17. November 2024

Vorschläge für eine Justizreform: Ende des Inquisitionsprozesses

Zugegeben, ich habe eine „kriminelle“ Vergangenheit. Allerdings nicht im Sinne einer kriminellen Organisation, sondern als NGO-Aktivist. So war ich z.B. in England vor einem Strafgericht, weil ich bei einer Tierschutzaktion einen harmlosen Zitronenduft auf die Geruchsspur eines Fuchses gesprayt hätte, um die Hundemeute einer adeligen Jagdgesellschaft daran zu hindern, diesen Fuchs zu verfolgen und zu zerfetzen. Ich wurde übrigens freigesprochen. Ich war auch in Finnland vor einem Strafgericht, weil ich dort Pelzfarmen gefilmt hatte. Auch da wurde ich freigesprochen. Aber in beiden Ländern konnte ich von der ersten Reihe aus sozusagen, also von der Anklagebank aus, das Strafrechtssystem verfolgen.

In beiden Fällen blieben die RichterInnen den gesamten Prozess hindurch eigentlich völlig still sitzen und sahen sich alles wie ZuschauerInnen an. Die Staatsanwaltschaft brachte die Argumente, Beweismittel und ZeugInnen der Anklage vor. Die Staatsanwaltschaft führte auch die Befragung ihrer ZeugInnen durch. Dann konnte die Verteidigung die ZeugInnen ins scharfe Kreuzverhör nehmen. Die RichterInnen stellten keine einzige Frage. Nach Präsentation der Anklage durch die Staatsanwaltschaft konnte die Verteidigung ihre Seite, d.h. ihre Beweismittel und ihre ZeugInnen, präsentieren. Diesmal fragte die Verteidigung zuerst die ZeugInnen und dann konnte sie die Staatsanwaltschaft in ein Kreuzverhör nehmen. Wieder blieben die RichterInnen stumm. Nur wenn es Anträge auf Beweismittel gab oder wenn eine Seite – Staatanwaltschaft oder Verteidigung – der Meinung war, die andere handelte rechtswidrig, wurden die RichterInnen befragt und sie entschieden. Zuletzt sprachen die RichterInnen ihr Urteil. Auf mich wirkten die RichterInnen deswegen völlig unabhängig und objektiv. Sie ließen sich beide Seiten gleichberechtigt darlegen und entschieden dann.

In Österreich läuft ein Strafprozess, wie man anhand des Tierschutzprozesses gesehen hat, ganz anders ab. Hier befragt eigentlich nur die Richterin. Fasst zwangsläufig übernimmt sie dabei die Position der Anklage und gerät mit der Verteidigung in Konflikt. Statt die Rolle einer unabhängigen Beobachterin zu spielen, die am Ende unbefangen entscheidet, übernimmt die Richterin die Hauptrolle im Prozess, versucht aus den ZeugInnen die Wahrheit herauszuholen und urteilt dann über das Ergebnis ihrer eigenen Befragungsversuche. Staatsanwaltschaft und Verteidigung sind in Österreich nur StatistInnen.

Dass dieses System erschreckende Mängel hat, konnte man am Tierschutzprozess zweifelsfrei erkennen. Absolut alle unabhängigen BeobachterInnen kamen zu dem Schluss, dass die Richterin die Rolle der Staatsanwaltschaft übernommen hatte. Sie empfand es auch praktisch als Beleidigung, wenn Verteidigung und Angeklagte viele eigene Fragen stellen wollten. Dass noch zusätzliche Fragen gestellt wurden, hieß ja, Verteidigung und Angeklagte waren der Ansicht, die Richterin habe nicht ausreichend befragt. Tatsächlich war das auch eine Kritik an ihrem Vorgehen, wir waren ja auch der Meinung, dass noch viele Dinge, die für uns entlastend waren, herausgearbeitet werden mussten. Da die Richterin ja unsere Seite gar nicht kannte, sondern praktisch nur durch den Strafantrag und die polizeilichen Abschlussberichte informiert war, konnte sie ja gar nicht wissen, welche Fragen noch zu stellen waren. Zusätzlich hatte die Richterin überhaupt keine Erfahrung mit NGO-Arbeit und allein schon deswegen musste zwangsläufig jemand mit dieser Erfahrung andere Fragen stellen, als sie ohne.

Es mag geschichtlich bedingt sein, dass die RichterInnen in Österreich diejenigen sind, die im Prozess die aktive Rolle übernehmen, einen sogenannten Inquisitionsprozess führen. Vielleicht ist das auch bei den üblichen kurzen Prozessen mit einem klaren Tatvorwurf und einer eindeutigen Beweislage egal. Aber gerade bei politischen Prozessen, bei großen, komplexen Prozessen, bei Prozessen, in denen die Wahrheit vielschichtig ist und nicht mehr so greifbar und an einer Handlung festzumachen, insbesondere also bei Prozessen nach §278a, da fällt auf, wie ungerecht ein Inquisitionsprozess wird. Eine Justizreform muss daher auch das Ende des Inquisitionsprozesses umfassen.

8 Gedanken zu “Vorschläge für eine Justizreform: Ende des Inquisitionsprozesses

  1. Ich hatte auch mal mit unserem Justizsystem zu tun. Und zwar als Geschädigter und sogenannter Privatbeteiligter, der bei der Verhandlung das Recht hat, selbst Fragen zu stellen und so aktiv am Prozess mitzuwirken. Als ich dann von meinem Recht Gebrauch machen wollte, spielte sich der Richter auf, was ich denn eigentlich wolle, was ich mir denn nicht alles erlauben würde. So quasi: Ich hab hier das Sagen, sonst niemand. Der Verteidiger des Beschuldigten (Körperverletzung) sagte immer nur Dinge wie “Ja, euer Ehren”, “Erlauben, euer Ehren, wenn ich bemerke, … ” usw.. Dazu tiefe Verbeugung und Knickserl vorm “hohen Rat”. Schließlich wurde ich vom Richter selbst als der Böse hingestellt und er meinte, ich werde mal große Probleme bekommen, wenn ich glaube, dass ich mir so viel erlauben könne. Meine Anmerkungen und Fragen wurden vom Richter nur unterdrückt und abgewürgt. Es war eine sehr niederschmetternde Erfahrung mit unserer Justiz. Mittelalterlich und höchst autoritär!

  2. Solange nicht auch der letzte Trottel in Österreich selbst mit der Justiz zu tun bekam, solange glaubt es keiner wie diese Damen und Herren dort werken. Scheinbar fühlen sich diese dort übergöttlich da sich keine Partei so wirklich daran getraut dort einmal Ordnung zu schaffen. Jeder Arzt oder Chirurg wird spätestens nach einer schädigenden Diagnose zur Verantwortung gezogen und muss aus seiner eigenen Tasche (Versicherung o.Ä.) dafür gerade stehen. Bei richterlichen Fehlurteilen bezahlt das der Steuerzahler. Schön langsam könnten wir uns von diversen arabischen Völkern was abschauen.

  3. S.g. Herr DDr. Balluch: Ihre Vorschläge für eine österr. Justizreform in Ehren, aber: das Inquistionsverfahren im Mittelalter war doch um einiges schlimmer als der Tierschützerprozess: Auszug aus Wikipedia:
    Theorie des kirchenrechtlichen Inquisitionsverfahren im Mittelalter:
    Das Inquisitionsverfahren war vom Grundsatz her kein Parteiprozess, zumal weder der Ankläger noch der Beschuldigte als Prozesspartei im heutigen Sinn auftrat. Die Wahrheitsforschung oblag dem Inquisitionsrichter. Der Beschuldigte war Objekt des Verfahrens, und hatte kein rechtliches Gehör, wie es heute einem Beschuldigten als Prozesspartei zusteht. Seine Beteiligung am Prozess erfolgte nur insoweit, als dieses für die Ermittlung eines Urteiles erforderlich war. (Ende Zitat)
    Die unterschiedlichen Verfahren in den EU-Ländern mögen sicher historisch begründet sein (protestantisch/katholisch)
    Ich habe den Versuch eines Vergleichs geschrieben:
    http://justizaustria.blogspot.com/2011/01/tierschutzerprozess-in-wiener-neustadt.html

    Meine persönliche Meinung zur Justiz-Reform in Österreich: Solange schwarze Minister die Fehler ihrer Vorgänger vertuschen müssen, wird bei der österr. Justiz nicht viel weiter gehen. Allerdings sollte das Justizministerium auch seinen Aufgaben laut Bundesverfassung nachkommen und nicht zum Vertuschungsministerium für Parteikollegen verkommen (was derzeit der Fall ist)
    Die Reformbedürftigkeit der Österr. Justiz und ihrer unehrenwerten Vertreter ist das eine Problem. Die Tierrechte und die Tierethik gehören nicht auf die Anklagebank eines österr. Gerichts. Man sollte eine Arbeitsgruppe bilden, die den Nationalrat bei der Gesetzesreform berät.
    Persönlich finde ich es großartig, wie Sie Herr Balluch nicht davor zurückscheuen, nur um Tiere zu retten, sich als Krimineller bezeichnen zu lassen. Das nennt man eigentlich Freiheitskämpfer oder Widerstandskämpfer. Dieser Prozess war ein Rückschritt für Österreichs Demokratie und die EU sollte Österreich dafür Sanktionen erlassen. Da es in Österreich aber auch SEHR INTELLIGENTE MENSCHEN, Professoren und Juristen gibt, hoffe ich darauf, dass so eine Schande für Österreich nicht mehr passiert.
    http://justizaustria.blogspot.com/2011/01/tierschutzerprozess-in-wiener-neustadt.html

  4. @Bambulak

    Vielen Dank für den sehr interessanten Link. Ich habe das gelesen und dabei wird ziemlich klar, dass der/die AutorIn einen Inquisitionsprozess in seiner vollen Dimension wie beim Tierschutzprozess nie erlebt haben. Im Ideal klingen viele Dinge vielleicht besser, z.B. Anarchie statt Demokratie, in der Realität schaut es dann oft ganz anders aus.

    In dem Artikel wird das Problem des adversatorischen Prozesses darin gesehen, dass es auf Intelligenz und Fähigkeit der Verteidigung ankommt, ob man gewinnt oder verliert. Naja, darin sehe ich jetzt kein Problem. Ich habe mich in meinen Verfahren selbst verteidigt, ohne Erfahrung und ohne juristische Ausbildung, und habe einen Freispruch bekommen. Ohne gute Argumente, die für einen Freispruch sprechen, kann man auch keine gute Verteidigung aufziehen.

    Im Inquisitionsprozess sitzen StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen eigentlich nur da und schauen zu. Was soll denn das für einen Sinn haben? Die Verteidigung kann so gut sein, wie sie will, das zählt überhaupt nichts. In Wirklichkeit werden die Prozesse in der Kantine beim persönlichen Sudergespräch zwischen RichterIn, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausgehandelt. Österreichische VerteidigerInnen sind generell auf das unterwürfige Sudern eingestellt, weil mit scharfen Argumenten und Befragungen verärgert man nur die RichterInnen. Bei einem Inquisitionsprozess sind diese scharfen Argumente nämlich unausweichlich gegen die RichterInnen gerichtet. Die sind ja die GegenspielerInnen.

    In der realen Praxis ist es einem menschlichen Wesen nicht zuzutrauen, dass es sich persönlich engagiert und danach über das eigene Engagement objektiv urteilt. Da können mir RichterInnen erzählen, was sie wollen, das werden sie nie zusammenbringen.

    Der Inquisitionsprozess, dabei bleibe ich, kann in der realen Praxis nie gerecht sein, weil das die Fähigkeit menschlicher Wesen auf eine objektive Beurteilung des eigenen Engagements überstrapaziert.

  5. Es hat sich defintiv um einen Inquisitionsprozess gehandelt… somit führt sich leider jede weitere Diskussion über das Recht allgemein ad absurdum. Leider. Ich hoffe, dass nach dem Aufruhr, der dem Tierschutz letztendlich doch zumindest indirekt nutzte nun nachträglich auch ein Aufruhr über den Zustand unseres angeblichen Rechtsstaat weitergeführt wird mit ähnlichem Erfolg. Beides geht letztendlich Hand in Hand. Ich möchte an dieser Stele den angeklagten Tierschützern/-rechtlern danken, dass sie die Ausdauer hatten, die ich gerne selbst aufbringen wollen würde um sämtlichen Mißständen ein Ende zu bereiten. Respekt & Danke! lG

  6. Vollkommen schlüssige Vorschläge. Ich zweifle leider am Reformwillen und grundsätzlich am Problembewusstsein des herrschenden Justizsystems.

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