“Um Himmels willen, hast Du nicht Angst um Deine Kinder!”, ruft mein Vater, als er hört was ich plane. Da war doch kürzlich was mit einem Bären in der Slowakei, unserer ersten Station. Da ist eine Frau vor einem Bären davon gelaufen und tödlich abgestürzt. Nun, davon zu laufen habe ich nicht vor. Das geht ja auch gar nicht, der Bär wäre schneller. Dass diese Frau die Zeit hatte, noch abzustürzen, beweist mir, dass der Bär nicht besonders an ihr interessiert gewesen sein kann.
Also, nein, ich habe keine Angst, obwohl ich jetzt 4 Wochen lang im Bärengebiet mit meinen Kindern zelten will. Andererseits treffe ich schon Vorbereitungen. Ich habe einen Bärenspray dabei, der von meinem Gürtel baumelt. Aber obwohl ich später viele Wanderer, Ranger und Nature Guides sehe, bin ich der einzige mit dieser “Waffe”. Und wenn wir zelten packe ich vor dem Schlafengehen alle Essensreste zusammen, stecke sie in eine luftdicht verschließbare Tonne und hänge diese 200 m entfernt in 8 m Höhe auf einen Baum. Das ist dann aber auch schon wieder alles. Am Tag wandern wir fröhlich umher, auch durchs Dickicht, und in der Nacht schlafen wir einfach so im Zelt, obwohl uns bewusst ist, dass Bären immer wieder in der Nähe vorbei gehen. Aber ich bin schon seit 10 Jahren in den Karpaten unter Bären zelten, hatte schon über 20 Begegnungen mit Bären, und noch nie habe ich mich bedroht gefühlt.
In unseren ersten Tagen in der Tatra sehen wir keine Spur von Bären, als gäbe es dort keine. Dafür begegnen uns zweimal große Wandergruppen mit Kindern und viele andere Menschen, wie gesagt im Gegensatz zu mir ganz ohne Bärenspray. Auf die Frage aus Interesse, ob man sich vor Bären fürchtet, bekomme ich nur ungläubiges Staunen und Kopfschütteln als Antwort. Niemand hier fürchtet sich vor Bären. Dabei suchen wir uns extra abgelegene Flecken und sogar Urwälder für unsere Wanderungen und Zeltnächte aus.
Dann kommen wir in die Beskiden an der Grenze von der Slowakei mit Rumänien. In einem Urwald im Poloniny Nationalpark sehen wir unsere erste Bärenspur. Angst haben wir deshalb nicht, im Gegenteil, wir freuen uns sehr über den Fund. In einer österreichischen Zeitung habe ich gelesen, dass für Wanderer die Begegnung mit einem Bären der größte Alptraum wäre. Seltsam, diese Menschen, die so etwas schreiben, müssen ziemlich naturfern sein. Mich hat noch jede Begegnung mit einem Bären sehr gefreut und der Eindruck hat noch monatelang in mir nachgebrannt und mich mit Leben erfüllt! Wir kommen ja extra deshalb hierher! Wandern könnte ich in Österreich auch.
Unser nächstes Ziel war das Fagarasgebirge in den rumänischen Südkarpaten. Um dem Bedürfnis, Bären zu sehen, zunächst einmal künstlich nachzuhelfen, besuchen wir den Bären-Lebenshof Libearty. Dort sind über 120 gerettete Bären zu Hause, die sich in großen Gehegen vor den Blicken der Menschen zurückziehen können. Erstaunlich auch zu sehen, dass der an sich einzelgängerische Bär hier völlig friedlich mit zig Artgenossen in engem Kontakt lebt. Meine Tochter hat einen der Bären wunderschön in Szene gesetzt:
Ein gewaltiger Kerl, sicher so 400 kg schwer. Übrigens sind alle freilebenden Bären Europas Braunbären, auch wenn sie manchmal recht dunkel wirken. Schwarzbären gibt es nur in Amerika.
Ein Ranger erklärt uns, dass er das ganze Jahr über außer bei Schneelage täglich Ablenkfütterungen mit Maiskörnern für die 55 Bären eines Seitentales im Fagarasgebirge auslegt. Wirkt wie eine Ausrede, wovon lenkt das ab? Und tatsächlich werden diese Fütterungen touristisch für Bear Watching genutzt. Jeden Abend dürfen ca. 40 zahlende Gäste einen eigens mit großer Glaswand eingerichteten Hochstand besteigen und den Bären beim Suchen der Maiskörner zuschauen. Dabei kam der Ranger mit seinem Sack Maiskörner an der Futterstelle an, als dort schon 7 (!) weibliche Bären mit Jungtieren auf ihn warteten. Direkt vor diesen Tieren verstreute er den Mais an verschiedenen Stellen, ohne dass ihn die Bären belästigt hätten. Er sagte mir später, dass er das seit fast 20 Jahren mache und noch nie ein Problem mit einem Bären hatte. Hier ist eine der wartenden Bärinnen zu sehen:
Trotz angefütterter Bären in diesem Tal, wanderten wir genau dort durch einen 300 ha Urwald. Wir fanden verschiedentlich Spuren von Bären, hier haben sie einen toten Baum aufgerissen, um an die Insekten darin zu gelangen:
Dann verbrachten wir einige Tage in einer Pension, die vegane Verpflegung anbietet. Das Haus gehört der Foundation Conservation Carpathia (FCC), siehe https://carpathia.org, die auch die Einnahmen erhält. Gut so, weil diese NGO kauft Wälder in den Südkarpaten, um sie vor der Abholzung zu bewahren. Wir konnten mehrere Exkursionen buchen, so z.B. zur Vogelbeobachtung. Dazu gingen wir um 5 Uhr früh in der nahen Umgebung der Pension durchs Gebüsch. Und neben verschiedenen Vögeln und anderen Tieren, fanden wir auch 8 Bärenspuren und mehrere Haufen Bärenkot in der unmittelbaren Nähe zum Haus:
Als wir im Fagarasgebirge unterwegs waren, hörten wir von einem Vorfall im sehr nahen Bucegigebirge. Dort soll, lasen wir in einer österreichischen Zeitung, ein 19 jähriges Mädchen von einem Bären beim Wandern angefallen, zerrissen und in den Wald geschleppt worden sein. Verwundert erkundigten wir uns bei den Rangern und Nature Guides. Diese hatten Informationen aus erster Hand zu dem Fall und er stellte sich ganz anders dar, als in den österreichischen Medien präsentiert. An der Stelle des Vorfalls soll ein Rastplatz von Wanderern sein, die dort ihre Essensreste zurücklassen. Eine Bärin hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, immer wieder dort nach Nahrung zu suchen. Als die 19 Jährige mit ihrem Freund vorbei kam, sah sie die Bärin und wollte mit ihr ein Selfie machen. Die Bärin goutierte die Nähe der Frau nicht und biss sie in den Oberschenkel. Daraufhin flüchtete die Frau und fiel eine Steilwand hinunter, wobei sie an den Sturzverletzungen verstarb. Da wir nicht vorhatten, Selfies mit Bären zu machen, löste dieser Vorfall keinerlei Ängste bei uns aus. Wir zelteten auf der anderen Talseite:
Wenig später trafen wir eine deutsche Teenagerin um 6 Uhr früh mitten im Wald auf Schwammerlsuche. Wir sprachen sie an und es stellte sich heraus, dass sie seit Jahren in dieser Gegend lebt, immer wieder im Wald unterwegs ist und vor Bären überhaupt keine Angst hat. Sie hatte natürlich auch keinen Bärenspray dabei. Ich versuchte dann von Rangern und Nature Guides heraus zu finden, ob sie dieser Vorfall mit der toten 19 Jährigen beeindruckt hatte. Nein, war unisono die Antwort. Vorfälle mit Bären sind seltener als Blitzschlag. Es ist total unwahrscheinlich, dass einem etwas passiert. Die Ranger gehen auch zelten, und zwar ganz ohne Bärenspray und ohne Angst.
Kurz darauf ein weiterer Bärenangriff in unmittelbarer Nähe von uns. In Rucar habe ein Schafhirte einen Bären mit einem Prügel attackiert, um ihn zu vertreiben, wurde vermeldet. Der Bär biss den Mann und suchte dann rasch das Weite. Just am selben Tag, als das geschah, waren wir in Rucar. Da wir aber nicht vorhatten, einen Bären zu prügeln, stellten wir ohne Angst unsere Zelte mitten im Wald auf:
Bis dahin hatten wir zwei gefährliche Situationen auf unserer Reise zu bestehen. Einmal schlug ein Blitz keine 100 m neben uns ein. Wer das einmal erlebt hat, weiß wie beängstigend das ist. Unfassbar laut, unfassbar hell, es wirft einen zu Boden. Und ein andermal fiel mitten in der Nacht ein Baum 70 m neben unseren Zelten um. Gerade in Altwäldern ist das gar nicht so selten. Beides war jedenfalls ungleich gefährlicher, als jede Bärenbegegnung, die wir hatten.
Auf der Suche nach Urwäldern kamen wir mit einer Rangerin ins Gespräch. Sie erzählte uns, dass die Naturschutzorganisation FCC, bei der wir einige Tage übernachtet hatten, auch für gutes Geld anbietet, in einem Versteck (einem “Hide”) zu sitzen und Wildtiere zu beobachten. Wir ergriffen die Chance. Kosten pro Person € 460, aber jeden Cent wert. Wir stiegen mit einem Guide zu einer kleinen Hütte mit riesigen Glasfenstern auf. Dort übernachteten wir zweimal, streunten aber am Tag durch den Wald und fanden zahlreiche Bärenspuren und Bärenkot:
In den 48 Stunden sahen wir tatsächlich insgesamt 6 Bären vorbei kommen:
Das war ein großartiges Erlebnis. Aber nicht nur Bären waren zu sehen. In der Gegend wurden 80 Bisons ausgelassen. Leider statteten sie uns keinen Besuch ab, aber Wildschweine kamen 8 Mal vorbei:
Interessant: Wildschwein und Bär grasen gleichzeitig auf derselben Wiese und sehen sich dabei an, ohne sich auszuweichen. Auch ein Hirsch war in den frühen Morgenstunden zu bemerken und einige Bären kamen in der Nacht.
In der Nacht sind alle diese großen Wildtiere aktiver, als am Tag. Um Näheres darüber heraus zu finden, hängte ich mehrmals eine Wildkamera auf, die mit Infrarotlicht Aufnahmen macht, wenn sie eine Bewegung registriert. So konnten wir feststellen, dass in der Nacht durchaus Bären an unserem Schlafplatz vorbei gehen, ohne dass wir es merken, aber auch ohne uns zu behelligen:
Lustig auch der Umstand, dass ich erst durch eine Wildkamera erfuhr, dass ein Bär eine Stunde vor mir an derselben Stelle vorbei gekommen war:
Es ist ein großartiges Gefühl, in einem Wald unterwegs zu sein, in dem es Bären gibt. Da diese Tiere zu 80 % vegetarisch leben, sind sie viel häufiger als etwa Wölfe oder Luchse. Ob man es glaubt oder nicht: in einem Wald mit Bären ist eine Begegnung mit diesem Tier viel wahrscheinlicher, als mit irgendeinem anderen. Sogar Rehe sieht man seltener. Angst braucht man deswegen keine zu haben. Und das ist nicht nur unser Gefühl in diesen 4 Wochen gewesen, und die Erzählung der vielen Menschen, die dort leben und mit denen ich darüber sprach. Auch der Wanderführer für diese Gegend vom Verlag Rother sagt ganz klar, wenn man in den Karpaten zeltet, braucht man sich vor Bären (und Wölfen) nicht zu fürchten. Es habe bisher keinen einzigen Fall in den Karpaten gegeben, bei dem Bären Menschen in einem Zelt angegriffen hätten.
Heute im Standard eine Meldung über von Bären tödlich verletzten Pilzesammler in der Slowakei?!
Stimmt die Meldung? Was ist da dran?
Liebe Grüße Irene Lachawitz
https://www.derstandard.at/story/3000000239592/baer-toetete-in-der-slowakei-einen-pilzsammler
Ich kenne den Fall natürlich nicht persönlich. Beim Pilzsammeln platzt man halt überraschend ins Unterholz und kann einen ruhenden Bären oder, noch schlimmer, eine Bärin mit Kindern erschrecken. Aus dem Text klingts so, als hätte der Bär gebissen und wäre dann geflüchtet. Leider riss der Biss eine Arterie auf und der Pilzsammler verblutete.
Aber um das in Relation zu setzen:
– jährlich töten Tiger 400 Menschen
– jährlich töten Löwen 500 Menschen
– jährlich töten Nilpferde 600 Menschen
– jährlich töten Elefanten 1000 Menschen
– jährlich bringen sich weltweit 500.000 Menschen selbst um
– im letzten Jahr starben 34 Menschen in Österreichs Alpen durch umfallende Bäume
– jährlich sterben 300 Menschen in Österreichs Alpen an Unfällen, 5000 werden verletzt
– jährlich töten Bären weltweit 5 Menschen
Bären sind damit eine sehr kleine, zusätzliche Gefahr in der Natur bzw. in den Bergen. Daraus den Schluss zu ziehen, Bären auszurotten, wäre eine Kurzschlusshandlung: müssten wir dann nicht vorrangig Tiger, Löwen, Nilpferde und Elefanten ausrotten und alle Bäume entfernen? Und die Gesellschaft lebenswerter machen, sodass die Menschen darin auch leben wollen?
Ich behaupte: eine Wanderung in einem Gebirge mit Bären ist ein gutes Mittel, Depression und Burn out hintan zu halten, also einen Suizid zu verhindern.
Wie schön und vielen Dank für diesen Bericht.
Ein interessantes Update aus Alaska: Braunbären bevorzugen aufgrund des Klimawandels eine vegetarische Ernährung gegenüber Lachs. Holunderbeeren tragen ihre Früchte früher im Jahr, was mit der Lachswanderung kollidiert.
https://www.independent.co.uk/climate-change/news/brown-bears-climate-change-salmon-vegetarian-diet-kodiak-grizzly-alaska-a7918406.html
Ich kann mich nur anschließen!
Danke für diesen wunderbaren Bericht – ich wäre am liebsten dabei gewesen:)
Und ich freue mich von Herzen für Deine Kinder, dass Ihr Papa mit ihnen die Natur entdeckt.
Das würde ich allen Kindern wünschen:)
Ich finde es total schön das du deine Kinder an die Natur in seinen zahlreichen Facetten so heranführst . Vor allem lernst du ihnen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur . Es wäre schön wenn es so etwas als Unterrichtsfach an Schulen gäbe , mit Menschen wie du es bist .