentsbeschluss. Was konnte der Aufnahme von Tierschutz in die Verfassung also noch im Wege stehen?
Die Legislaturperiode ging zuende, ohne dass der von der Regierung eingesetzte Verfassungskonvent die Zeit gefunden hätte, den Entschließungsantrag umzusetzen. Bei den folgenden Nationalratswahlen 2006 und 2008 wurde uns im Vorfeld auf Anfrage von der ÖVP versprochen, dass sie weiterhin zu ihrem Bekenntnis zu Tierschutz in der Verfassung stehen werde. Doch nichts ist geschehen.
Drei Petitionen und eine Bürgerinitiative später wurde am 2. Februar 2012 einstimmig vom Verfassungsausschuss die Gründung eines Unterausschusses zum einzigen Thema, Tierschutz in die Verfassung aufzunehmen, beschlossen. Auf der Webseite des Parlaments ist dieser Beschluss vollinhaltlich festgehalten und lässt keine Zweifel offen: es ging dabei nicht um einen Katalog von Staatszielen oder um die Stärkung von Menschenrechten, sondern einzig und allein um die Behandlung der 3 Petitionen und der Bürgerinitiative, die alle die Aufnahme von Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung fordern. Siehe: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/A-VF/A-VF_00003_00303/index.shtml
Heute, mehr als 7 (!) Monate später, ist die Liste der Mitglieder dieses Unterausschusses auf der Webseite des Parlaments weiterhin leer. Der Ausschuss wurde noch immer nicht konstituiert. Laut Auskunft der anderen vier Parlamentsparteien liege dies ausschließlich an der ÖVP. Man weigere sich, die demokratische Pflicht zu erfüllen und diesen Ausschuss zu konstituieren.
Sehr geehrter Herr Bundesparteiobmann, Herr Clubobmann und Herr stellvertretender Vorsitzender des Verfassungsausschusses, die ÖVP hat sich also vor sehr langem bereits zu Tierschutz in der Verfassung bekannt. Tierschutz ist der Schutz von Tieren vor dem beliebigen Zugriff durch Menschen. Die Aufnahme von Tierschutz in die Verfassung ist eine Aufwertung dieses Schutzes, also der Versuch, den durch verschiedene Menschenrechte garantierten beliebigen Zugriff auf Tiere (Freiheit der Wissenschaft, Freiheit der Kunst, Freiheit der Religionsausübung, Gewerbefreiheit etc.) etwas einzuschränken und abzuschwächen. Tierschutz in die Verfassung muss also – das ist die Intention – die Rechte von Menschen auf den Zugriff auf Tiere einschränken. Genau das will die große Mehrheit der Menschen in Österreich, und genau das muss auch die ÖVP gewollt haben, wie sie sich fortgesetzt für Tierschutz in die Verfassung ausgesprochen hat.
In welcher Form und in welchem Ausmaß der Zugriff der Menschen auf Tiere eingeschränkt wird, bestimmen sowohl verschiedene Gesetze, wie das Tierschutzgesetz und das Tierversuchsgesetz, als auch die Auslegung des Verfassungsgerichtshofs. Das ist bei konkurrierenden Staatszielen immer so und völlig unbedenklich. Der Verfassungsgerichtshof orientiert sich bei seiner Abwägung in solchen Fällen auch an der Wertehierarchie in der Gesellschaft. Je höher von den BürgerInnen Tierschutz bewertet wird, desto schwerer werden Tierschutzbedenken bei der Einschränkung von menschlichen Freiheiten und Grundrechten wiegen. Das entspricht unseren Grundideen von Rechtsstaat und Demokratie.
Es gibt also kein Argument mehr, warum Sie weiterhin die Aufnahme von Tierschutz in die Verfassung sabotieren könnten. Das Staatsziel Tierschutz ist von anderen Staatszielen völlig unabhängig. Es wäre unredlich, Tierschutz in Geiselhaft zu nehmen, um von anderen Parteien im Parlament Zusagen zu anderen Staatszielen zu erpressen. Der Schutz von Menschen ist durch die Verfassung und die Menschenrechte ausreichend gewährleistet. Die Einschränkung durch ein konkurrierendes Staatsziel Tierschutz ist gewollt und unbedenklich, die entsprechende Verfassungsentwicklung völlig normal und für eine Demokratie selbstverständlich.
In die Salzburger Landesverfassung wurde Tierschutz bereits vor über 10 Jahren aufgenommen. Auch in Deutschland, der Schweiz und anderen Staaten ist Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung verankert. Bei keinem dieser Vorbilder kam es zu bedenklichen Entwicklungen oder war ein umfassender Staatszielkatalog Vorbedingung.
Ihre KollegInnen von den Landesparteileitungen der ÖVP in Salzburg und der Steiermark haben sich bei Gesprächen mit TierschützerInnen zu Tierschutz in der Verfassung bekannt und Unverständnis dafür gezeigt, dass die Bundespartei hier blockiert.
Ich darf Sie daher noch einmal um einen persönlichen Gesprächstermin mit VertreterInnen des Tierschutzes bitten. Wenn sich die ÖVP seit mehr als 10 Jahren inhaltlich zu Tierschutz in der Verfassung bekennt und mehr als ¾ der ÖsterreicherInnen Tierschutz in der Verfassung wünschen – wie kann es da ein Problem geben, diesen Schritt endlich rasch und unbürokratisch zu vollziehen?
Hochachtungsvoll,
DDr. Martin Balluch
Obmann des Vereins Gegen Tierfabriken
Wer sich auch an die Herren wenden will:
michael.spindelegger@bmeia.gv.at Bundesparteiobmann
Karlheinz.Kopf@oevpklub.at Obmann des Parlamentsclubs
Wolfgang.Gerstl@wien.oevp.at Verfassungsausschuss ÖVP
Ich gehe davon aus, dass die Antwortmails wohl alle gleichen Inhalts sein werden: Für Mag. Gerstl sollte noch “Menschenschutz” zusätzlich mit in die Verfassung und für Norbert Totschnig gleich ein ganzer Katalog an Staatszielen.
Die ÖVP windet sich hier offensichtlich ganz gehörig um sich aus der Verantwortung zu stehlen.
es müsste doch ein protokoll der damaligen abstimmung 2004 vorliegen….oder? das müsste ja ganz leicht zu beweisen sein… damit wären diese aussagen entkräftet…