19. Dezember 2024

Mein erster Vatertag in Kinderbetreuungskarenz

Heute ist Vatertag. Mein erster Vatertag im Dienst, sozusagen. Ich bin in Karenz für die Betreuung meiner Tochter. Ein ganzes Jahr. Und ich freue mich sehr darüber. Ich würde mir wünschen, dass mehr Väter die Karenz für ihre Kinder in Anspruch nehmen, und ich würde mir sehr wünschen, dass die Gesellschaft dem viel weniger in den Weg legt. Wir sind noch lange nicht so weit, Väter wie selbstverständlich als Betreuungspersonen wahrzunehmen und anzuerkennen. Weder rechtlich, noch gesellschaftlich.

Braucht ein Kind einen Vater? Nein. Es braucht gute Bezugspersonen, die rückhaltlos lieben und das Kind in seiner Entwicklung nicht-direktiv fördern. Und davon möglichst viele. Je mehr Perspektiven dem Kind geboten werden, umso besser. Und Väter haben vermutlich öfters andere Perspektiven als Mütter. Väter können also bereichernd sein.

Schon bevor meine Tochter geboren wurde, als wir sie noch im Bauch mit uns getragen haben, tauchten wir in die tiefen Wälder der rumänischen Südkarpaten ein. Sie war dabei, als nur wenige Meter neben unserem Schlafplatz im Dunkeln ein wilder Bison vorbei ging. Und sie war mit uns, als wir die Wölfe heulen hörten. Bis heute gehen wir jeden Tag in den Wald, bestaunen die vielen kleinen Tiere am Boden, riechen an der Rinde der großen alten Tannen, spielen mit den Blättern, die der Wind beutelt, und beobachten, wie eine Hummel in eine Blüte krabbelt.

Wenn ich meine Tochter in ein Zimmer voller Spielsachen setze, dann greift sie nach allem, spielt damit kurz, wirft es weg und dreht sich schon zum Nächsten. Es scheint mir, dass Quantität der Spielsachen über Qualität geht. Alles wird rasch langweilig. Setze ich meine Tochter in den Wald, wird mir klar warum. Sie möchte alles erforschen, alles berühren, leider auch alles in den Mund stecken. Sie will ihr Umfeld kennenlernen, und das mit einer unbändigen Energie. Das technische Spielzeug in der Zivilisation wirkt nur wie ein Ersatz für all die Äste, Blumen, Blätter, Pockerln und Rindenstücke, die sie im Wald findet.

Jeden Tag setze ich meine Tochter in die Tragetasche und wir erforschen den Wald. Stundenlang bleibt sie bei der Sache und bestaunt alles, was uns begegnet. Oft rasten wir und krabbeln am Boden herum. Unglaublich, übrigens, wie viele Pflanzen giftig, ja sogar tödlich giftig sind. Wo wir hinkommen, sind einige davon zu sehen. Die oberste Priorität ist also, früh zu lernen, dass man auf keinen Fall alles in den Mund stecken darf und dass man in manchen Dingen auf diejenigen hören sollte, die schon viel mehr Erfahrung in dieser Welt haben.

Wenn ich meine Tochter an mich drücke, oder wenn ich ihre gleichmäßigen Atemzüge in der Nacht neben mir höre, dann muss ich an all die sogenannten Nutztiere denken, denen die Kinder einfach weggenommen werden. Erst aus der Perspektive der Elternschaft ist das Trauma so richtig abzuschätzen. Die Milchkuhhaltung ist nicht harmlos. Mit ihr geht ein ständiger Kindesraub einher. Es bricht einem das Herz, sich das realistisch vorzustellen.

Wir haben leider schon sehr viel unserer Natur zerstört und uns von ihr entfernt. Es ist schwer, halbwegs naturnahe Wälder zu finden, und einen Abstand zu Forststraßen und Autos. Und jetzt sind wir gerade dabei, das letzte bisschen Natur, das unsere Gier überlebt hat, durch den Klimawandel zu vernichten. Meine Tochter wird im Jahr 2100 vermutlich noch leben. Selbst die positivsten Szenarien gehen davon aus, dass die Welt dann mit der heutigen nicht mehr vergleichbar sein wird. Und dass es dann keinen Schnee mehr gibt, ist dabei das kleinste Problem. Greta Thunberg hat recht, wenn sie sagt, dass die Kinder nichts dafür können, aber den Hauptteil der sich anbahnenden Katastrophe tragen müssen. Wie kommen sie dazu? Die Vaterschaft bringt da ein noch viel stärkeres Verantwortungsgefühl mit sich. Man kann nicht mehr zuschauen, wenn man es je konnte, wie die technische Zivilisation die Natur zerstört und unsere Regierungen nichts dagegen unternehmen. Man muss etwas tun.

Es gibt noch viele andere Perspektiven, die ich meiner Tochter bieten kann. Die Gewaltfreiheit gegenüber Tieren, die Begegnung mit ihnen in Augenhöhe, den Anspruch auf Gerechtigkeit. Aber auch den naturwissenschaftlichen Zugang die Welt zu verstehen, die Wertschätzung der Demokratie und die kritische Sicht auf Autoritäten. Vater zu sein ist eine Lebensaufgabe.

4 Gedanken zu “Mein erster Vatertag in Kinderbetreuungskarenz

  1. Ach lieber Martin, das ist wunderschöne Bilder und was für berührender Text! Besonders schön die ersten beiden Bilder! Ja, wir müssen alle zusammen noch viel mehr tun! Am besseren arbeiten, immer mehr Menschen dazu aufrufen und mit in die Verantwortung nehmen. Die alten Parteien haben mE genug Chancen gehabt. Natur und Tierschutzparteien werden künftig hoffentlich die Wahlen gewinnen. Wäre ich Mutter, würden mich vermutlich die Gefühle der Freude und die der Ängste ob den Zukunftsszenarien schon arg beuteln. Liebe Grüße an dich und deine ganze Familie <3

  2. Danke Martin für diese wunderbar berührenden Zeilen. Genieße jeden Augenblick mit deiner Tochter, die Zeit verfliegt, doch die Erinnerung an die gemeinsamen Momente bleiben ewig.

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