22. November 2024

Wut als wertvoller Motor für außerparlamentarische Politik

Bevor noch die Wut über die internationale Finanzspekulation zu weit um sich greifen konnte, wurde rasch der „Wut-Bürger“ zum „Mut-Bürger“ umfunktioniert. Wut sei destruktiv, sei „tierisch“, sei eines Menschen nicht würdig. Wir sollten kühl und rational eine angemessene und nicht-radikale Politik betreiben. So wünschen es sich jedenfalls die Regierenden. Mut zur Zivilcourage, das lässt man noch gelten, aber Wut ginge zu weit.

Ich sehe das anders, wie ich auch in einem Blogbeitrag ausgeführt habe, siehe https://martinballuch.com/?p=2048. Jetzt habe ich in den Wissenschaftszeitschriften „Psychological Science“ (Brett Ford, Vol 21, Seite 1098) und „Journal of Personality and Social Psychology“ (Nicole Tausch, Vol 101, Seite 129) eine Bestätigung meiner Erfahrungen gefunden.

Nach diesen Forschungsergebnissen hilft Wut, viel mehr als andere Emotionen, Menschen für ein gemeinsames Anliegen zu vereinen und sie zum Handeln zu bewegen. Wut sei eine sehr „energetisierende Emotion“, so Brett Ford.

Laut Nicole Tausch ist Wut von zentraler Bedeutung, um Menschen zur Unterstützung einer sozialen Bewegung zu mobilisieren. Die Wissenschaftlerin untersuchte die Proteste der Studierenden in Deutschland gegen Studiengebühren und interpretierte die Rolle der Wut als sehr positiv für die Bewegung. Insbesondere habe diese Wut die Menschen dazu gebracht, große, gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams durchzuführen. Die Wut habe die Menschen zusammengeschweißt und zu Handlungen motiviert, die sie ohne diese Emotion nicht unternommen hätten. Und trotz Wut sei man gewaltfrei geblieben, die Wut habe dafür die Energie geliefert.

Expressions of anger, so Nicole Tausch in ihrer Arbeit zusammenfassend, such as during protests, should therefore be viewed not as threats to the system but as signs of a healthy democracy. Wut hat aber auch die Kapazität, in Gewalt umzuschlagen. Um das zu vermeiden, müssen die politisch Verantwortlichen auf den Ausdruck von Wut in Protesten reagieren und diese nicht ignorieren, wie sie es gerne tun. Sie selbst verlassen dann nämlich den Pfad des konstruktiven demokratischen Konflikts, nicht die Wut-BürgerInnen, meinen aber, sich abputzen zu können, indem sie auf die vermeintliche „Radikalität“ ihrer KritikerInnen hinweisen.

Der Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft macht wütend. Ich bin wütend, wenn ich sehe, wie Schweine und Hühner in Mastfabriken eng zusammengepfercht werden. Ich bin wütend, wenn ich den nächsten Tiertransporter auf der Autobahn sehe, aus dem die Kälber hilflos hinaus schreien. Ich bin wütend, wenn Fasane zuerst gezüchtet, dann ausgesetzt und in herbstlichen Treibjagden aus dem Himmel geschossen werden, um am Boden minutenlang im Todeskampf zu zappeln und zu verzweifeln. All das macht mich wütend. Und zu recht.

Wut ist keine unpassende, unreife oder undemokratische Reaktion auf derartige Missstände. Sie ist die einzig richtige Reaktion. Wut galvanisiert den Protest und reißt uns aus unserer Lethargie. Es ist diese Wut, die die Machtblöcke in Wirtschaft und Politik fürchten. Lassen wir uns daher nicht zu „Mut-BürgerInnen“ zähmen sondern bleiben wütend und laut!

3 Gedanken zu “Wut als wertvoller Motor für außerparlamentarische Politik

  1. Ich bin auch wütend, dass wir so verarscht werden bzw. uns so verarschen lassen. Ich möchte oft noch viel wütender sein. Es gibt eh genug Grund, nur habe ich selbst leider noch nicht diese zündende Erfahrung gemacht, das meine Wut wirklich was verändert. Bzw. habe ich mich möglicherweise noch nicht selbst dazu ermächtigt, wütend zu sein, obwohl es wirklich eine Frechheit ist, was einem sensiblen, ethisch denkenden Menschen auf dieser Welt und schon allein am Beispiel Tierschutz zugemutet wird. Es ist wirklich wie David gegen Goliath. Wenn die Bibel recht hat, dann werden wir noch gewinnen…!!!!

  2. Die Wut über den Staatsterror, der letztendlich zum Tierschutzprozess geführt hat, hat mich zu meiner allerersten Demo auf die Straße gebracht und mich letztendlich wachgerüttelt. Nichts ist seither mehr so, wie es einmal war.

  3. Was soll man mit lethargischen “Mutbürgern”, man würde kein aufsehen erregen, das wollen sie ja, nur keine Mitmenschen animieren, mitreißen, wachrütteln oder für die Medien interessant machen…..

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