Erfreulicherweise fasst der Tierschutzgedanke zunehmend akademisch Fuß. Um diese Entwicklung zu fördern habe ich ja seinerzeit im Jahr 2000 überhaupt das Studium der Philosophie begonnen, um es 2005 mit einer Dissertation über Tierrechte abzuschließen. Doch die „Human-Animal-Studies“ enthalten in meinen Augen einen Wermutstropfen: sie sind kaum naturwissenschaftlich basiert. Vielmehr geht es um das Mensch-Tier Verhältnis in der Kulturgeschichte, und der Blickwinkel darauf ist oft sehr anthropozentrisch. Ja, wie ich bei einem Symposium zu dem Thema an der Uni Wien feststellen musste, zuweilen grundsätzlich anthropozentrisch, weil man in den Sozialwissenschaften der Auffassung zuneigt, dass die Realität menschengemacht ist. Unter dieser Prämisse ist ein Speziesismus unausweichlich: wenn „wir Menschen“ die Realität schaffen, sind „die Tiere“ nur Objekte „unserer Realität“ und können niemals gleichberechtigte PartnerInnen sein.
Deshalb freuen mich Bücher wie Kurt Kotrschals Neues mit dem Titel „Einfach beste Freunde. Warum Menschen und andere Tiere einander verstehen“. Der Autor ist ja nicht irgendwer, sondern (Natur-)Wissenschaftler des Jahres 2010 und sein Buch „Wolf.Hund.Mensch“ Wissenschaftsbuch des Jahres 2013. Und sein neues Werk hält, was es verspricht. Im Zentrum des Buches stehen naturwissenschaftliche Fakten zur Ähnlichkeit von Menschen und anderen Tieren, wie er sich selbst ausdrückt, insbesondere weil wir seit 450 Million Jahren die gleiche Hirnsteuerung für Emotionen, Stimmungsübertragungen und das Verhalten anderen gegenüber teilen. So plädiert Kotrschal dafür, Schimpansen in die Gattung „Homo“, also Menschen, aufzunehmen und spricht davon, dass Tiere nicht nur moralanalog handeln, sondern die gleiche Basis von Moral wie Menschen haben.
Doch dieses Buch geht über ein naturwissenschaftliches Sachbuch hinaus. In Wahrheit überdeckt es eine ganz ähnliche Thematik, wie mein letztes Buch „Der Hund und sein Philosoph“, auch dahingehend, dass es über weite Strecken von Hunden handelt. Interessant Kotrschals Rekonstruktion des Speziesismus, also der Annahme einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Mensch und Tier, die unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Für Kotrschal waren die Jäger-Sammler-Gruppen in der Frühgeschichte nicht nur weitgehend egalitär, sondern sahen sich auch anderen Tieren gegenüber auf Augenhöhe. Man erkannte die Fähigkeiten von Tieren, ihre Kraft und ihre Intelligenz, und respektierte sie aufgrund der Gefahr, die von ihnen ausging. Mit eigenen Ritualen wurden daher ihre Geister nach erfolgreicher Jagd besänftigt. Kotrschal geht davon aus, dass damals Götter und Göttinnen oft Tiergestalt hatten. Dann kam die neolithische Revolution. Bei besonderen Heiligtümern trafen die Stämme der Frühmenschen zusammen und mussten ernährt werden. Also wurde es notwendig, Nahrung dort zu speichern. Daraus mag, so spekuliert Kotrschal, die Domestikation von Nutztieren entstanden sein. Damit einher ging erstmals die Möglichkeit, Besitz zu akkumulieren. Die Folge war, dass sich unter den Gruppen eine Hierarchie ausbildete, es gab also plötzlich „bessere“ übergeordnete und „schlechtere“ untergeordnete Menschen. Zusätzlich könnte sich das Bild von Tieren gewandelt haben. Statt den Respekt einflößenden, starken Wildtieren, war man jetzt mit zahmen Nutztieren konfrontiert, die ihren „BesitzerInnen“ nichts entgegen zu setzen hatten. Damit einhergehend sollen sich die Naturreligionen zum monotheistischen Ein-Gott-Glauben entwickelt haben, mit einem männlichen Patriarchen an der Spitze. Die Menschen wurden in Gottes Ebenbild gedacht, die Tiere als ganz anders: die Kluft war entstanden.
In meinem Buch argumentiere ich stattdessen dafür, dass diese Kluft erst durch die Aufklärung aufgerissen wurde. Erst die Aufklärung verabsolutierte nämlich die Vernunft und bis heute bezweifelt man, selbst in tierschutzaffinen Kreisen, dass Tiere so etwas wie Vernunft haben könnten. Es ist aber die Vernunft, die den Unterschied zwischen Biomaschine und Freiheit des Willens ausmacht. Mit Kotrschal bin ich aber wieder einer Meinung, wenn er argumentiert, dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ähnlichkeit von Menschen und anderen Tieren diese Kluft zu überbrücken, wenn nicht sogar zuzuschütten in der Lage sind.
Doch so richtig spannend wird es bei den ethischen Konsequenzen, die Kotrschal durchaus zieht. Sein Buch handelt ganz wesentlich von Tierschutz und ist kein rein naturwissenschaftliches Sachbuch, wie man es von ihm gewohnt ist. Und dafür ist Kotrschal im Gegensatz zu mir „unverdächtig“, er ist weder ein politischer Tierschutzaktivist noch lebt er überhaupt vegetarisch oder gar vegan. Bis vor einigen Jahren zeichnete er sogar noch für invasive Tierversuche verantwortlich. Und dennoch findet Kotrschal für den Vegetarismus nur positive Worte, nicht nur was die Auswirkungen auf die Gesundheit, die Umwelt, das Klima und die Entwicklungsländer betrifft, sondern auch aufgrund des Tierschutzes. An dieser Stelle bekennt er sich zu seiner Inkonsistenz: er esse Fleisch, könne es aber ethisch nicht rechtfertigen. Zwar greife er nur zu Weiderind, Wildbret oder gewissen Arten von Fisch, doch warum, so fragt er, würde er seine Hunde niemals essen? Dabei anerkennt er doch, dass Gewalt gegen Tiere und Gewalt gegen Menschen tiefe Parallelen zeigt. Diese Inkonsistenz im Umgang mit anderen gipfle, so Kotrschal, in der Schizophrenie von KZ-Schergen, die ihren eigenen Kindern gegenüber liebende Familienväter gewesen seien. Ein erstaunlicher Vergleich, bedenkt man den Selbstbezug der Kritik.
Eine Gesellschaft, die den Respekt gegenüber Tieren in die Tat umsetzt, nennt Kotrschal integrativ – ich nutzte dafür das Wort „Multi-Spezies-Gesellschaft“. So eine Gesellschaft müsse den Rassismus gegenüber Tierarten abschaffen und letztlich ohne Fleisch von Nutztieren auskommen. Die Städte sollten tiergerecht gebaut werden und es dürfe keine Verbote von Hunden im öffentlichen Verkehr, in Restaurants, in Mietwohnungen, in Hotels, an den Unis, in Kirchen und in Museen geben. Weniger Grenzen, Tabus und Vorschriften für Hunde, plädiert Kotrschal. Seine integrative Gesellschaft setzt ein enges Zusammenleben mit Tieren voraus. Und für die optimale, tiergerechte Entwicklung junger Hunde brauche es tägliche gemeinsame Unternehmungen, „möglichst viel ohne Leine“, und ständige Aufmerksamkeit für deren Emotionen, einen freundlichen Umgang und das ehrliche Zeigen von Gefühlen. Hunde würden es nicht verdienen, mit Gefühlszombies zusammen zu leben. Andererseits aber, so Kotrschal, müsse man bei Hunden auf unerwünschtes Verhalten sofort reagieren, und der menschliche Partner müsse entscheiden, wann Gassi gegangen wird, und wann es Training, Spiel oder Futter usw gibt. Das sei, so Kotrschal, lediglich „Leadership“ und kein Dominieren, das ginge mit Achtung und ohne Gewalt.
So sehr ich den meisten dieser Ideen zustimme, so sehr muss ich betonen, dass in meinen 30 Jahren Erfahrung im Zusammenleben mit Hunden auch die gemeinsame Entscheidung über das Tagesprogramm, so innerhalb äußerer Zwänge möglich, die Beziehung nur vertieft und verbessert.
Gänzlich trennen sich aber unsere Wege, wenn es um Tierversuche geht. Kotrschal behauptet, dass die Mehrheit der Tierversuche dazu diene, die Toxizität von Stoffen zu testen und das müsse durch Alternativen sukzessive ersetzt werden. Dagegen gäbe es nur wenig Grundlagenforschung, die Tiere nutzt, die aber nicht zu ersetzen sei und überdies notwendig, um die Gründe für den Respekt Tieren gegenüber naturwissenschaftlich zu untermauern. Abgesehen davon wäre sie wunderbar streng kontrolliert. Nach Kotrschal müssten wir also Hirnforschung an Affen betreiben, um danach festzustellen, dass wir das nicht hätten tun dürfen. Nein. Die von Kotrschal selbst konstatierte Ähnlichkeit liefert die Begründung, warum invasive Tierversuche analog zu Versuchen an Menschen ethisch nicht zu rechtfertigen sind. Und mittlerweile sind über 50 % der Tierversuche nur mehr zur Grundlagenforschung, also aus reiner Neugier. Und Kontrolle gibt es praktisch überhaupt keine. Als Mitglied der Bundestierversuchskommission ist mein Eindruck, dass in der Praxis alle Tierversuche, die beantragt werden, letztlich durchgeführt werden dürfen, und dass keine Übertretungen des Tierversuchsgesetzes geahndet werden. Ein Rechnungshofbericht zeigte zusätzlich, dass die allermeisten Tierversuchslabors nicht kontrolliert werden. Hier ist Kotrschal in seinen Äußerungen als Angestellter einer Universität, die Tierversuche durchführt, nicht mehr unabhängig.
Überhaupt scheint er Tierschutz eher für eine persönliche als eine politische Entscheidung zu halten. So erwähnt er den VGT im Rahmen der Tierschutzcausa sehr positiv, distanziert sich aber von uns, weil wir öffentlichen Druck erzeugen und Gesetzesänderungen wollen, anstatt nur Menschen zu überzeugen, sich selbst zu ändern. Das zeigt sich letztlich auch in Kotrschals sehr kurzer Wortmeldung zur Frage von Tierrechten. Diese würden von Menschen den Tieren nur übergestülpt und es sei höchste Vorsicht geboten, dass sie nicht zu „Kontrollrechten“ über andere Menschen ausarten. Er, der Kolumnist in der bürgerlichen Presse ist und zu seiner zumindest ehemaligen Sympathie zur konservativen ÖVP steht, mutiert in Sachen Tierrechten zum Anarchisten: sein Traum sei eine „selbstverantwortete Anarchie“ gegenüber Tieren statt Vorschriften zum Schutz von Tieren durch einen Staat, der diese auch exekutieren würde.
Am Dienstag dem 29. September 2015 um 19 Uhr diskutiere ich mit Kurt Kotrschal im Cardijn Haus, Treffpunkt Mensch & Arbeit Linz Mitte, Veranstaltungssaal im 1.OG, Kapuzinerstraße 49, 4020 Linz über diese Themen.