5. November 2024

Tierschutz ein Kulturkampf?

Den Aussendungen von Landwirtschaftsseite zu unserer Kritik am Kastenstand und an den generellen Haltungsbedingungen von Schweinen in Vorarlberg ist zu entnehmen, dass sich die VertreterInnen der Tierindustrie in ihrer gesamten Lebenseinstellung kritisiert fühlen. Ihre Lebensauffassung, in der sie sozialisiert wurden, sieht offenbar kein Mitleid mit sogenannten „Nutztieren“ vor. Man kalkuliert deren Haltung nach Kosten und Nutzen, man ist überhaupt nicht in der Lage, sich in die Tiere hineinzuversetzen. Ja, letzteres erscheint so absurd, dass es schon an Blasphemie grenzt.

Der Verband Österreichischer Schweinezüchter kann sich das Verhalten der Tierschutzorganisationen nur durch Interesse an „Spendenmillionen“ erklären. Die anderen Player in der Kastenstandcausa, wie Volksanwaltschaft, Parteien und Gesundheitsministerium, hätten eine hinterhältige politische Agenda. Die PosterInnen im Landwirt-Forum können sich auch keinen Reim aus dem Verhalten der TierschützerInnen machen. Die Fotos von „normaler“ Haltung – für sie der Alltag – entsetzt weite Teile der Bevölkerung, da könne es sich wohl nur um eine Verschwörung bis in ORF-Kreise hinein handeln.

Einig sind sich alle im Ruf nach den Repressionsbehörden. Bei der Kritik am Kastenstand ist zwar weit und breit keine radikale Position zu erkennen, aber dennoch sei der Tierschutzprozess gegen TierschützerInnen, die solches äußern, nur allzu verständlich, ja nachgerade begrüßenswert. In seinem Buch „Green is the new Red“ beschreibt Will Potter die Repression von Tierschutz in den USA und schließt, dass sich der traditionelle, der Tiernutzung verschriebene Wirtschaftssektor, wie Tierindustrie und Jägerschaft, im Kern seiner Lebensauffassung durch Tierschutz bedroht fühlt. Anders ließe sich die Vehemenz der Verfolgung und der Aufwand, der dafür getrieben wird, nicht erklären.

Ich war einmal mit einer Gruppe von TierschützerInnen auf einem Tiermarkt. Wir filmten die Haltung und den Umgang mit den Tieren und stießen dabei natürlich nicht auf Gegenliebe der dortigen TierhändlerInnen. Da sah eine Aktivistin ein Putenküken in einem Käfig zum Verkauf angeboten, das in einem erbärmlichen Zustand war. Wir riefen den Amtstierarzt. Als dieser kam und den Bauern bat, das Küken anschauen zu dürfen, nahm der Bauer das Tier vor unseren Augen aus dem Käfig und drehte ihm den Hals um, ja riss ihm förmlich den Kopf ab. Das Ganze war so entsetzlich mitanzusehen, dass viele von uns angesichts des verzweifelt flatternden Vogels mit völlig verdrehtem Kopf in Tränen ausbrachen. Der Bauer konnte die gesamte Aufregung nicht begreifen. Das Küken war zum Verkauf gedacht, wenn es wegen ihm Schwierigkeiten gab, die seinen Verkaufswert überstiegen, dann wurde es eben entsorgt. Für uns war seine Handlung unfassbar brutal.

Gestern sprach ich mit einem Mann über unsere Schweinerecherche in Vorarlberg, der stolz von sich sagte, in vierter Generation Schlachter zu sein. Er meinte, unsere Ansprüche seien völlig absurd, aber am Extremsten wäre, dass wir davon sprechen, dass Schweine schwanger sein können und essen würden. Schweine seien trächtig und sie würden fressen und Punkt. Menschliche Begriffe für Schweine zu verwenden beweise, wie radikal fundamentalistisch extrem militant wir wären.

Diese Erklärung halte ich für erstaunlich und vielsagend zugleich. Erstaunlich deshalb, weil die biologischen Funktionen von Schwangerschaft und Nahrungsaufnahme zwischen Menschen und Schweinen wohl so ähnlich sind, dass man sie auch ähnlich bezeichnen kann. Die Evolution lehrt uns, dass hier eine Kontinuität ohne Brüche besteht. Nur wenn man einer Religion anhängt, die die Evolution leugnet, kann man diesem Argument vielleicht nicht folgen. Vielsagend ist die Aussage andererseits, weil offenbar genau dieser Aspekt der Ähnlichkeit zwischen Mensch und Schwein bzw. anderen Tieren der größte Aufreger zu unserer Kritik ist. Schon Florian Klenk im Falter, der sich gegen die Tierschutzangeklagten eingeschossen hatte, nannte scheinbar unmotiviert seinen Artikel „nichtmenschliche Tiere“, und unterstrich damit vielleicht unbewusst, dass ihn genau dieser Aspekt, nämlich der Vergleich von Mensch und Tier, am meisten aufregte. Ich habe einige Dokumentarfilme für den Schulunterricht gedreht, die z.B. die Schweinehaltung thematisieren. Das Unterrichtsministerium weigerte sich, diese Filme für SchülerInnen unter 17 Jahren zu approbieren, aber nicht wegen etwaiger grauslicher Szenen, sondern explizit, weil im Film von schwangeren statt trächtigen Schweinen und von Tieren, die essen statt zu fressen, die Rede ist. Menschen, die jünger als 17 sind, muss man offenbar von dieser Terminologie fernhalten, weil sie, wie mir persönlich von Amts wegen erklärt wurde, das am Ende ernst nehmen könnten.

Die Wirksamkeit der Kritik von Tierschutzseite an der Tierhaltung basiert letztendlich auf der Fähigkeit der AdressatInnen, sich mit den betroffenen Tieren identifizieren und mit ihnen mitleiden zu können. Die Lebenswelt jenes Segments der Bevölkerung, das von der Tierindustrie lebt, schließt vom Grundsatz her bereits eine derartige Identifizierung aus. „Tiere“, so heißt es, sind „die anderen“ und haben mit „uns“ grundsätzlich nichts gemeinsam. Insofern ist Tierschutz tatsächlich ein Kulturkampf, ein Grundsatzkonflikt, der nicht nur tief in die Lebenswelt der ProtagonistInnen eingreift, sondern auch Einstellungen betrifft, die sich zumindest seit Jahrhunderten in der Gesellschaft etabliert haben. Die SOKO sprach davon, dass die angebliche kriminelle Organisation – also die Tierschutzbewegung – eine „Tierrechtsrevolution“ zum Ziel hat. Da liegt sie vielleicht gar nicht so falsch, weil für Tierschutz scheinbar tatsächlich eine Revolution im Denken notwendig ist, die sich wahrscheinlich erst über Generationen vollziehen kann.

2 Gedanken zu “Tierschutz ein Kulturkampf?

  1. Was das Landwirschaftsministerium betrifft, habe ich mich hingesetzt und einen Brief geschrieben, Meine Mutter ist 84 Jahre alt und wusste nicht wie Schweine gehalten werden. Ohne Arbeit der Tierschutzorganisationen wüsste ich es wohl auch nicht. Sie sah im Fernsehen einen Film über Kastenhaltung von Schweinen – was sie mir erzählte – und sie war so entsetzt, dass sie einige Nächte lang nicht schlafen konnte. Sie isst selten Fleisch, nicht aus Überzeugung, sondern weil man bei uns nie viel Fleisch aß und seit sie diesen Film sah entschied sie, nie mehr Schweinefleisch zu essen. Das schrieb ich dem Minister und auch, dass diese Haltung von Tieren rein sadistisch ist. Das ist schon länger her, zufällig habe ich gerade gestern, als über eure Demo berichtet wurde, die Antwort erhalten. Die möchte ich euch nicht vorenthalten:

    Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft dankt für
    ihr Schreiben zum Thema Änderung der 1. Tierhaltungsverordnung wobei sie die Zuchtsau-
    enhaltung im Besonderen erwähnen.
    Im Zeitraum der Trächtigkeit von Sauen schreibt die österreichische Rechtslage die Gruppen-
    haltung bereits vor. Eine Übergangsfrist für alte Ställe endet mit 01.01.2013. Dann müssen alle
    Sauen in Gruppen gehalten werden. Dies ist ein Fortschritt beim Tierschutz in der Zuchtsau-
    enhaltung. Die österreichischen Schweinebauern haben in Hinsicht auf die neue Gesetzeslage
    schon € 200 Mio investiert und bis zur Umsetzung dieser Anforderung müssen noch weitere
    rund € 150 Mio. investiert werden. Nur ein Teil davon kann über eine öffentliche Investitions-
    förderung abgedeckt werden.
    Die sogenannten Kastenstände in der Abferkelbucht tragen ihren Namen Ferkelschutzkorb zu
    Recht. Junge Ferkel sind kurz nach der Geburt noch nicht beweglich genug, um rasch genug
    ausweichen zu können und werden zum Teil durch das Muttertier erdrückt.
    Haltungsstandards müssen strikt eingehalten werden und werden durch laufende Kontrollen
    abgesichert.
    Jedenfalls muss das Gesundheitsministerium ernsthafte Gespräche mit den betroffenen Bran-
    chen führen, um dann gegebenenfalls praxistaugliche Regelungen zu erarbeiten. In einem
    gemeinsamen Markt können wirkliche Fortschritte im Tierschutz vorwiegend nur gemeinsam,
    also auf europäischer Ebene, erzielt werden.

    Ansonsten besteht die große Gefahr, dass die österreichische bäuerliche Produktion durch
    Importe ersetzt wird. Damit ist auch dem Tierschutz nicht geholfen.
    Zudem wird der Ausbau des Biolandbaus vom Lebensministerium seit langem massiv unter-
    stützt. Weiter vorangetrieben wird die Forschung zur Entwicklung und Verbreitung neuer und
    besserer Haltungssysteme. Tierschutz ist in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung ein ver-
    antwortungsvoller Prozess.
    Das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hofft, mit
    dieser Antwort gedient zu haben.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ombudsmann Dr. Gustav Fischer

    Ich glaube auch, dass es auf EU-Ebene eine Lösung geben muss. Nur wie soll es sie geben, wenn dort vor allem die Vertreter der Bauern und der Industrie sitzen, denen es nur um billige Produkte geht? Es wäre schon genug, wenn ein Land Tierschutz für sich entscheiden könnte und ein Einfuhrverbot für alle Produnkte verhängen könnte, die aus Betrieben stammen, die sich nicht an diese Tierschutzgesetze halten.

    Dass viele Menschen die sich nicht um Tierschutz scheren sich als etwas “Besonderes” im Gegensatz zum Tier fühlen, ist insofern ein Widerspruch, als genau diese Leute sich oft für Tierversuche einsetzen. Wenn Tiere nicht wie Menschen sind – welchen Sinn sollen dann Tierversuche haben? Tierversuche macht man ja gerade WEIL man glaubt, dass Tiere nicht anders sind als Menschen. Allerdings sind Tiere körperlich nicht in jeder Hinsicht so wie Menschen und deshalb wirken Medikamente bei Menschen oft anders als bei Tieren, so wie auch Menschen nicht auf jedes Medikament gleich reagieren und somit ist jeder der Medikamente verwendet im Prinzip auch ein “Versuchstier”.

  2. Jeder Mensch hat sein Wertesystem und versucht, im Rahmen dieses Wertesystems mit sich zufrieden zu sein. Mich wundert es nicht, wenn Menschen sich angegriffen fühlen, wenn ihnen jemand erklärt, dass ihr gesamtes Wertesystem falsch ist, sie völlig falsch, ja sogar brutal agieren. Noch schlimmer wird es, wenn das Wertesystem von den Eltern übernommen wurde. Jeder normale Mensch liebt seine Eltern oder respektiert sie zumindest. Keiner möchte, dass über sie geschimpft wird. Daher ist es sogar noch eine größere Beleidigung, wenn man das Wertesystem der Eltern und diese selbst beleidigt/entwertet. Soll man deshalb warten, bis jeder Mensch selbst draufkommt, dass Tiere wertvolle Lebewesen mit Rechten sind? Meiner Meinung nach: nein. Die Starthilfe, in Form von sachlicher Berichterstattung und Diskussion muss wohl möglich sein und je größer der Teil des Weges ist, den man jeden alleine gehen lässt, umso besser.

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