18. Dezember 2024

1 Woche bis zum Tierschutzprozess

Seit 21. Mai 2008 wissen wir, dass es eine Sonderkommission SOKO gegen den Tierschutz gibt. Das ist jetzt auch schon fast 2 Jahre her, die SOKO gibt es seit April 2007, die Ermittlungen wurden schon im November 2006 eingeleitet. 3 1/2 Jahre Ermittlungen, 3 1/2 Jahre Überwachung und Bespitzelung, 3 1/2 Jahre, in denen die Polizei in der Privatsphäre zahlreicher Menschen schnüffelt, Videofallen vor der Haustür installiert, Peilsender an Autos anbringt, Spione in die Tierschutzgruppen einschleust und sogar Mikrophone in den Büros und Privatwohnungen aktiviert. Nicht zu reden von den persönlichen Observationen, dem Abhören der Telefone, der Handypeilung, der Abfrage von Finanzamtsdaten usw. Und es ist kein Ende abzusehen.

Angesichts dieser Situation möchte man vielleicht meinen, dass sich die Angeklagten auf den Beginn des Prozesses am 2. März 2010 – also in 1 Woche – freuen sollten. Das ist aber nicht so. Der Rechtsstaat hat in der Tierschutzcausa bisher eindeutig versagt. In diesem Verfahren geht es nicht – und ging es nie! – um die Verfolgung krimineller Handlungen. Vielmehr gab es von vornherein einen eindeutigen politischen Auftrag: die aktivsten Personen im Tierschutz und insbesondere der Verein Gegen Tierfabriken VGT sollen ausgeschaltet und die gewachsenen politischen Strukturen zerschlagen werden. In 3 1/2 Jahren Ermittlungen hat man die aktivsten TierschützerInnen ausgewählt und dann versucht, mit allen Mitteln, die der Polizei zur Verfügung stehen, diesen Personen etwas Strafrechtswidriges anzuhängen. Man ist nicht umgekehrt vorgegangen, wie es normalerweise der Fall ist, dass man Straftaten hat und dafür TäterInnen sucht.

Deutliche Belege für diese Ansicht gibt es zahlreiche im den Angeklagten zugänglichen Teil des Ermittlungsaktes. So gibt es ein Sitzungsprotokoll der SOKO vom 19. Juni 2008 und einen Bericht an die Staatsanwaltschaft vom 27. August 2008, in denen besprochen wird, wie der VGT zerschlagen werden könnte. In einem internen Bericht der SOKO-Leitung vom 23. Jänner 2008 werden Maßnahmen vorgeschlagen, wie den aktiven TierschützerInnen und dem VGT ein Imgaschaden zugefügt werden könnte, um die bestehende Sympathie der Öffentlichkeit für diesen Personenkreis zu brechen. Es wird einmal notwendig sein, diesen ganzen Komplex aufzuarbeiten und festzustellen, wer Auslöser für den politischen Auftrag war. Unabhängig davon sind wir aber mit dem Faktum konfrontiert, dass der Staat 3 1/2 Jahre lang über 30 hochbezahlte SpezialistInnen damit beauftragt hat, insbesondere mich und andere Aktive im Tierschutz ins Gefängnis zu bringen.

Der anstehende Prozess wird kein Ende dieser Verfolgung mit sich bringen. Die Verbissenheit, mit der die Mitglieder der SOKO bisher ihr Ziel verfolgt haben, lässt nichts Gutes für die Zukunft hoffen. Ohne eine klare politische Entscheidung wird der Spuk jedenfalls kein Ende finden, auch durch ein Urteil im Tierschutzprozess nicht, wie es auch immer ausfallen wird.

Mit der Anklage nach §278a StGB, Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, gegen 13 TierschützerInnen betreten wir vollkommenes Neuland. Erstmals werden politische AktivistInnen ausschliesslich aufgrund legaler Kampagnentätigkeit gerichtlich verfolgt, weil sie ideell und indirekt ihnen unbekannte Personen zu Straftaten motiviert haben sollen. Eine ganze soziale Bewegung steht unter Anklage. Alle politisch Aktiven werden damit unter Druck gesetzt, nicht mehr aufzufallen, nicht mehr offensiv die Gesellschaft zu kritisieren, sondern sich anzupassen und in die Institutionen des Mainstream einzuordnen. Das Urteil im Tierschutzprozess könnte ein verheerender Präzedenzfall werden.

Nein, ich glaube daher nicht, dass es angezeigt ist, sich auf diesen Prozess zu freuen. Vielmehr wird er politisch der absolute Tiefpunkt der letzten 65 Jahre sein. Erstmals seit 65 Jahren werden wieder AktivistInnen vor Gericht stehen, weil sie subversive Flugblätter zu Hause gelagert haben sollen, wie seinerzeit die Geschwister-Scholl vor dem Volksgerichtshof. Wir betreten eine neue Ära, in der wir uns wünschen werden, dass alles politisch wieder (so schlecht!) werden möge, wie es vor 20 Jahren war.

10 Gedanken zu “1 Woche bis zum Tierschutzprozess

  1. es stehen viele hinter euch und ich bewundere euch für eure courage. das ganze ist ein gräßlicher wahnsinn—-bitte kopf hoch und höher

  2. Erstaunlich, wie sehr Wirtschaftstreibende Angst bekommen können, ihre Machenschaften aufgezeigt werden, mit denen sie ihr Geld verdienen. Dieser Prozess soll ein Exempel statuieren und denen, die versuchen, unserem Staat demokratische und humanitäre Eigenschaften abzusprechen, ihr Ziel leicht erreichbar machen.
    Ebenso erstaunlich, mit welcher Verzweiflung hier veruscht wird, ein paar Menschen, die sich nicht von Geld und Macht kaufen lassen, ihr Leben zu Qual zu machen und ihnen den Einsatz für andere Lebenwesen – Menschen und Tiere – zu verleiden.
    Etwas läuft hier gewaltig falsch im Staate Österreich.

  3. Hab jetzt den ganzen – sehr langen Text – bzgl. Verfolgung und Prozess gelesen. Eine wirklich obj. Meinung kann ich nicht haben, weil ich nur eine (Deine) Seite kenne. Aber selbst wenn nur 50% stimmen sollten, ist das jur. DER SKANDAL der 2. Rep. in Ö. Unfassbar! HG Ch Huber

  4. Was ich nicht versteh, ist, dass ein derartiges Interesse an den Tag gerlegt wird, Tierschutz-motivierte Leute zu verfolgen.
    Demgegenüber werden Tierqual-Delikte
    niedergelegt, beschwichtigt, ignoriert,
    vertuscht.
    Eigentlich werden wir täglich via TV, Werbung und Lobby belogen. Als Konsument würde ich zugern mal einen realen Film über die Verarbeitung von Tieren sehen.
    Die Kinder, die in dieser Zeit aufwachsen tun mir echt leid.

  5. Sehr geehrter Herr Balluch!
    Mit großer Begeisterung habe ich ihr Buch “Widerstand in der Demokratie” gelesen.
    Sie sprechen mir in diesem Buch aus der Seele.
    Mit Scheinargumenten wie „Arbeitsplatzsicherung, Brauchtum“ schaffen sich die Lobbyisten der Jagdverbände
    und des Pelztierhandels bei Behörden und Politikern moralischen sowie gesetzlichen Freiraum.
    Unabhängig vom Ausgang dieses Prozesses, ist dieses Vorgehen der absolute Tiefpunkt unserer Rechtstaatlichkeit.
    Ich wünsche ihnen alles Gute und werde
    ihre Kampagnen auch weiterhin unterstützen.
    Liebe Grüße Meier Eduard

  6. hab grossen respekt vor ihnen – ich hab das 1x gesehen bei schweinderln die sie niedergebunden haben und henderln – grauenhaft

  7. alles was für den staat und wirtschaft hinderlich ist. wird aus´geschaltet! ganz einfach! martin und alle betroffenen tierschützer, kopf hoch, höher, alles gute, es stehen viele tierschützer hinter euch!

  8. Ich frage mich immer noch wie es möglich sein soll den Leser_innen das Ausmaß des Wahnsinns klar zu machen, der hier vor geht ohne sie mit zehntausenden Seiten Gerichtsakten zu überfordern.

    Einersteits ist Übersichtlichkeit wichtig um verstanden zu werden. Andererseits ist der Anspruch auf zuverlässige Quellen auch verständlich. Doch sogar die bisherigen Richer_innen in diesem Fall haben es – nach eigenen Aussagen – vorgezogen nach ihrem subjektiven Eindruck zu entscheiden anstatt sich auf der Suche nach faktischen Beweisen durch die erschreckend schlecht geschriebenen Gerichtsakten zu quälen, die völlig verwirrend und unzusammenhängend sind, aber zuverlässig ausschließlich beinhalten, was irgendwie belastend oder belanglos sein könnte, aber alle jene Materialien unterschlagen, die die erhobenen Anschuldigungen entkräften könnten.

    Aber was könnte ein besserer Beweis von Rechtschaffenheit sein als der Umstand, dass selbst Jahre lange intensivste Überwachungsmaßnahmen, Durchsuchungen, unter Druck Setzungen, Untersuchungshaften und Behinderungen keine kriminellen Aktivitäten zum Vorschein bringen konnten?

    Das Ausmaß der Anschuldigungen, das ursprünglich erhoben wurde, war beeindruckend. Allerdings ist es den Ermittlungsbehörden nicht gelungen die festgestellten Straftaten in irgendeine nachvollziehbare Beziehung zu den Angeklagen zu bringen. Deswegen mussten sie den Mafiaparagraphen einsetzen, der bei einer entsprechend grundrechtsfeindlichen Auslegung auch massive Verfolgungsmaßnahmen von unbescholtenen Bürger_innen möglich macht, wenn kein vernünftiger Mensch irgendeinen sinnvollen Verdacht gegen die Betroffenen begründen könnte.

    Es ist zu befürchten, dass all diese ins Leere führenden endlosen und teuren Strafverfolgungsmaßnahmen gegen offensichtlich die falschen Personen durch einen Schuldspruch gerechtfertigt werden sollen.

    Operation Spring (http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Spring ) ist inzwischen allgemein als schockierender Justizskandal anerkannt. Dennoch sitzen die vielen dabei mit völlig absurden Begründungen verurteilten Personen immer noch in Haft. Was hilft eine allgemeine Anerkennung, wenn die staatlichen Istitutionen einfach über sie hinweg gehen können?

    Kämpfen wir für die Rechtsstaatlichkeit in Österreich, denn je länger wir warten, umso schwerer werden wir es haben und umso größer werden die Opfer dafür sein müssen.

    Unterdrückung ist so gefährlich weil jene, die davon profitieren, kein Interesse an ihrer Abschaffung haben. Jene, die darunter leiden, würden nicht darunter leiden, wenn sie sich dagegen effektiv zur Wehr setzen könnten.

    Die Haltung erst eingreifen zu wollen, wenn wir selbst betroffen sind, ist daher bitterer Hohn: In Wahrheit können nämlich immer nur jene Menschen effektiv gegen Machtmissbrauch vorgehen, die (noch) nicht betroffen sind!

  9. Großartig, dass diese Domain so gelungen wiederbelebt wird. Das Design ist schlicht und einladend (und das Foto lustig).

    Hoffentlich nehmen die nächsten Monate einen guten Verlauf.
    Alles Gute, Martin!

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