Gut 15 Jahre hat es die Position des „Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich“ bereits gegeben, als Antoine Goetschel sie 2007 für 3 Jahre übernahm. In dieser Zeit stand er in 700 Strafverfahren wegen Tierquälerei auf der Seite der Opfer, der Tiere. Doch das Buch „Tiere klagen an“ im Scherz Verlag, S. Fischer Verlags GesmbH Frankfurt am Main 2012 erschienen, handelt nur peripher von seinen Erfahrungen dabei. Vielmehr stellt der Autor 10 Fragen zu Tierschutz und versucht die LeserInnen dazu zu motivieren, selbst AnwältInnen für Tiere zu werden, und zwar weniger im rechtlichen Sinn sondern im täglichen Leben.
Die ersten 8 Fragen dienen zur Darstellung der Tiernutzung in unserer Gesellschaft, mit Schwerpunkt in Deutschland. Da geht es um den Goetschel unverständlichen Unterschied im Umgang zwischen sogenannten Heim- und Nutztieren, um Tierfabriken und Schlachthöfe, und um Tierversuche, Zoos, Zirkusse, Qualzuchten für Haustiere und die Jagd, aber auch – etwas unorthodox für ein derartiges Buch – um Zoophilie (d.h. Sex mit Tieren), Animal Hoarding und Delphintherapie. Da zeigt sich dann Goetschels Erfahrung als Tieranwalt, wenn er davon berichtet, dass es viel mehr Fälle von Sex mit Tieren gibt, als an vermutet, und dass die Mehrheit der TäterInnen heute weiblich sei (1947 in den USA noch 8 % der Männer und 3,5 % der Frauen, in der Landbevölkerung sogar 17 % der Männer!), oder dass Animal Hoarding hauptsächlich Frauen über 60 betrifft. Tierversuche werden dabei meinem Gefühl nach etwas zu blauäugig aufgearbeitet, zur Jagd dagegen gibt es eine klare Positionierung: „Besonders absurd, um nicht zu sagen pervers, ist das Züchten und Aussetzen von jagdbarem Wild“. Positiv erwähnt Goetschel dagegen den deutschen ökologischen Jagdverband, der die viel zu hohen Wilddichten aufgrund der sogenannten „Hege“ kritisiert. Die Rechtfertigung für Zoos, dass die Natur grausam sei und es den Wildtieren im Zoo daher besser ginge, lehnt er mit den Worten ab, dass der Mensch nicht die Tiere vor der Natur zu retten habe.
Goetschels grundlegende Philosophie zu Tierschutz basiert auf dem Recht auf Autonomie. Er warnt davor, das Mindern von Leid als die Hauptaufgabe im Tierschutz zu sehen. Dann würde nämlich z.B., so führt er aus, die Züchtung blinder Hühner ein Tierschutzanliegen sein. Diese könnten u.U. weniger leiden, wenn sie die Sehfähigkeit gar nicht kennen, und dadurch weniger Aggression zeigen. Dagegen wünscht sich Goetschel, dass wir uns dafür engagieren, dass „die Autonomie der Tiere gewahrt bleibt“ (Seite 36). Eine erfreuliche Übereinstimmung mit meiner Überzeugung.
Etwas weiter entfernen wir uns in unseren Positionen wieder, wenn Goetschel Unterschiede zwischen Menschen und Hunden betont. Immer, wenn jemand davon spricht, dass Tiere doch ganz anders seien, führt das unweigerlich dazu, den Tieren einen ähnlichen Respekt und Freiraum zur Selbstbestimmung wie Menschen zu verweigern. Es mag schon sein, dass Hunde zum Friseur oder ins Wellnessbad zu bringen, ein unpassender Anthropomorphismus ist. Doch für Goetschel führt auch der Dialog mit einem Hund zu weit, für ihn ist die Beziehung zu einem Hund immer grundsätzlich anders als die zu Menschen, sie kann offenbar weder trösten noch Einsamkeit lindern. Den Hund einen Hund sein zu lassen heißt dann, ihn aus vielen Aspekten menschlicher Beziehungen auszuschließen. Dem muss ich scharf widersprechen.
Am meisten hat mich allerdings das vorletzte Kapitel interessiert. Hier berichtet Goetschel von seinen Erfahrungen als Tieranwalt. Er betont, dass die Auswirkung seiner Arbeit eine Zunahme bei der Anzahl der Strafverfahren wegen Tierquälerei war und dass die Strafen auch härter ausgefallen sind. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil dadurch der Stellenwert der Tiere in der Gesellschaft steigt. An Kosten verzeichnete er im Jahr 2009 mit 190 begleiteten Strafverfahren insgesamt 80.000 Franken, was sich im Vergleich zu den 100 Millionen Franken zur Strafverfolgung im selben Zeitraum sehr bescheiden anhört. Goetschel plädiert daher, überall derartige Rechtsanwälte für Tierschutz in Strafsachen einzuführen, sowie für Tierschutz-Ombudspersonen, wie in Österreich, und für ein Verbandsklagerecht im Tierschutz.
Aber am wichtigsten ist ihm, die Würde der Tiere zu betonen und gesetzlich zu schützen. Bereits 1992 sei es u.a. mit seiner Hilfe gelungen, „die Würde der Kreatur“ in der Schweizer Verfassung zu verankern. In Artikel 4 (2) des Schweizer Tierschutzgesetzes ist diese Würde als Eigenwert definiert: „Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann. Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insbesondere Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn tiefgreifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermäßig instrumentalisiert wird.“
Diesen Weg Richtung Tierschutz sollte man laut Goetschel weiter entwickeln. Nähme man die Würde nämlich Ernst, dann wäre für Tiere z.B. das Enthornen, die Nutzung als Werbeträger, das Lächerlich-Machen in Zirkussen und Shows, sowie die Genmanipulation verboten. Erniedrigungen im Schlachthof mit Elektroschockern, bei Treibjagden oder bei Sex mit Tieren ohne Leid hätten strafrechtliche Konsequenzen. Und in der Landwirtschaft müsste man sich von Qualzuchten, der Kückentötung und der Verstümmelung (z.B. Zähne- und Schwanzkupieren bei Ferkeln) verabschieden. Auch bei Tierversuchen bringt Goetschel vernünftige Vorschläge zur Reform, die ähnlich unserer Idee des Kriterienkatalogs in der Schaden-Nutzen-Abwägung bei Genehmigungsanträgen für Tierversuche klingen. Hätte nur das Wissenschaftsministerium sein Versprechen gehalten und einen strengen Katalog eingeführt, wären wir einen wesentlichen Schritt weiter!