22. November 2024

Wildtiere der Subarktis

 

In unserer Wanderung durch die subarktische Wildnis Skandinaviens haben wir nur sehr wenige Wildtiere gesehen. Das liegt einerseits daran, dass die Lebensbedingungen in dieser Gegend sehr hart sind, es gibt einen langen, dunklen und eiskalten Winter, der Boden ist bis in 300 m Tiefe im Permafrost erstarrt, von dem im Sommer nur die Oberfläche auftaut. Bis vor 9000 Jahren war der Großteil der Region noch unter mehrere Kilometer dickem Eis. Seitdem ist die Landschaft zwar etwas lebensfreundlicher geworden, die Wildtierdichten sind aber auch im funktionierenden Ökosystem trotzdem sehr gering.

Das ist die eine Seite der Erklärung für die seltenen Wildtierbegegnungen, die andere ist natürlich die Jagd. Diese findet selbst in Nationalparks ungebrochen statt, wenn auch nicht in einem Reviersystem, wie in Österreich, sondern durch die Abgabe von Jagdlizenzen, die man fast überall kaufen kann. Die großen Beutegreifer wie Bär, Wolf, Luchs und Vielfraß (Fjell ist das Wort für die lokalen Berge, „Vielfraß“ heißt also Bergkatze) sind nicht nur praktisch ausgestorben, sie werden trotz ihrer geringen Zahl brutal bejagt und vertrieben. Den Vielfraß, die größte Marderart, kann man praktisch nur ausgestopft im Museum „bewundern“.

Unglaublich faszinierend für mich war die Begegnung mit Moschusochsen, von denen ich eigentlich dachte, sie würden nur mehr in Grönland leben. Tatsächlich sind sie in Skandinavien bereits 2 Mal von der Jägerschaft ausgerottet und dann wieder eingebürgert worden. Momentan leben gerade einmal ein paar Hundert dieser Tiere in den dortigen Nationalparks. Die Moschusochsen sind angeblich aggressiv und gefährlich, jährlich würde eine Person von ihnen verletzt oder getötet, wurde uns erzählt. Man dürfe keinesfalls näher als 200 m an sie herangehen. Die beiden jungen, etwa 4-5 Jahre alten Moschusochsen-Männer, die uns begegnet sind, waren dagegen sehr friedlich. Zwar zeigten sie keine Angst und flüchteten auch nicht, als wir 50 m neben ihnen standen – mein Hund blieb dabei mucksmäuschenstill –, aber sie waren auch überhaupt nicht aggressiv, ja nicht einmal nervös. Ein für mich absolut einmaliges Erlebnis!

Seit langem schon wollte ich Elche beobachten. Sie sind in der Subarktis zwar weit verbreitet, aber trotz der riesigen Fläche leben angeblich in ganz Skandinavien nur einige 100.000, weil sie intensiv bejagt werden. Auf meine Frage, wozu man diese Tiere jagt, wurde mir erklärt, sie würden sonst nicht genug zu essen finden und verhungern. Man jage und töte sie also aus reiner Menschlichkeit und Nächstenliebe! Das Argument, sie würden den Wald zerstören, wie man das ja so gerne in Österreich als Grund für die Jagd auf Paarhufer vorschiebt, gilt in der Subarktis nicht, weil mangels starker Bäume keinerlei Forstwirtschaft betrieben wird. Die Elche werden aber auch nicht gefüttert, wie bei uns die jagdbaren Wildtiere. In den 19 Tagen Wildnis haben wir diesmal mehr als 10 Elche gesehen, zum Teil sogar aus sehr kurzer Distanz. Da sie gejagt werden, sind sie sehr scheu, aber die oft dürren Wälder und weiten Moorflächen ermöglichen eine Beobachtung aus der Entfernung.

Die meisten Rentiere sind halbdomestiziert, gewisse Menschen betrachten ihre Herden als von ihnen exklusiv zu nutzende Ressourcen. Nur in manchen Nationalparks Norwegens gibt es noch die letzten wilden Rentierpopulationen. Auch sie konnten wir glücklicherweise beobachten. Aber diese Tiere werden natürlich ebenso mit Lizenzen bejagt und sind entsprechend scheu.

Am häufigsten aller Wirbeltiere sahen wir heuer Schneehühner. Leider werden auch diese Tiere mit Schrot beschossen, selbst in Nationalparks. Ich stolperte immer wieder über die leeren Schrothülsen der SchneehuhnjägerInnen, und die Werbung für diesen „Sport“ war am Nationalparkeingang unübersehbar. Ansonsten konnten wir nur wenige Vögel wahrnehmen, oft den Regenpfeifer, den ständigen Begleiter in der Tundra, immer wieder Raben und ab und zu Raubmöwen.

Der lange Arm der menschlichen Zivilisation, und ihre imperiale Gewalt in Form von jagdlichen Raubzügen, bestimmen also auch in den letzten Wildnisregionen Europas das Leben der dortigen Tiergemeinschaften.

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