5. November 2024

Von Tieren, die nicht denken, und dass Vegetarismus fundamentalistisch ist

Momentan bin ich täglich von früh bis spät für Tierschutz und insbesondere die Reform des Tierversuchsgesetzes unterwegs, und hatte bereits seit 2 vollen Wochen keinen freien Tag mehr. So konnte ich bisher auch nicht weiter die Vorträge am Philosophicum in Lech kommentieren, was ich jetzt aber nachholen will.

Beim Spektrum der eingeladenen Vortragenden scheint mir ein Grundkonsens formulierbar zu sein: (nichtmenschliche) Tiere können bewusst fühlen und subjektiv leiden, und der Umgang mit insbesondere den sogenannten Nutztieren in unserer Gesellschaft ist kritikwürdig. Interessanterweise erstreckte sich dieser Konsens dann aber nicht auf die daraus abzuleitenden Folgen für das persönliche Verhalten: man aß praktisch ausnahmslos in den Pausen sowie morgens, mittags und abends unverhohlen Massentierhaltungsfleisch ohne jedes Zögern. Ursula Jauch, die – leider, muss ich sagen – für Jean-Claude Wolf eingesprungen war, der offenbar nicht kommen konnte, sprach über Julien Offray de La Mettrie und dessen Kritik an Rene Descartes‘ mechanistischem Bild von Tieren. La Mettrie musste nach Jauchs Darstellung vor Zensur und Verfolgung letztlich nach Sanssouci fliehen und sei dort vergiftet worden. Jauch enthielt sich dabei nicht leidenschaftlicher Appelle für mehr Respekt vor Tieren und Tierschutz. Nach ihrem Vortrag wurde sie (nicht von mir) angesprochen und im persönlichen Gespräch gefragt, ob sie vegetarisch lebe. „Sicher nicht“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen und geradezu beleidigt, „ich bin doch nicht fundamentalistisch!“.

Einer tierschutzfreundlichen Philosophin tritt man also nachgerade schon zu nahe, wenn man ihr eine derartige Frage stellt, während herzhaft in Schinken und Speck von Schweinen aus brutalster Massentierhaltung zu beißen auch für sie völlig normal, akzeptiert und selbstverständlich ist. Wenden PhilosophInnen ihre Erkenntnisse eigentlich nicht auf sich selbst an? Wie, bitte schön, soll die von Jauch kritisierte tierquälerische Massentierhaltung beendet werden, wenn sie von ihr selbst mitfinanziert wird? Fordert sie Tierschutz, ja, aber nur die anderen, die Nicht-PhilosophInnen, sollen sich daran orientieren? Wie kann der Boykott von Tierprodukten, deren Produktion man selbst theoretisch, wenn auch nicht praktisch, ablehnt, fundamentalistisch sein? Heißt das, die akademische Philosophie findet zwar ethische Grundsätze in der Theorie, aber sich in der Praxis daran zu halten wäre fundamentalistisch? Wie kurz gedacht das doch ist! Und wie beleidigend für ethisch konsequente Personen!

Auch Reinhard Brandt gab am Anfang seines Vortrags ein Bekenntnis zum umfassenden Tierschutz ab. Dann aber erklärte er frei heraus, nichtmenschliche Tiere könnten nicht denken. Für ihn, das muss man klar verstehen, war das offensichtlich auch eine ethisch äußerst relevante Erkenntnis. Nichtmenschliche Tiere könnten nicht denken, weil sie nicht, wie Menschen, sprechen würden. Und deshalb könnten sie nichts entscheiden, keine Urteile fällen, nichts abwägen. Sie wären nur Reflexmaschinen ganz im Sinne des Behaviorismus. Der einzig positive Aspekt dieses Vortrags war, dass Brandt sich fortwährend für seine Position entschuldigte und offensichtlich als Außenseiter fühlte, auch wenn er darauf bestand, seine Meinung sei die Wahrheit. Nach Brandts Vortrag meldeten sich Wild und Kotrschal mit harscher Kritik zu Wort, doch Brandt schien darauf nicht einzugehen. Auch ich wollte eine Frage stellen, doch Diskussionsleiter Liessmann „übersah“ mich geflissentlich, bis er durch das Insistieren einer Assistentin mit Mikrophon nicht anders konnte, als mich zu Wort kommen zu lassen. Ich fragte Brandt, warum er glaube, dass Tiere ein Bewusstsein entwickelt hätten, wenn nicht dazu, etwas bewusst zu entscheiden. Die einzig mögliche evolutionäre Bedeutung von Bewusstsein könne wohl nur dessen Auswirkung auf das Verhalten sein. Und dann erzählte ich davon, dass ich sehr oft nicht-verbal denke und entscheide, so z.B. beim Felsklettern, wenn ich in einer Felswand den Weiterverlauf meiner Route wählen muss. Mein Hund verhält sich in solchen Situationen ganz ähnlich wie ich, auch er zögert, stellt sich bildlich vor, wie es wäre, hier oder dort weiterzukommen, und entscheidet sich dann für eine Option. Was für ein seltsamer Begriff von „denken“, der diese Entscheidungsfindung nicht umfasst! Doch Brandt blieb auch mir eine Antwort schuldig.

Am letzten Tag schließlich sprach Herwig Grimm, Leiter des Messerli Forschungsinstituts zur Mensch-Tier Beziehung in Wien. Auch er bekannte sich zunächst zu Tierschutz und würdigte sogar Singer und Regan, nur um dann die Kurve Richtung ethischer Rechtfertigung von Fleischkonsum zu kratzen – und sich danach ebenfalls am Massentierhaltungsfleisch des Buffets gütlich zu tun. In seinem Vortrag betonte er, es könne sowieso keine nicht-anthropozentrische Ethik geben, und damit würde man, so scheints, menschliche Qualitäten anderen Eigenschaften gegenüber höher bewerten müssen. Grimm erklärte frei heraus, dass er aus der Landwirtschaft komme und Hühner halte (und schlachte?), ja, in seinen Vorlesungen erzählt er sogar, dass er selbst Schweine ohne Betäubung kastriert habe und nichts dabei finde.

Vielleicht hätte man sich bei dieser Veranstaltung mehr an Eugen Drewermanns Appell halten sollen, Ethik nicht nur rational, sondern insbesondere emotional zu betreiben. Ethische Werte könne man nur fühlen, nicht denken, hatte Drewermann gesagt, und auf Basis eines umfassenden Mitgefühls mit Tieren einen daraus folgenden Vegetarismus gefordert. Dass ein Schwein sein Leben lang weder Himmel noch Pflanzen sieht, bis auf die wenigen Minuten, wenn es aus der Tierfabrik in den Tiertransporter, und dann von diesem in das Schlachthaus getrieben wird, sei nicht zu tolerieren. Ein anderer Toleranzbegriff, als jener von Herrn Tönnies, siehe https://martinballuch.com/?p=1551. War es das, was Jauch mit „Fundamentalismus“ gemeint hat?

13 Gedanken zu “Von Tieren, die nicht denken, und dass Vegetarismus fundamentalistisch ist

  1. @Julia:
    Laut Jauch hat de la Mettrie sein an Descartes gewandtes Buch, dass Menschen (auch) Maschinen seien, nur als reductio ad absurdum gemeint. Danach veröffentlichte er nämlich ein Buch, dass Tiere keine Maschinen sind.

  2. @Menschheit, es ist sinnlos für den Tieschutz oder Umwelt zu spenden, es reicht keine zu konsumieren;
    Wir sind nicht die Lösung, wir sind das Problem.
    Für weniger Konsum, -von Allem!

  3. Die Massentierhaltung ist unethisch. Wenn ich Tiere aus Massentierhaltung esse, dann unterstütze ich diese.
    Ich esse Tiere aus Massentierhaltung.
    ==> Ich unterstütze die unethische Massentierhaltung.
    Traut sich das keiner der Vortragenden zu sagen?

    Ganz ehrlich gesagt, halte ich mehr von Menschen, die einfach nicht über ihr Tun nachdenken oder sogar noch von solchen, die ehrlich dazu stehen, dass sie moralisch verwerflich handeln. Widerlich finde ich die, die prinzipiell denken können, aber dann zu FEIG sind, zu ihrer Widerlichkeit zu stehen.

    Also, ich esse kein Fleisch. Das fände ich einfach nicht gut, denn Tiere könenn sehr wohl denken. Aus meiner täglichen Erfahrung durchaus auf Augenhöhe mit Menschen. Ich denke auch nicht in Worten. Das dauert viel zu lange. Bilder sind viel schneller. Vielleicht erklärt das, warum die geistigen Bremser meinen, Tiere könnten nicht denken, weil sie selbst nur in Worten “dahinstottern”.

  4. melli, an den universitaeten gibt es zum glueck auch solche, bei denen philosophie und praxis uebereinstimmen: vor allem zB in Innsbruk bei LIFE, http://www.life-tierrechte.org/
    ich hoffe, solchen wie Max Siller und Gabriela Kompatscher gehoert die zukunft.
    die anmeldezahlen der ringvorlesung scheinen zu belegen, dass die aufmerksamkeit der studentInnen ihnen schon jetzt gehoert – und damit auch die zukunft der universitaet(en).

  5. schlimm, dass sich leute der universität zwar “rational” mit dem thema tier auseinandersetzen, es aber leider anscheinend als zu “irrational” betrachten, gemäß ihrer argumente zu handeln. interessant finde ich auch wie bewusstsein (philosphisch) argumentiert wird. ist dieses konzept nciht auch schon ein bisschen veraltet? ( ich kenn mich da leider nicht wirlkcih aus) …finde das interessant, dass du das mit dem nicht verbal denken und entscheiden eingebracht hast. viele unserer gehirnaktivitäten passieren auf dieser basis und ich denke, dass auch diverse neurowissenschaften das so sehen würden. und ich bin davon überzeugt, dass das bei tieren genauso ist. vielen dank für diesen einblick in das geschehen in lech 🙂

  6. das Problem an der Philosophie ist, dass sie sich meist nur geistig mit elementaren Themen beschäftigt. Ich beschäftige mich intensiv mit Yoga – vor allem der Philosophie im Yoga – Gewaltlosigkeit etwa – intensives Praktizieren und Üben von ethischen Prinzipien. Der Unterschied ist das Praktizieren. Die Erkenntnisse werden viszeraler, innerlicher und auch inniger, als durch das philosophieren. Insofern konnte ich lernen am eigenen Leib zu spüren, was ich vorher nur über den Verstand bewertet habe.

  7. Lieber Martin Balluch, wir kennnen uns nicht persönlich, aber Du bist mein Held! Vielen Dank für Deine Eindrücke vom Philosophicum. Möglicherweise ein Fehler aber, ich habe aufgegeben mit Carnivoren über Ethik zu reden. Es ist sinnlos. Beim Essen setzt’s leider den meisten Menschen den Verstand aus. Es scheint, als ob die Verbindung zwischen dem Leid der Tiere und dem Produkt auf der Gabel nicht hergestellt werden kann. Wenn ich an den Fleisch-Wurst-Käse-Milchvitrinen vorbeigehe, kann ich das Leid nicht mehr ausblenden. Wer sich mal die Verbindung bewusst gemacht hat, kann das nicht mehr konsumieren. Meines Erachtens werden es immer mehr Flexitarier, Vegetarier, Veganer! Es breitet sich aus. Und wir, die wir vegan leben, müssen lernen uns mit dem großen Teil der “Unbewussten” Menschen in Geduld zu üben. Ich bin dankbar, dass ich zu dieser Klarheit überhaupt gefunden habe. Ich bin auf Fleisch, Wurst, Käse, Milch “sozialisiert” worden und habe selbst die Wahrheit lange Zeit nicht sehen können. Ich bin froh, dass ich das Glück hatte über den Zaun meines konditionierten Verstandes drüberschaun zu dürfen.

  8. Ein schönes italienisches Sprichwort lautet: “Tra il dire e il fare c’è di mezzo il mare”, was so viel bedeutet wie: “Zwischen dem Reden und dem Tun liegt in der Mitte das Meer.” Ist doch ein alter Hut: Über Ethik REDEN lässt sich’s leicht – lebenspraktische Konsequenzen zu ziehen, fällt dagegen schwer. Sokrates hatte nun mal nicht recht: Dass Gute zu wissen ist keineswegs gleichbedeutend damit, das Gute auch zu tun.
    Auch für mich war es bis zum Vegetarismus ein langer Weg, aber mittlerweile lasse ich mich lieber “Fundamentalist” schimpfen als fadenscheiniger Heuchler zu sein.

  9. Sobald es darum geht die eigenen Essgewohnheiten zu reflektieren und zu ändern, hört es sich mit dem Tierschutz auch schon wieder auf, da unterscheiden sich die Philosophen offenbar nicht vom Gros der Bevölkerung. Wer Tierschutz auch im Essverhalten praktiziert, ist aus der Norm und wird als fundamentalistisch, militant oder extrem bezeichnet. Bei der kürzlich gesendeten Diskussionsrunde im ServusTV hat der an sich kompetent argumentierende Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal im Zusammenhang mit der Intensivhaltung so nebenbei erwähnt, dass er leider Fleisch isst, macht es also trotzdem er weiß was er damit bewirkt, nur eben mit ein wenig einem schlechtem Gewissen.

    Bert Brecht hat es einst auf den Punkt gebracht:
    “Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral”

  10. Danke für den Bericht. Von denen, denen Tierschutz ein Anliegen sein soll, hätte man beim unveganen Buffet etwas mehr Zurückhaltung erwartet. Das ist durchaus ein guter Lackmustest (gab es außer Dir überhaupt Vegetarier/Veganer dort?), ob es dem Sprecher/der Sprecherin ernst ist. Hast Du sie nicht gefragt, warum Vegetarismus für sie “fundamentalistisch” ist?

    Ob es de la Mettrie mit den Tieren wirklich besser meinte als Descartes, würde ich bezweifeln. Zumal es beiden Philosophen nicht darum geht, die Wirklichkeit zu gestalten (dh hier: Handlungsanweisungen im Umgang mit Tieren zu geben), sondern nur sie zu analysieren. Descartes spricht dem Menschen Geist zu und dem Tier ab, und La Metttrie spricht Mensch wie Tier den Geist ab und bezeichnet sie als bloße Materie und Maschine.

    Nicht wegen einer allfälligen Aufwertung der Tiere machte er sich mißliebig, sondern wegen einer Abwertung des Menschen. Wobei er wohl genauso wenig ein Tierfreund oder -hasser war wie Descartes. Das wären einfach anachronistische Denkweisen. Auch dass La Mettrie sich gegen die Tierversuche Albrecht von Hallers wandte, geschah nicht aus Tierliebe, sondern um eines andersartigen Wissenschaftskonzepts willen. Der Gedanke, sich um die Tiere, die ja nur Maschinen sind, zu sorgen. wäre ihm wohl eher als Haller absurd erschienen. Gerade die Ärzte, die in dieser Zeit der frühen Aufklärung Vivisektionen en masse durchführten, kamen nie auf die Idee, dass die Tiere keine Seele oder kein Gefühl hätten. Mindestens letzteres wußten sie wohl besser als die Philosophen, die von ihrem Schreibtisch herab Tieren Seele und Gefühl absprachen.

    Über de la Mettrie (unter Erwähnung der Referentin) ua.:
    http://www.zeit.de/2009/48/A-La-Mettrie/seite-1

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