5. November 2024

Streit in der Tierschutzszene

Am 28. Mai habe ich in Stuttgart einen Animal Liberation Workshop abgehalten. Mehr als 50 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, eine beeindruckende Zahl, auch im Vergleich mit österreichischen Verhältnissen. Vielen Dank an die lokalen AktivistInnen, die mit Aufwendung ihrer persönlichen Finanzen und ihrer wertvollen Freizeit die Veranstaltung ermöglichten und alle TeilnehmerInnen verköstigten.

Insbesondere hat mich die große Anzahl an InteressentInnen gewundert, weil in Deutschland der Streit innerhalb der Tierschutz- und Tierrechtsszene ja schon legendär ist. Was für die einen zu reformistisch ist, ist für die anderen keine Basis für reale Fortschritte. Die nächsten lehnen eine bürgerliche Vereinsstruktur ab, oder gleich den bürgerlichen Rechtsstaat, und sprechen deshalb von Tierbefreiung statt von Tierschutz oder Tierrechten, und halten Vereine für antiemanzipatorisch. Oder religiöse Gruppierungen bzw. Weltanschauungen werden abgelehnt und ihre ProtagonistInnen ausgegrenzt. Was für die einen effektive Werbung zum Vorteil der Tiere ist, ist für die anderen Sexismus und Ausbeutung der Frau. Und tatsächlich haben mir AktivistInnen aus Stuttgart ihr Leid geklagt, dass auch dort die Gruppen sich in Subgruppen spalten, die miteinander nicht mehr können, ja sich vielleicht sogar bekriegen.

Mit solchen Differenzen kann man nämlich einerseits vernünftig umgehen, indem man sie diskutiert, vielleicht versucht die anderen zu überzeugen oder wenigstens zu sensibilisieren, und möglicherweise einfach akzeptieren muss, nicht überein zu stimmen, aber dennoch im Sinne der Tiere die ähnlichen Ziele verfolgt. Oder man schreitet zur Denunziation. Dazu habe ich schon vor vielen Jahren – lange vor dem Tierschutzprozess – einen Reader verfasst, der im Übrigen auch in der Anklageschrift gegen mich angeführt wurde:

http://www.vegan.at/warumvegan/tierrechte/denunziation_und_aufsplitterung_in_der_tierrechtsbewegung.html

In dem Reader findet sich folgende Definition:

Die Denunziation in der Tierrechtsbewegung ist das öffentliche Anschwärzen und Brandmarken anderer wegen gewisser Aussagen, die diese gemacht, oder Handlungen, die diese gesetzt haben, die aber im herkömmlichen oder milieuabhängigen Verständnis der Gesellschaft abgelehnt werden. Die Denunziation geht immer von innerhalb der Bewegung aus und wird mit internem Wissen gespeist. Zumeist geht sie mit der Forderung einher, die denunzierte Person oder Gruppe soll vollständig ausgegrenzt und aus der Bewegung ausgestoßen werden. Wer sich nicht daran hält und nicht mitausgrenzt, der oder dem droht ebenso Denunziation und Ausgrenzung. Üblicherweise führt so die Denunziation zur Spaltung und Aufsplitterung einer Bewegung in viele Fraktionen, die sich gegenseitig mehr bekämpfen als ihre gemeinsamen eigentlichen GegnerInnen. Die Folge ist eine allgemeine Schwächung der Bewegung, die bis zur Selbstzerstörung führen kann.

Der Lösungsvorschlag im Denunziationsreader sieht so aus:

Szenario: Person X oder Gruppe Y vertritt eine weltanschauliche Meinung, in Worten oder Taten, die mir widerstrebt, und sei es nur durch wenig Sensibilität. Es gibt 3 mögliche Lösungswege:

1) Nach einer persönlichen Diskussion (oder nicht) akzeptieren wir gegenseitig, dass wir andere Meinungen haben, erkennen aber, dass das gemeinsame Ziel Tierrechte wichtiger ist und kooperieren trotzdem, mit Vorbehalten.

2) Nach einer persönlichen Diskussion (oder nicht) akzeptieren wir gegenseitig, dass wir andere Meinungen haben, und deshalb beschließe ich mit XY nicht mehr zusammenzuarbeiten. Wir arbeiten also parallel nebeneinander her für Tierrechte, kooperieren aber überhaupt nicht und haben nichts miteinander zu tun. Wir schaden uns also auch nicht gegenseitig.

3) Ich trenne die Idee von ihrer Trägerin und führe eine öffentliche Diskussion über die Idee selbst und versuche die Bewegung und vielleicht auch die gesamte Öffentlichkeit von meiner negativen Meinung zu der Idee zu überzeugen, ohne XY in irgendeiner Weise persönlich zu erwähnen oder zu attackieren. Dadurch ermögliche ich eine echte, konstruktive Diskussion ohne Feindseligkeiten oder Denunziation. Nur so kann XY umdenken und sich ändern.

Das scheinen mir die drei gangbaren, konstruktiven Wege zu sein.

Angesichts der internen Streitereien in Deutschland und zum Teil auch in Österreich halte ich diese Einsichten für aktueller denn je!

9 Gedanken zu “Streit in der Tierschutzszene

  1. Vielleicht irr ich mich ja, und kolli+radio ist gerade anderweitig beschäftigt und wird bald antworten, aber “Kritik” am VGT aus dieser Richtung kam immer so (meistens aus Deutschland): unspezifisches Geschimpfe, falsche Gerüchte und nie an den VGT oder mich direkt gerichtet, sondern immer an jene, die man negativ zu beinflussen hofft, also immer in Form von Denunziation.

    Wenn man ehrlich den VGT ändern wollen würde, wäre nichts leichter als das. Der VGT hält alle 2 Monate ein Plenum ab, wo man Kritik vorbringen kann. Wenn man eine große eigene Diskussion führen will, könnte man das jederzeit organisieren und es wären sicher viele AktivistInnen des VGT bereit, mitzudiskutieren. Es gäbe viele Ebenen der konstruktiven Auseinandersetzung und es gibt ja auch laufend intern kritische Diskussionen. Doch diese “KritikerInnen” sind zu keiner Diskussion bereit und waren das auch nie. Ich denke das sagt alles.

  2. @kolli+radio:
    Vielleicht kannst Du in kurzen Worten ausführen, was Deine Kritik am VGT ist, beziehungsweise welche Kritik am VGT Du meinst.

  3. du hast nach wie vor keiner ahnung von der deutschsprachigen tierrechtsbewegung, das offenbart dein text. und die kompetenz, diese problematiken respektvoll zu diskutieren, ging dir bisher auch abhanden, wenn du oder die politik der vgt kritisiert wurden. schade eigentlich…

    mal schauen, ob das hier gelöscht wird.

  4. das ist echt ein ausgemachter blödsinn!
    alle anderen als irrational streitend, nur dich bzw euch selbst als rational diskutierend darzustellen ist echt eine frechheit. stell dich nicht so ausserhalb aller streits, die es zweifelsohne gibt, aber die du selbst immer wieder am heftigsten angefacht hast.
    als einflussreicher mensch in einer polit-bewegung ist es der gangbarste weg alle rauszumobben, die einem nicht gefallen, dann entledigt man sich des streites langfristig ohne kritik irgendwie annehmen zu müssen.
    was du machst ist, alle als irrationale “denunziaten” (wahnsinniges wort übrigends) zu brandmarken, die dich und deine politik kritisieren.

  5. Es muss eine Mindestbasis geben, der alle Menschen, die Tieren helfen wollen gemeinsam haben: Respekt vor dem Leben an sich. Das führt notwendigerweise zum Respekt vor Menschen und Tieren. Der “bürgerliche Rechtsstaat” ist letzlich nichts anderes als die gelebte oder verschriftlichte Form dieses Respekts – zumindest sollte es das sein. In den Punkten, wo das noch nicht so ist, können wir gemeinsam daran arbeiten (siehe: Demokratie).
    Ich reg mich furchtbar darüber auf, dass der gemeinsame höchste Wert (Schutz von Leben) wegen Lapalien (persönlichen Animositäten) in den Hintergrund tritt. Sollen andere doch gern das heilige Murmeltier betanzen, Ärmelschoner-tragende Vereinsmeier sein, oberflächliche Deppen sein oder mich für einen solchen halten – Hauptsache, die Basis stimmt. Gewisse Typen haben kein Gespür für Größenordnungen. Das ist ermüdend.

  6. Aktuell, ohne Zweifel. Hier auf jeden Fall. Aber: Das “We agree to disagree” scheint mir der einzig gangbare Weg, egal ob mit Zusammenarbeit oder nur gegenseitiger Akzeptanz (also Möglichkeit 1 oder 2).
    In einer öffentlichen Diskussion kann es doch kaum gelingen, sich mit der “Idee” so auseinanderzusetzen, dass sich die “Träger” nicht angegriffen fühlen, oder? Zumindest nicht nach außen hin. Darum scheint mir das mindestens riskant und im Ergebnis fragwürdig.
    Um konstruktiv im Interesse der Tiere tätig zu sein, ist das einzig legitime Kriterium, profitieren die Tiere davon, verbessert sich ihre Lage auf lange oder kurze Sicht?
    Und wenn ja, dann kooperiere ich zu diesem Zweck auch mit einem Piraten oder einem Kreationisten oder wem auch immer. Ich freue mich auch über jeden Veganer/Vegetarier, den ich treffe, egal welche Partei er wählt oder welchen Gott (falls überhaupt) er anbetet.
    Den Tieren ist egal, aus welchen weltanschaulichen oder politischen Motiven jemand für ihre Rechte eintritt oder ihre Situation verbessert. Nur dass jemand für sie eintritt (und zwar a] wirkungsvoll und b] ohne Mißverständnisse und unerwünschte Nebenwirkungen) ist wichtig. Das muss es uns auch, zumindest auf der praktischen Ebene.
    Es ist unsinnig zu warten, bis ich jemand treffe, der auf genau der gleichen Linie ist wie ich, was Tierrechte, Politik, Religion etc. anbetrifft. In meinem Fall kenne ich nur einen einzigen Menschen, auf den das zutrifft.
    Aber dafür, auf die Straße zu gehen, um für Paul Watson zu demonstrieren, um Albert Schweitzers Grunzmobil zu unterstützen oder Emailkampagnen zu machen reichen wir allein nicht aus. Da frage ich nicht nach Partei oder Religion.
    Die Mutterschweine im Kastenstand fragen auch nicht, aus welchem Motiven Du für sie eintrittst – nur dass Du es tust, ist wichtig, je mehr von uns dest besser.
    Vielleicht schade, dass alle, die an Tieren und Tierrechten interessiert sind, uns dazu nicht öfter – so wie neulich in Berlin, oder Du jetzt in Stuttgart? – an einem Tisch setzen.

  7. Hallo Du “alter” Tierrechtskämpfer, hättest etwas früher was gesagt das die deutsche Tierreechtsszene doch so gerne magst, dann hättest gleich zum Stuttgarter Nachbarort Tübingen an die Universität kommen könen. Dort ist gerade der teilweis urspannende Europakongress on Agriculture -and Foodethics http://www.eursafe.org/. Best Erwin
    best

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