25. April 2024

Randall Adams: ¼ des Lebens unschuldig in Haft

Ich stieß auf diesen Fall in einer Berghütte in den Ötztaler Alpen. Aufgrund von Schlechtwetter konnten wir nicht aufbrechen und so durchstöberte ich die kleine hauseigene Bibliothek. Dort stand ein dickes Buch mit dem Titel „Unschuldig“. Gerade war ich aus der U-Haft entlassen worden, ebenfalls unschuldig. In kürzester Zeit hatte ich die 415 Seiten gelesen. Danach sah ich mir den Dokumentarfilm über diesen Fall an, „The thin blue line“, sehr bemerkenswert. Darin spricht die Evidenz für sich selbst, es gibt kein Kommentar der Filmemacher, ja man hört nicht einmal ihre Fragen. 1 Jahr nach Erscheinen des Films war Adams frei – nach 12 ½ Jahren Haft. Seine Unschuld erwiesen.

Ich bin sehr froh, dass es einen Rechtsstaat mit einer Gerichtsbarkeit gibt. Aber solche Fälle von Verurteilung trotz Unschuld – wie ja auch meiner – können Anlass sein, darüber nachzudenken, wie ein Rechtsstaat zu gestalten ist, sodass so etwas vermieden werden kann. Bei mir war es ein politisches Verfahren, es gab also politische AuftraggeberInnen, und deshalb war meine Unschuld von Anfang an nicht das Thema. Woran aber lag der Justizirrtum im Fall Adams?

Im November 1976 blieb Adams in Dallas, Texas, USA, mit seinem Auto ohne Benzin liegen. Auf dem Weg mit einem Kanister zur nächsten Tankstelle nahm ihn der 16 jährige David Harris mit. Ohne dass Adams es wusste, saß er in einem gestohlenen Wagen. Harris war von zu Hause abgehauen und hatte auch die Pistole seines Vaters dabei. Gesucht wurde er wegen Einbruchsdiebstahls. Die beiden verbrachten einige Stunden zusammen, trennten sich dann und Adams übernachtete bei seinem Bruder. Harris wurde 2 ½ Stunden nach der Trennung von einer Polizeistreife angehalten und erschoss einen Polizeibeamten. Er konnte entkommen, erzählte aber überall herum, dass er einen Polizisten getötet hatte. Schließlich kam das auch der Polizei zu Ohren und sie verhörte ihn. Er hatte bis dahin schon zahlreiche Gewaltverbrechen begangen und eine lange Vorstrafenliste. Die Pistole, die er immer noch besaß, stellte sich als die Tatwaffe heraus. Daraufhin behauptete Harris einfach, Adams sei damals in seinem Auto gesessen und habe auf den Polizisten geschossen.

Ein übermotivierter Staatsanwalt nahm sich des Falles an. Bisher habe er noch keinen einzigen Fall „verloren“, so sollte auch Adams verurteilt werden. Und tatsächlich: Adams erhielt die Todesstrafe. Gründe dafür waren:
•    Adams konnte sich, so lange danach, nicht mehr genau an die Einzelheiten dieses Tages erinnern. Beim Verhör wurde er von der Polizei massiv bedroht und hatte keine AnwältInnen zu seinem Schutz. Sein Bruder gab ihm zunächst ein Alibi, zog aber seine Aussage aus Angst zurück und trat im Verfahren nicht mehr als Zeuge auf.
•    Harris wurde als Kronzeuge vom Staatsanwalt genau gebrieft, wie er sich verhalten soll und was er auf Fragen vor Gericht zu antworten habe. Seine eigenen offenen Strafverfahren wurden eingestellt. Das durfte aber vor den Geschworenen nicht erwähnen.
•    Ein Pärchen war kurz vor den Schüssen am Tatort vorbeigefahren und hatte ursprünglich angegeben, im Auto einen Hispanik oder Afroamerikaner gesehen zu haben, Adams aber war weiß. Dann griff der Staatsanwalt ein: nach einer Belohnung von 23.000 Dollar und Hilfe für die Tochter, die wegen Raubes vor Gericht stand, erinnerte sich das Pärchen plötzlich genau an den Täter. Es sei Adams gewesen. Bei der Gegenüberstellung konnten sie ihn zwar nicht identifizieren, aber die Polizei machte sie darauf aufmerksam, wer der “Richtige” war.
•    Gerichtsgutachter James Grigson behauptete nach einem 20 minütigen Gespräch mit Adams in dessen Zelle, dass dieser ein gefährlicher Psychopath sei, der sofort wieder Gewaltverbrechen begehen würde, wenn er die Chance dafür bekäme. Dabei war Adams zu diesem Zeitpunkt unbescholten und bereits 28 Jahre alt. Grigson hat mit ähnlichen Gutachten insgesamt 167 Menschen in die Todeszelle gebracht.

Adams Unschuld konnte letztlich bewiesen werden, weil Harris 12 Jahre später gegenüber dem Filmteam von „The thin blue line“ die Wahrheit sagte. Später zog auch das Pärchen seine Aussage zurück. Adams erhielt nie auch nur einen Cent Entschädigung für seine Haftzeit und für die erlittene Todesangst in Death Row. Er starb 2010 an einem Gehirntumor.

Was wir für ein faires Verfahren lernen können:
•    StaatsanwältInnen sind nicht objektiv, sie müssen kontrolliert werden und als Partei im Verfahren gelten.
•    GerichtsgutachterInnen der Anklage sind nicht neutral. Es muss der Verteidigung möglich sein, Gegengutachten zu präsentieren.
•    Die Einvernahme von ZeugInnen muss von Anfang an filmisch dokumentiert werden, sodass auffällt, wenn sie ihre Meinung ändern. Es darf keine Vergünstigungen für ZeugInnen geben.
•    Ein Briefing von ZeugInnen durch die StaatsanwältInnen muss ganz klar ausgeschlossen sein.

Ein Gedanke zu “Randall Adams: ¼ des Lebens unschuldig in Haft

  1. • StaatsanwältInnen sind nicht objektiv, sie müssen kontrolliert werden und als Partei im Verfahren gelten.
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    • GerichtsgutachterInnen der Anklage sind nicht neutral. Es muss der Verteidigung möglich sein, Gegengutachten zu präsentieren.
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    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/fbi-skandal-um-falsche-dna-proben-a-1029599.html
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    http://www.focus.de/politik/ausland/kriminalitaet-fbi-lieferte-jahrzehntelang-falsche-forensische-analysen_id_4623825.html
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    Und hier gaben wissenschaftliche Beweise den Ausschlag, die noch „sicherer“ waren als lückenhafte, fahrige Zeugenaussagen.
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    Nur ein einziger in einem demokratischen Land von öffentlichen Organen „im Namen des VOLKES“ nachweislich unschuldig hingerichteter Mensch ist einem so schweren Verbrechen zum Opfer gefallen, das allein die Möglichkeit, das so etwas passiert, dazu führen müsste, die Todesstrafe abzuschaffen.

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