25. April 2024

Wenn Höchstgerichte reaktionäre Politik betreiben

Eine Menschenkette von der Pallas Athene zum Justizpalast, um die Weisheit zu den Höchstgerichten zu tragen!
Eine Menschenkette von der Pallas Athene zum Justizpalast, um die Weisheit zu den Höchstgerichten zu tragen!

Gesetze können nie exakt festlegen, was nun erlaubt ist und was nicht. Immer ist eine Abwägung notwendig, die u.U. weitreichende politische Konsequenzen haben kann. Und diese Abwägung wird von Gerichten getroffen, die Abwägung mit den weitreichendsten Konsequenzen von Höchstgerichten. Die Entscheidung fällt dabei nicht demokratisch, sondern durch einen Richtersenat, der immer mit älteren Menschen besetzt ist, die ein langes Karriereleben durch die konservativen Institutionen der Justiz hinter sich haben. HöchstrichterInnen sind sicher eher BesitzerInnen von Firmen, als AktivistInnen, die gegen diese Firmen protestieren. Unausweichlich wird es daher bei ihnen ein persönliches Vorurteil gegen Demonstrationen und für Kapitalbesitz geben. Sollten HöchstrichterInnen in ihrer Jugend einmal Kontakt zu einer Protestkultur gehabt haben, so ist dieser am Höhepunkt ihrer Karriere im Höchstgericht schon längst verblasst. Urteilen diese Personen also über eine Abwägung zwischen Interessen einer Protestbewegung und des Kapitals, so geschieht das auf einer von den realen Gegebenheiten völlig abgehobenen Ebene. Im besten Fall sind HöchstrichterInnen 30 Jahre hinter den neuesten sozialen Entwicklungen hinterher, im schlechtesten Fall stellen sie sich gegen jeden Fortschritt. So auch im Urteil des Berufungsgerichts im Tierschutzprozess.

Wie dramatisch sich reaktionär-politische Urteile auf die Entwicklung einer Gesellschaft auswirken können, zeigt die Sklavereifrage in den USA im 19. Jahrhundert. Während die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei sowohl in Europa als auch in den USA immer größere Fortschritte machte, fällte das Oberste Bundesgericht im Verfahren Dred Scott vs. Sanford im Jahr 1857 ein Urteil, das in die völlige Gegenrichtung wies. Verantwortlich dafür war Richter Roger Taney, ein sklavenhaltender, katholischer Großgrundbesitzer aus Maryland. Der Fall drehte sich um einen Sklaven, der mit seinem Besitzer in einen Staat ohne Sklaverei gezogen war und dort auf Freilassung geklagt hatte. Das Gericht wies die Klage zurück. Der Sklave sei noch immer Sklave und überhaupt nicht klageberechtigt, Schwarze könnten keine BürgerInnen der USA werden. Die Folge des Urteils war eine Verschärfung des Umgangs mit SklavInnen in den Südstaaten und eine Welle von Gewalt, wenn SklavenhalterInnen in den Norden gingen, dort ihre entlaufenen SklavInnen ausfindig machten, und sie dann auf offener Straße „festnahmen“ und zurück in den Süden verschleppten.

1861-1865 kam es zum Bürgerkrieg in den USA um die Sklavenfrage, die der Norden gewann. Die Emancipation Declaration des Präsidenten Abraham Lincoln, wegen der er von Sklaverei-BefürworterInnen erschossen wurde, mündete schließlich 1868 in das 14. Amendment zur Verfassung der USA, das Schwarze zu gleichberechtigten BürgerInnen und damit das Urteil von Roger Taney wirkungslos machte. Doch der Supreme Court der USA schlug zurück. In einer Reihe von Urteilen zwischen 1873 und 1883 wurde festgelegt, dass sich die Bundeskompetenz nicht auf die Gleichberechtigung von Menschen verschiedener Hautfarbe in den Mitgliedsstaaten erstreckte. Die Folge waren die Jim Crow Laws in den ehemaligen Sklavenstaaten des Südens, die bis in die 1960er Jahre Gültigkeit hatten, nach denen Schwarze von Weißen völlig abgetrennt wurden, also nicht im selben Restaurant essen, vom selben Wasserhahn trinken und nicht dieselben Schwimmbäder, Eisenbahnwaggons, Busse, Schulen, Universitäten, Parkbänke usw. benutzen durften. Das Militär, das zur Einhaltung der Gleichheitsbestimmung noch in den Südstaaten stationiert war, zog man daraufhin ab. Zwischen 1880-1920 wurden 3200 schwarze Männer im amerikanischen Süden rituell gelyncht, oft nach Vorankündigung in Zeitungen und auf Plakaten sowie verbunden mit dem Verkauf von Eintrittskarten und Körperteilen des getöteten Schwarzen, meistens mit der Begründung, er hätte eine weiße Frau sexuell belästigt. KeinE TäterIn wurde je verurteilt.

Dieser südstaatliche Anachronismus, ab 1915 verstärkt durch die zweite Gründung des Ku Klux Klan, blieb bis zur Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King bestehen, obwohl im gesamten Rest der westlichen Welt Sklaverei und Leibeigenschaft endgültig abgeschafft waren. Dass nach dem durch Krieg erzwungenen Ende der Sklaverei in den Südstaaten der USA die Unterdrückung von anfänglich 3,5 Millionen Schwarzen durch 6 Millionen Weiße noch 100 Jahre gegen die überall sonst etablierte Aufklärung weitergehen konnte, ist nur auf einige Höchstgerichtsurteile zurückzuführen, die sich gegen den Mehrheitsentscheid stellten und die reaktionäre Überzeugung der RichterInnen als gesellschaftsbestimmendes Paradigma etablierten.

Wir müssen verhindern, dass jetzt in Österreich mit dem OLG-Urteil zur Nötigung ähnliches geschieht.

2 Gedanken zu “Wenn Höchstgerichte reaktionäre Politik betreiben

  1. Frau Bader hat Recht, die Nötigung geht hier klar von der Justiz aus. Engagement soll unter Strafandrohung unterdrückt werden. Es erinnert fatal an die 30-er-Jahre.

  2. Alles Gute für den Prozess in zweiter Auflage – wenn jemand nötigt, dann u.a. die Justiz, die Menschen wegen Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und anderer Menschenrechte schikaniert, sie dazu zwingen will, ihr Verhalten zu ändern (= selbst Unrecht zu tun) und sie in einen Zustand der Qual versetzt (schwere Nötigung) – daher habe ich nach einem Bericht über die PK zu den Selbstanzeigen auch selbst eine gemacht, via Formular und dann nochmals als Kommentar:
    Tierschutzprozess: Solidarische Selbstanzeigen
    http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=2720
    Tierschutzprozess 2:0 – Meine Selbstanzeige

    http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=2722

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