5. November 2024

Tierschutzprozess in Spanien

Am 20. Juni 2012 waren 2 SpanierInnen in Wien und Innsbruck und sprachen jeweils an den Unis über ihren eigenen Tierschutzprozess. Erschreckend, wie die Situation jener in Österreich ähnelt. Am Abend vor den Polizeiüberfällen haben die AktivistInnen in Spanien noch über den Tierschutzprozess in Österreich gesprochen und gemeint, das könne bei ihnen niemals passieren. Dasselbe hätte ich am Vorabend des Polizeiüberfalls auch gesagt. Wie naiv wir doch alle waren!

In Spanien hat die Tierrechtsbewegung ab 2006 eine neue Richtung genommen. Gab es bis dahin zwar regelmäßig Medienaktionen zu Tierschutzthemen, aber kaum eine breite, politische Gesellschaftskritik am Umgang mit Tieren, so änderte sich das schlagartig, vor allem durch die Tierrechtsbewegung in anderen Ländern wie Österreich inspiriert. Insbesondere 2 Vereine wurden gegründet, „Equanimal“ und „Igualdad Animal“, die besonders aktiv wurden, obwohl sie untereinander völlig zerstritten waren. Sie wendeten eine Taktik an, die 2003 in Österreich entwickelt wurde: großangelegte Recherchen von Tierfabriken zusammen mit einer medial wirksamen Präsentation, in einer Weise, die die Gesellschaft erschütterte. So gab es 2006-2011 insgesamt 3 derartige Großrecherchen von Pelzfarmen in Spanien, und zusätzlich von Schweinefabriken, Zoos und Schlachthöfen. Die Veröffentlichung dieser Rechercheergebnisse war mit vielen Aktionen des zivilen Ungehorsams verbunden, darunter offene Befreiungen von z.B. Legebatteriehühnern, Besetzungen, das Auslegen toter Tiere aus Tierfabriken und Blockaden. Die Medien berichteten begeistert. Dazu wurden Stierkampfarenen besetzt und Treibjagden behindert.

Die Tierindustrie begann ab 2008 mit einer Gegenoffensive, die für die AktivistInnen – wie im Vorfeld der Tierschutzcausa in Österreich – deutlich politisch zu spüren war. Es gab plötzlich wesentlich höhere Strafen, unverhältnismäßige Festnahmen und polizeiliche Verhöre, aber auch Schwierigkeiten bei der Anmeldung von Kundgebungen. Ein bezahlter PR-Mann der Tierindustrie versuchte die öffentliche Meinung zu beeinflussen, begann von „Ökoterrorismus“ zu sprechen und betonte, dass die AktivistInnen nur Reformforderungen vortäuschen würden, aber in Wirklichkeit jede Tiernutzung zu verhindern planen. Auch in der österreichischen Tierschutzcausa zog die SOKO die Trennlinie zwischen gutem Tierschutz und bösen Tierrechten, selbst Vegetarismus war noch unverdächtig, nur Veganismus ein Zeichen für kriminelle Energie.

Aus den wenigen Aktenteilen, die bisher verfügbar sind, ist zu schließen, dass die Polizei in Spanien auch eine SOKO gründete und ab 2008 mit Personenobservationen, Telefonabhörungen und Email-Mitlesen begann. Bisher ist nicht bekannt, ob es Polizeispitzel in den Tierschutzvereinen gegeben hat, aber es ist anzunehmen. Am 22. Juni 2011 kam es dann zum Polizeizugriff und zu 13 Hausdurchsuchungen bei TierschützerInnen aus den beiden oben genannten, zerstrittenen Vereinen. Über 200 PolizistInnen mit Masken und Sturmgewehren nahmen an der Aktion teil. 11 TierschützerInnen wurden festgenommen und 4 Tage lang verhört, 3 davon in U-Haft überstellt und fast 1 Monat eingesperrt. Frei kamen sie, weil die Berufung ihrer RechtsanwältInnen erfolgreich war, das Landesgericht hob die U-Haft mangels dringenden Tatverdachts wieder auf.

Wie in Österreich begann die Polizei sofort nach den Verhaftungen mit einer Medienoffensive, behauptete es handle sich nachweislich um „Ökoterroristen“, sie würden nur ihre „Umweltschutzaktivitäten“ vortäuschen und in Wirklichkeit Terror verbreiten wollen. Im Gegensatz zur Situation in Österreich blieben diese Behauptungen weitgehend unwidersprochen. Der Hype verschwand zwar relativ bald, vor allem, weil die TierschützerInnen nach ziemlich kurzer Zeit wieder freikamen, aber bis heute gibt es in der Öffentlichkeit keine Kritik am Vorgehen der Polizei. Der Untersuchungsrichter, der die Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und U-Haftverhängungen anordnete, outete sich als Sohn eines Pelzfarmers und sagte in Interviews ohne zu zögern, dass es sich bei den TierschützerInnen um TerroristInnen wie die ETA handle.

Momentan warten die 11 Betroffenen auf ihren Prozess. Es hat bereits Anklagen gegeben, und zwar wegen:

  • Bildung einer kriminellen Organisation (aus Mitgliedern zerstrittener Vereine!)
  • Besitzstörung beim Filmen von Tierfabriken
  • Befreiung von Nerzen aus Pelzfarmen (ohne Evidenz)
  • Nötigung
  • Sachbeschädigung (ohne Evidenz)
  • Widerstand gegen behördliche Weisungen
  • Verbreiten von Firmengeheimnissen (Filme aus Tierfabriken veröffentlicht)

Der Widerstand gegen behördliche Weisungen ist ein neues strafrechtliches Vergehen in Spanien, das zivilen Ungehorsam mit Gefängnis ahndet. Wer z.B. ein Büro besetzt und nach einer behördlichen Weisung nicht verlässt, kann dafür sogar eingesperrt werden. Der Tierschutzprozess wäre das erste Mal, dass dieses Gesetz angewandt wird.

Den Angeklagten ist es bisher nicht gelungen, ihr Anliegen in die Medien zu bekommen. Bei ihrem Vortrag in Wien gaben sie an, mehr oder weniger aufgegeben zu haben, eine öffentliche Diskussion über ihren Fall loszubrechen zu versuchen. Ihrem Eindruck nach sei die Demokratie in Spanien zu unterentwickelt, ging doch 1975 die Diktatur Francos durch dessen Tod zu Ende und entstand danach erst 1978 die demokratische Verfassung. Nicht einmal andere NGOs und soziale Bewegungen zeigen ein Interesse an ihrem Schicksal.

Unser erfolgreicher Kampf gegen die Ungerechtigkeit der Tierschutzcausa in Österreich hat sie allerdings inspiriert. Ich wurde jetzt eingeladen, nach Spanien zu kommen und mit den Betroffenen über mediale Strategien zu sprechen, sowie in öffentlichen Vorträgen mitzuhelfen, das Ruder herumzureißen. Ich bin überzeugt, dass ein geschicktes Vorgehen auch in Spanien zu einem Freispruch und einer Rehabilitation der AktivistInnen in der öffentlichen Meinung führen kann.

2 Gedanken zu “Tierschutzprozess in Spanien

  1. To add:
    Sharon und José waren am 22. Juni in Berlin und sprachen dort im Haus der Demokratie und Menschenrechte.

    Davor und danach die Überlegung, ob so etwas wie die Prozesse in Spanien und Österreich auch in Deutschland möglich sein könnte?, und wenn nein, warum nicht?

    die ernüchternde Überlegung: vermutlich eher nicht, denn die Tiererchtsbewegung in Deutschland ist dazu wohl zu wenig provokativ und profilscharf, die Tierausbeuter, die allerdings für Politik und Wirtschaft in Deutschland auch weniger gewichtig sind als in Österreich, müssen anscheinend niemanden von uns wirklich fürchten. Schade eigentlich … oder irre ich mich?

  2. Erschreckend, wie sich Demokratien – zumindest am Papier sind sie es – durch Druck aus der Wirtschaft ganz selbstverständlich diktatorischer Mittel bedienen.

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