Peter Rosegger ist der vermutlich bekannteste Schriftsteller der Steiermark. 1843 als Kind einer Bergbauernfamilie in den Fischbacher Alpen geboren, gelingt es ihm in zahlreichen Erzählungen und Romanen über seine Zeit als Waldbauernbub und über Charaktere aus diesem Milieu die kleinbäuerliche Welt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts vor unserem geistigen Auge heute zu erhalten. Mit wenig mehr als 30 Jahren aus der obersteirischen Wildnis in Graz angekommen, schloss er sich dem dortigen Fin de siecle an und gab im Rahmen seiner Zeitschrift „Heimgarten“ auch „des Heimgärtners Tagebuch“, einen Blog des 19. Jahrhunderts, heraus. Insbesondere dort äußert er sich auch über Tierschutz und Vegetarismus und skizziert damit die Gedankenwelt der Frühphase dieser sozialen Bewegung in Österreich. Reinhard Farkas hat in seinem Buch „Rosegger für uns“, im Leopold Stocker Verlag Graz 2013 erschienen, dankenswerter Weise viele der Schriften des Heimgarten wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Tierschutz: Erbarmen für Tiere
Im Angesicht der Qualen, die den hilflosen Tieren von – wenn auch nicht immer bösartigen, so doch unbedacht handelnden – Menschen überall zugefügt werden, möchte ich niederknien vor euch, Mitmenschen, und mit gefalteten Händen euch bitten, anflehen: Erbarmen! Erbarmen für die Tiere! In deutlichen Worten prangert Rosegger Pferderennen an, in denen diese Tiere über Hindernisse zu Tode gehetzt werden, oder den Vogelfang, bei dem offenbar damals noch den gefangenen Singvögeln die Augen mit Nadeln ausgestochen wurden, damit sie schön traurig singen, oder das Kochen lebender Hummer, wie es bis heute praktiziert wird. Aber auch die damalige Schlachtpraxis wird angesprochen und heftig kritisiert. Hier sollte es endlich, so Rosegger, Gesetze gegen Tierquälerei geben, obwohl er nicht expliziert, wie diese ausschauen könnten. Moses hätte am Berg Sinai ein 11. Gebot gegen Tierquälerei verkünden sollen, ruft er aus!
Kritik an der Jagd
Die Jagd ist Rosegger ein Dorn im Auge, wie man schon in seinem Roman „Jakob der Letzte“ sieht. Er beschreibt deutlich den Konflikt zwischen Waldbauer und Jäger, dass die Jagd den Wald zerstört und den Bauernstand vernichtet. Manche Bauernhöfe würden nur noch Felder und Gärten bebauen, damit sich jagdbare Tiere wie Hasen, Rehe und Hirsche vermehren. Aber Rosegger spricht auch die Tierquälerei an, die mit der Jagd einhergeht, und die Mordlust und die Geringschätzung von Tierleid. Jagd als Sport ist ihm ein Gräuel. Doch dann gibt er seinen Lösungsvorschlag: ich würde mein Heimatland am liebsten sehen im friedlichen Lichte einer ländlich kultivierten Natur, in der es für den arbeitenden Menschen gedeihlich zu leben ist. Es sei richtig, gefährliche Raubtiere, wie Bär und Wolf, sowie giftige Tiere, wie Schlangen, auszurotten. Aber auch der Landwirtschaft schädliche Tiere, wie u.U. sogar Hirsche, Rehe und Wildschweine, könnten regional zum Verschwinden gebracht werden. Primat haben auf jeden Fall der Mensch und seine Bedürfnisse, kultiviertes Land sei eben besser als ein verwilderter Urwald.
Kritik an Tierversuchen
Immer wieder findet sich eine u.U. sehr scharf vorgebrachte Kritik an Tierversuchen. Er nennt sie ein Verbrechen, und die Vivisektoren [sind] verstockte, vorurteilsvolle Missetäter, denen das einst schrecklich heimgezahlt werde. Und weiter: Mir tun die Tiere leid, dass sie so unbeschreibliche Qualen ausstehen müssen und mir tun die Menschen leid, dass sie niederträchtig sind. Und schweigen werde ich nicht. Doch dann differenziert er: Unter allen Umständen gegen die Vivisektion zu kämpfen, wäre eine Torheit. Wer überzeugt davon ist, dass die Versuche an Tieren den Menschen wirkliche Heilvorteile bringen, der kann und darf nicht dagegen sein, weil der Mensch uns näher stehen muss als das Tier. Dass der Mensch das Wohl des Tieres mit seinem Weh bezahlt, verlangt die Menschlichkeit nicht. Wenn aber die Vivisektion ausartet, gleichsam zu einem grausamen Sport von Ärzten und Studenten wird, wie es wohl leider auch geschieht, dann muss mit der Gewalt der Menschlichkeit und des Gesetzes dagegen gekämpft werden. Allerdings, wo die humanitäre Forschung aufhört und der vorwitzige Sport anfängt, das ist nicht immer leicht zu unterscheiden. Auch hier also geht es ihm nur um eine humane Nutzung der Tiere und um das Anprangern von unnötiger Grausamkeit zum Zeitvertreib.
Vegetarismus
Rosegger schreibt, dass Vegetarismus zu seiner Zeit nun heftig diskutiert werde. Und er äußert sich immer wieder sehr befürwortend in dieser Frage. So schreibt er unter dem Titel „Weniger Fleisch!“, dass man doch die Verteuerung von Tierprodukten mit dem Umstieg auf den Vegetarismus beantworten könne. Das wäre einerseits gesünder, andererseits würde man entdecken, dass man auch ohne sein Stück Fleisch und seine Rindsuppe leben kann und noch dazu recht gut. Ende des 19. Jahrhunderts, so Rosegger, sei die mittlere Lebenserwartung der Menschen gerade einmal etwas mehr als 30 Jahre gewesen, mit Vegetarismus, so deren BefürworterInnen, könne das auf über 50 ansteigen. Rosegger selbst bezweifelt das etwas, ist aber von den gesundheitlichen Vorzügen des Vegetarismus überzeugt. Er habe früher 2 Mal pro Tag Fleisch gegessen, heute lebe er „großteils vegetarisch“ und es gehe ihm gesundheitlich besser. Typisch aber auch hier, letztlich nicht konsequent zu sein.
Zum Mensch-Tier Verhältnis
Nach all diesen doch recht radikalen Tönen für Tierschutz verwundert beim ersten Blick ein Artikel im Heimgarten mit dem Titel „Du sollst Dein Herz nicht an das Tier verschwenden!“. Verständige Menschen würden Tiere, denen sie nahe kommen, zu lieben beginnen, diese Liebe aber dann den anderen Menschen entziehen. Das dürfe aber nicht sein. Natürlich sei es notwendig, Tiere, mit denen man zu tun hat, möglichst vor Qual und Unrecht zu bewahren und sie als Mitgeschöpfe mit Wohlwollen zu achten. Aber sie an Liebe und Fürsorge den Menschen vorzuziehen, das sollte nicht sein. Zwar wären manche Tiere viel liebenswürdiger, als so manch boshafter Mensch, aber letzterem würden nur die Liebe abgehen: der Mensch ist so grenzenlos liebesbedürftig, auch der es nicht eingesteht, auch der nicht darum wirbt, auch der Liebe nicht erwidert, auch der sie nicht verdient. Deshalb ist Roseggers Grundsatz: Dem Tiere gut sein, aber so recht mit Herzensinnigkeit liebhaben nur den Menschen.
Kritik
Roseggers positive Aussagen zu Tierschutz und Vegetarismus sind sicherlich zu seiner Zeit sehr mutig und wichtig. Aber man erkennt an ihm jene Gedankenströmung, die heute als paternalistischer Tierschutz vom modernen Tierschutz bzw. der Tierrechtsauffassung getrennt wird. Tiere dürfe man nicht böswillig quälen, man müsse sie gut behandeln. Sie hätten darauf zwar kein Grundrecht, aber das sei das Gebot für alle anständigen und zivilisierten Menschen, die damit beweisen, über dem Tier zu stehen. Doch diese Höherstellung hat für die Tiere auch ihren Preis: bei jedem kultivierten Bedürfnis der Menschheit, d.h. z.B. unter Ausschluss der Lust am Quälen, ziehen sie den Kürzeren. Ihr Gebrauch sollte möglichst human erfolgen und die als notwendig erachtete Gewalt gegen sie müsse aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden. Und das könne sogar so weit führen, alle lästigen oder gefährlichen oder schädlichen Tiere auszurotten. Rosegger formuliert die Goldene Regel der Moral auf Tiere so um: Beschütze jedes Tier, vor dem du dich nicht beschützen musst. Von einem Recht auf Autonomie der Tiere ist da keine Rede.
Der paternalistische Tierschutz hat heute ausgedient. Gerade am Beispiel Roseggers sollten wir erkennen, dass es notwendig ist, einen Schritt weiter zu gehen. Im Kampf für Tierschutz und Tierrechte stehen wir jetzt an einem solchen Scheideweg. Entweder es gelingt uns als Gesellschaft, nichtmenschliche Tiere als unabhängige, autonome Wesen mit eigenem Recht auf Leben zu respektieren, oder wir werden weitere 150 Jahre mit halbherzigen Tierschutzmaßnahmen, die industrielle Schlachthöfe und Tierfabriken nicht verhindern können, vor uns hin dümpeln.