5. November 2024

Tatort Wald

Georg Meister hat die Jagd sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Sein Vater ging mit ihm von Kindheit an auf die Pirsch, mit 12 war sein schönstes Geburtstagsgeschenk eine Jagdflinte und die ersten selbst erschossenen Tiere erzeugten in ihm eine überwältigende Begeisterung. Eine Biographie, die schwerlich Kern eines jagdkritischen Buchs sein kann, meint man. Und doch gelingt Claus-Peter Lieckfeld mit seinem Buch „Tatort Wald“ im Westend Verlag genau das. Meister bekehrte sich nämlich vom Saulus zum Paulus, im Alter von 25 Jahren vom fanatischen Jäger zum jagdkritischen Förster. Wobei allerdings aus Tierschutzsicht der Wandel nicht komplett ausfiel: zwar kritisiert Meister die Jagd mit jedem Satz, praktiziert sie aber weiterhin selbst, wenn auch nur, um ihre Fehler wieder auszugleichen. Er reduziert, wo er kann, die durch die Fütterungen überzüchteten Überpopulationen. Das Buch verfolgt in einer engen Verschränkung Georg Meisters Leben und seinen waldbaulichen und sehr jagdkritischen Einsichten und liefert zahlreiche faktische Belege für seine Behauptungen.

Die nationalsozialistischen Wurzeln der heutigen Hegejagd

Schon ab dem späten Mittelalter wird das Volk aus dem Wald gedrängt und ein Bannwald errichtet, damit Adel und Klerus ungestört ihrer Jagdleidenschaft frönen können. Die Revolution 1848 verband zwar das Jagdrecht aber nicht das Jagdausübungsrecht mit dem Grundeigentum. So wurde die Jagd zunehmend neben dem weiterhin grundbesitzenden Adel auch von bürgerlichen Großindustriellen übernommen. Dieser „Geldadel“ kaufte große Ländereien auf und vertrieb die Menschen von den Almen und abgelegenen Ortschaften, um das Land frei für die Jagd zu bekommen. Carl Emil Diezel begründete 1849 die Hegejagd, deren Prinzipien nach Fütterung und Zuchtauswahl aus der Viehzucht übernommen wurden. Die Wildnis sollte kultiviert, die jagdbaren Tiere gezüchtet und das „Raubzeug“ ausgerottet werden. Unter Reichsjägermeister Hermann Göring entstand 1934 im Dritten Reich ein neues Reichsjagdgesetz, das vorschrieb, das jagdbare Edelwild durch Zuchtauswahl zu verbessern und das Raubwild zusammen mit dem schwachen Edelwild auszumerzen. Verpflichtend wurde daher die konsequente Fütterung, insbesondere im Winter. Der Begriff Weidgerechtigkeit wurde eingeführt und bedeutet seitdem, das Edelwild nur bei „fairer“ Chance zur Flucht zu töten, während Bären, Wölfe, Luchse aber auch Füchse, Marder und Raubvögel nach Belieben und zu jeder Tag- und Nachtzeit umgebracht werden können und sollen. Nach Ende des 2. Weltkriegs übernahm Deutschland 1949 dieses Reichsjagdgesetz praktisch wörtlich ins Bundesjagdgesetz.

Die Jagd bedroht den Wald

Autor Lieckfeld und geläuterter Förster Meister erklären, was dann geschah. Durch die Überfütterung von vor allem Reh und Hirsch, damit eine Zucht auf möglichst große Trophäenträger möglich ist, entstand eine große Überpopulation im Wald, die praktisch alle Baumarten durch Verbiss verdrängte, außer Fichte und Föhre. Deren Rinde verholzt und ist für die Paarhufer nur sehr bedingt genießbar. Die Folge waren große Fichtenmonokulturen, die nicht nur eine dramatische Einschränkung der Artenvielfalt bedeuten, sondern das Entstehen eines naturnahen Mischwaldes völlig verhindern. Meister wird nicht müde, alle Konsequenzen, die die Hegejagd und die von ihr verursachte Überpopulation von Paarhufern für den Wald bedeutet, aufzuzählen und zu beschreiben:
•    Hochwassergefahr: die Humusbildung im Boden ist bei Fichten und Föhren viel geringer (8-17 t/ha) als im Mischwald (85-140 t/ha), sodass im Niederschlagsfall nur mehr 16 l/m² statt 110 l/m² an Wasser aufgesogen werden kann;
•    Sturmschäden: tiefwurzelnde Eichen können 8 Mal stärkeren Sturmböen widerstehen, als flachwurzelnde Fichten, ein hoher Prozentsatz der Bäume fällt heute um, bevor sie für die Forstwirtschaft gefällt werden können;
•    Lawinenschutz: Der Hochwald im Steilgelände kann die Lawinenbildung nicht verhindern, wenn er durch Verbiss geschädigt wird und keine Verjüngung möglich ist, und mit flachen Wurzeln wesentlich weniger Druck widersteht;
•    Klimaerwärmung: Fichten und Föhren brauchen ein kälteres Klima, bei Erwärmung fallen sie in Massen dem Borkenkäfer zum Opfer, während die klimaresistenteren Bäume des Mischwaldes durch die Überhege nicht aufkommen;

Die Kosten für die Schäden durch Hochwasser, Sturm, Lawinen und Klimawandel, bzw. die Kosten für Schutzmaßnahmen dagegen, sowie für die Maßnahmen zur Verjüngung des Waldes (Zäune etc.), übersteigen bei weitem die Jagdpacht und müssen zudem aus Steuern beglichen werden. Sie stellen also quasi eine Subventionierung der Jagd durch die Allgemeinheit dar. Die Jagd verursacht hohe Kosten.

Aber selbst zahlreiche scheinbar unbedeutende Aspekte der Jagd hätten Auswirkungen. So würden z.B. Eichelhäher ihrer bunten Federn wegen abgeschossen, obwohl sie als Verbreiter von Eicheln für die Wiederansiedlung und Verjüngung des Eichenwaldes unabdingbar sind. Doch es sei politisch nicht möglich, im Sinne des Waldschutzes eine Einschränkung der Jagd zu erreichen. JagdkritikerInnen werden politisch mundtot gemacht, die Schuld für Waldverbiss wird auf die Wanderer geschoben. Meister: Es gibt wohl keine vergleichbar zahlenschwache Lobby mit einer ähnlich mächtigen politischen Unterstützung.

Die Zukunft

Abhilfe wäre laut Meister:
•    Keine Fütterungen und keine Wildgatter mehr
•    Abschuss der Paarhufer auf ein naturverträgliches Maß
•    Einwanderung von Raubtieren erlauben, Luchse seien bessere und selektivere Jäger
•    Die Jägerschaft sollte die echten Kosten von Wildschäden am Wald bezahlen müssen

Die Folge wäre ein natürlicher Wechsel zu einem Mischwald innerhalb einiger Jahrzehnte. Zusätzlich würden die Paarhufer deutlich weniger Parasiten und Würmer, aber dafür einen besseren Ernährungszustand haben, und viel seltener im Straßenverkehr sterben. Durch den Nahrungsengpass im Winter reduzieren die Rehe ihre Geburtenrate und ohne Winterfütterung wäre auch die Rotwildpopulation nur 10-20% von der heutigen.

9 Gedanken zu “Tatort Wald

  1. Liebe Susanne,
    Haben Sie den persönlich das Gefühl, dass es unserem Wald schlecht geht?- natürlich nimmt die Waldfläche aus den von Ihnen genannten Gründen insgesamt zu, doch bedeutet es auch, dass Schläge oder bzw. Verjüngungen ebenfalls wieder anwachsen, und das meist ohne dass Mensch etwas dazutun muss.

  2. Der Wald in Österreich wächst vor allem weil die Almen nicht mehr bewirtschaftet werden. Angeblich auch weil Besitzer kleiner Wälder ihren Wald nicht pflegen. Auch Ackerland wird aufgegeben, weil es unrentabel ist. Das bedeutet aber nicht, dass “der Wald” wächst, weil die Bäume so gesund sind, der Wald also gesund ist und eh alles in Ordnung ist, sondern dass mehr Fläche vorhanden ist. Offiziell ist natürlich immer alles super in Ordnung, das ist klar. Man kratzt immer nur an der Oberfläche.

  3. Ahh, hier ist eh nun Herr Baluch, dass mir von Ihnen empfohlene Buch, mit desse Hilfe ich mich über den Zustand des Waldes informieren sollte- und noch immer stehen wir beide meiner Meinung nach Patt- Ich verstehe Ihren Ansatz durchaus– weniger Tiere-weniger Jagd- weniger erlegte Tiere- wenn ich dass mal so ausdrücken/vergleichen darf: Über Geschmack kann man schlecht streiten- und gut ist es so- wäre die Welt grau, ach wäre sie langweilig….Nur über die eingesetzten Mittel um die jeweiligen Ziele zu erreichen, darüber kann man bitte doch diskutieren- und hier zähle ich auch diesen Bericht über dieses Buch- weil: Dies ist nichts anderes als Bauernfängerei-man sehe die ersten Kommentare…

    Will ich mich über den Wald informieren, wissen Sie, dann verfolge ich eher Ihren Weg, ich packe meine Sachen und streife durch die Wälder, und sehe: der Wald wächst und gedeiht, und dies tut er schon ziemlich lange, Jahr für Jahr nimmt die Waldfläche in Österreich zu und dass trotz der ach so unnatürlichen hohen Wildbestände und auch ein Mischwaldanflug findet satt. – Jetzt werden Sie sagen-ahh ja, sicher nimmt er zu- aber dies geht nur mit enormen Kosten und waldbaulichen Maßnahmen (was für ein Wort ansich..)- aber ich sagen Ihnen was, ich und die Jagd, wir können eher wenig dafür dass bei einer Mehrheit der Bauern und Waldbesitzer seit Jahrzehnten die Geldzeichen in den Augen blinken und sie wie fanatisch nach jedem Mischwald-Schlag- Fichten und dies im gefühlten 20 cm Abstand aussetzten (von denen natürlich 3/4 im Laufe der Zeit wieder rausgeputzt werden müssen)- und dies alleine, dass wissen sie Herr Balluch auch, ist der Grund für Fichten -monokulturen- Sie wächst einfach schneller und bringt einfach früher Geld. Der Mensch nimmt sich einfach keine Zeit mehr dem Wald beim Wachsen zuzuhören…Schade eigentlich…Und schade eigentlich, dass Sie sich als Wissender solcher Mittel bedienen…ein Buch eines fanatischen Förstesr…ein Blog Eintrag.. und die ersten Kommentare darüber, dass Jagd Überschwemmungen erzeugt…Der Mensch baut ans Wasser, der Mensch erzeugt den Klimawandel, dann baut er ein bisschen am Wasser rum- doch siehe es reicht nicht- was tun? Die Tiere müssen den Wald verlassen, ja das ist die Lösung…

  4. Da gibt es wahrscheinlich nur eine Möglichkeit. Wenn irgendwo ein großes Unglück geschieht, aufgrund des Waldzustands – also eine Überschwemmung, oder was auch immer – die dort zuständigen Jäger verklagen und wissenschaftliche Beweise vorlegen. Nur dann wird die ÖVP Politik vielleicht verändert. Diese Leute verstehen keine andere Sprache. Nur wenn es um ihren eigenen Besitz geht, dann werden sie aktiv. Wahrscheinlich wird sich aber niemand finden der so etwas macht, der sich das getraut.

  5. Waidgerechtigkeit, nicht Weidgerechtigkeit 😉
    (auch wenn die Jagd quasi wehrlos ausgelieferte Weidetiere aus den früher autarken Wildtieren gemacht hat).

    Dennoch kein Zufall, dass ausgerechnet der dicke Göring, der auch gern mit maßgefertigten roten Seidenstrümpfen in der Art eines Renaissancefürsten posierte, mit seiner soliden Halbbildung das schon damals veraltete Wort “Waid-” wählte.

    Im Gesetz verankert ist die “Waidgerechtigkeit” wohl nur in Deutschland und Österreich. Wer will schon in dieser Tradition stehen?

    Die Einflüsse der Jägerwünsche auf die Baumbepflanzung und der durch jagdliche Interessen verursachte Wechsel vom Mischwald zum Nadelwald, wie hier beschrieben, ist etwas, das viel zu wenig bekannt ist – und in seiner Konsequenz eigentlich ausreichen müsste, um den unverschämten Einfluss der jagenden Gesellschaft ein für alle Mal zu unterbinden.

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