22. November 2024

Wenn sich Puten nicht mehr bewegen

Am 17. Juni 2015 war es endlich soweit: wir konnten die schon so lange geplante Pressekonferenz über die Putenhaltung in Österreich durchführen. Die Verzögerung wird verständlich, wenn man bedenkt, dass uns insgesamt mehr als 700 Stunden (!) Videomaterial aus verschiedenen Putenfabriken im Burgenland, in Niederösterreich, in Oberösterreich und in Kärnten zugespielt worden waren. Unbekannte hatten Kameras an verschiedenen Stellen in etwa 30 Hallen montiert und jeweils 24 Stunden durch filmen lassen. So konnten wir einen guten Überblick bekommen, insbesondere über den besorgniserregenden Umstand, dass sich die Puten kaum bewegen.

Einzelne Puten saßen fast völlig still. Wir sahen eine Pute, die sich in 24 Stunden lediglich 31 m fortbewegte, eine andere in derselben Zeit 52 m. Für die Bewegung selbst waren praktisch nur Rempler anderer Puten verantwortlich. Tatsächlich wurden diese beiden Puten im Mittel alle 10 Minuten von einer anderen Pute gestoßen, also 130 Mal in 24 Stunden. Da Wildtruthühner mit bis zu 50 km/h laufen können, bedeutet das, sie legen in 3 Sekunden eine größere Strecke zurück, als diese schweren Monsterputen in 24 Stunden! Hühner gehen in der Freilandhaltung etwa 7 km pro Tag.

Wir haben zusätzlich 52 Puten willkürlich ausgewählt und zu den Zeitpunkten 2 Uhr, 6 Uhr, 10 Uhr, 14 Uhr, 18 Uhr und 22 Uhr jeweils 10 Minuten lang verfolgt. Das Ergebnis ist am Bild ganz oben zu sehen. Die Höhe der Säule entspricht der Strecke, die die 52 Puten zusammen addiert zu jedem Zeitpunkt in diesen 10 Minuten zurückgelegt haben. Das variiert von etwa 50 m in der Nacht bis zu im Mittel etwas über 100 m am Tag. Um 22 Uhr nachts sind es 80 m. Daraus können wir zunächst einmal schließen, dass diese Puten keine Nachtruhe kennen, dass sie keine Schlafphase haben. Wir Menschen liegen 8 Stunden völlig still, wenn wir schlafen. Die Puten bewegen sich in der Nacht halb so viel wie im Tag. Das ist auf die Dauerbeleuchtung zurück zu führen, der diese Tiere ständig ausgesetzt sind. Bei einer Lichtstärke von 20 Lux ist eben an Schlaf nicht wirklich zu denken. Abgesehen davon stoßen sie in der Enge dauernd aneinander. Ist einmal eine Pute unterwegs, schubst sie gleich zahlreiche weitere an.

Auf dem Bild oben sind aber auch Farben in den Säulen aufgetragen. Diese geben den Anteil der Puten wieder, die sich zum angegebenen Zeitpunkt jeweils die auf der rechten Seite der Farbe zugeordnete Distanz bewegt haben. Der Anteil ist dabei relativ zur Höhe der Säule gerechnet. Wir sehen also, dass praktisch überall etwas mehr als 50 % der Tiere keinen Meter weit gehen. 70% der Tiere bewegen sich maximal 2 m weit. Die Höhe der Säule kommt also in erster Linie durch einige wenige Puten zustande, die sich viel mehr bewegen als der Rest.

Diese Bewegungslosigkeit der Puten ist auf ihre Qualzuchtrasse zurück zu führen. Diese Puten werden 4-5 Mal so schwer wie ihre wilden Verwandten. Zusätzlich wurden sie auf besonders viel Brustfleisch gezüchtet. Deshalb legen sie die schwere Brust ständig auf den Boden. Dadurch entstehen Schwielen auf der Haut, im Fachjargon „Brustblasen“ genannt. 30 % der Tiere sind davon betroffen. 80-90 % der Tiere zeigen eine Nekrose der tiefen Brustmuskulatur. Der Brustmuskel ist so groß geworden, dass er in den für ihn vorgesehenen Bereich im Skelett nicht mehr passt. Die Folge ist eine Blutunterversorgung und dadurch ein Absterben des Gewebes. Die Tiere leiden dabei unter großen Schmerzen.

60-100 % der Tiere, je nach Betrieb, leiden unter einer Beinschwäche. Darunter fällt sowohl die akute Lahmheit, die 30 % der Tiere betrifft, als auch die tibiale Dyschondroplasie, bei der sich die Hüftgelenke aus den Kapseln drehen, die Beine nach außen gestellt werden und jede Bewegung ungeheuer schmerzt.

Dabei sind derartige Qualzuchten verboten. § 5 (2) Ziffer 1 Tierschutzgesetz: „Züchtungen
sind verboten, bei denen vorhersehbar ist, dass sie für das Tier oder dessen Nachkommen mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Angst verbunden sind und durch die Symptome auftreten wie Atemnot, Bewegungsanomalie oder Lahmheiten.“ Alle diese Symptome treten zweifellos auf! Ich war daher bereits bei der Volksanwaltschaft, um anzufragen, ob sie hier nicht eine Missstandsfeststellung abgeben und diesen Zustand bis zum Verfassungsgerichtshof bringen könnte. Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen und die Sackgasse der industrialisierten Tierhaltung verlassen.

3 Gedanken zu “Wenn sich Puten nicht mehr bewegen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert