23. April 2024

„Die tierliche Person“ von Carolin Raspé im Duncker&Humblot Berlin Verlag

Dieses Buch aus der Schriftenreihe zur Rechtstheorie gibt die Dissertation der Autorin an der Bucerius Law School in Hamburg, Deutschland, aus dem Sommer 2012 wieder und widmet sich der notorisch unbefriedigenden Frage, wie sich der Widerspruch auflösen lässt, dass nichtmenschliche Tiere einerseits von der Gesellschaft klar nicht als Sachen empfunden werden – in Österreich steht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch ABGB in § 285a sogar eindeutig: Tiere sind keine Sachen – und dennoch sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich wie Sachen behandelt werden. Der logische Folgeschritt, für zumindest manche Tiere neben dem Menschen Grundrechte einzuführen, wie z.B. vom Großen Menschenaffenprojekt gefordert, würde aber, je nachdem auf welche Tiere angewandt, das gesamte Rechtssystem umkrempeln und den Großteil der heutigen Praxis im Umgang mit Tieren beenden. Eine so weitgehende Änderung ist daher zunächst undenkbar, bis sich die Gesellschaft schon vorher in großem Rahmen umgestellt hat.

Raspé bietet dazu einen Ausweg. Zunächst stellt sie fest, dass das deutsche Pendant zu ABGB § 285a Tiere als eine eigene Kategorie neben den Sachen unter die körperlichen Gegenstände reiht. Tiere haben damit zwar formaljuristisch einen Sonderstatus, in der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Praxis aber werden sie wie Sachen behandelt. Unter der Kategorie Personen – nach unserem auf dem römischen Recht fußenden System gibt es nur Gegenstände und Personen – finden sich ebenfalls zwei Unterkategorien: natürliche und juristische Personen. Letztere sind z.B. Vereine oder Firmen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie strafrechtlich schuldunfähig sind und trotzdem als Person Grundrechte haben. D.h. sie haben Rechte aber nur bedingt Pflichten – ein Hauptargument gegen die Anerkennung von nichtmenschlichen Tieren als Personen, die ja ebenfalls schuldunfähig wären. Im Fall juristischer Personen haben wir es also mit einer Mischung aus Rechtssubjekt (Trägerinnen von Grundrechten) und Rechtsobjekt (juristische Personen können z.B. jemandes Eigentum sein) zu tun.

Raspé plädiert daher nun dafür, die Tiere aus dem Bereich der Gegenstände zu entfernen und für sie eine neue Kategorie unter den Personen zu schaffen: neben natürlichen Personen (Menschen) und juristischen Personen (Firmen, Vereine) soll es auch „tierliche Personen“ (Wirbeltiere) geben. Diese tierlichen Personen würden unverändert Eigentum von Menschen sein können, sowie strafrechtlich schuldunfähig, aber eine Reihe von Rechten erhalten, die in ihrem Namen einklagbar wären. Als wesentlichstes Recht identifiziert die Autorin aus den bestehenden Schutzgütern nach der geltenden Rechtslage das Recht auf körperliche Unversehrtheit, d.h. der Schutz vor körperlichen Leiden, psychischen Leiden und Schäden bzgl. der körperlichen Integrität. Alle diese Schutzgüter finden sich im heutigen Tierschutzgesetz. Zentral dabei ist, dass die Verfassungsbestimmung – mittlerweile auch in Österreich – einen pathozentrischen Wert einführt: Tiere werden aufgrund ihrer Leidensfähigkeit in ihrem eigenen Interesse geschützt, nicht als Wert für die Menschen. Die Staatszielbestimmung Tierschutz ist damit der einzige nicht anthropozentrische Wert, der sich in der Verfassung findet und der praktisch die Existenz tierlicher Interessen anerkennt. Das macht Tiere zu tierlichen Personen.

Raspé meint allerdings, dass sich ein Lebensrecht für nichtmenschliche Tiere aus dem Gesetz nicht ableiten ließe. Zwar steht in der Zielbestimmung § 1 Tierschutzgesetz der Schutz des Lebens der Tiere angeführt, allerdings handelt dann der Großteil des Tierschutzgesetzes nur vom „Wie“ der Tötung und kaum vom „Ob“ (mit wenigen Ausnahmen: Voraussetzung vernünftiger Grund, Nutzungsverbot von Katzen und Hunden, sowie ein praktisches Tötungsverbot zur Pelzproduktion etc.). Ein absolutes Tötungsverbot gebe es (momentan) nur für Menschen. Ebenso sei nach Raspé im Rechtssystem kein Schutzgut für die Freiheit nichtmenschlicher Tiere zu verorten. Diese hätte daher das geringste Gewicht im Abwägungsprozess zwischen den Interessen der betroffenen Tiere und der Menschen, zumal laut Autorin die Gefangenschaft u.U. mehr Schutz und Lebensqualität bieten könnte, als das autonome Leben in der Freiheit. Aber Raspé plädiert für die Einführung eines Rechts auf Existenzminimum bzgl. Ernährung, Pflege und Unterbringung, das allerdings nur Tieren in Gefangenschaft zustehen würde.

Diese Rechte der Tiere sollten durch einen anerkannten Tierschutzverband einklagbar sein, allerdings auf dessen eigene Kosten. Es könnte natürlich auch einen Tierschutzanwalt geben, wie von 1992 – 2010 in Zürich in der Schweiz, der allerdings nur in Strafverfahren nach dem Strafgesetzbuch aktiv werden durfte. Raspé nimmt keinen Bezug auf die Tierschutzombudsschaften in Österreich, die ja Parteienstellung in allen Verwaltungs- und Verwaltungsstrafverfahren haben. Es ist zu vermuten, dass ihr entgangen ist, dass es so etwas überhaupt gibt. Zusammenfassend wäre die Einführung der Kategorie „tierliche Personen“ ein sehr interessanter nächster Schritt nach der Aufnahme von Tierschutz in die Verfassung, insbesondere weil sich dadurch endlich nachhaltig der Vollzug der bereits in den Tierschutzgesetzen ausformulierten Rechte durchsetzen ließe! Ein sehr lesenswertes Buch.

2 Gedanken zu “„Die tierliche Person“ von Carolin Raspé im Duncker&Humblot Berlin Verlag

  1. Absolutes Tötungsverbot bei Menschen? Wie sind dann Kriege und tödliche Polizeiwaffen möglich?

    Das soll kein Argument gegen ein entsprechende Verbote bei Tieren sein, sondern nur die Pauschalaussage in Frage stellen, dass es ein absolutes Tötungsverbot tatsächlich gäbe. Das scheint bestenfalls für einfache StaatsbürerInnen abseits von Kriegen zu gelten – wenn sie nicht zufällig für Geheimdienste oder andere Spezialeinsatzkräfte arbeiten.

  2. > würden unverändert Eigentum von Menschen sein können, […] aber eine Reihe von Rechten erhalten.

    Wie soll das funktionieren? Eigentum impliziert (oder ist manchmal auch definiert als) eine Verfügungsgewalt. Sofern der Eigentumsstatus zugestanden wird, werden die „Rechte“, die auch zugestanden werden, immer nur insofern wirksam, wie sie im Interesse der Eigentümer*innen sind. Das wäre eine sehr unintuitive Art, um hier überhaupt noch von „Rechten“ zu sprechen (Wenn umgekehrt die Rechte als dem Eigentumsinteressen übergeordnet aufgefasst würden, wäre es eine unintuitive Art von „Eigentum“ an den jeweiligen Tieren zu sprechen).

    Ferner sehe ich auch nicht, wie das dann ein wirklicher Bruch mit dem Status Quo sein soll, der ja die tierschützerischen Forderungen im Gesetz auch alle unter der Maßgabe des Vorliegens „guter Gründe“ versteht – Als „guter Grund“ kann dann in der praktischen Rechtsauslegung so ziemlich jeder gesellschaftlich akzeptierte Eigentumszweck vorgebracht werden. Das Einzige was mir über den Status Quo hinauszugehen scheint, ist die Sache mit dem Verbandsklagerecht. Aber kann man dafür nicht mit sparsameren rechtsphilosophischen Voraussetzungen argumentieren, als darüber, eine Theorie tierlicher Personalität zu entwickeln?

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