24. November 2024

Ein Blick auf den Hundeverstand

Ach könnte ich nur einmal mit einem Hund tauschen, um zu wissen was er denkt, seufzte ein Wissenschaftler im Gespräch mit mir. Was denkt er bloß? Der Hund, das nicht vrstehbare Wesen? Da lieber sicherheitshalber wegsperren, Leinenpflicht und Beißkorbzwang sind die Konsequenzen. Was, bitte schön, ist am Hundeverstand so schwer nachzuvollziehen? Im sehr engen Zusammenleben mit meinem Hundefreund Kuksi habe ich praktisch nie das Gefühl, überhaupt nicht zu verstehen, was in ihm vorgeht, was er gerade denkt. Also mir scheint das jedenfalls oft viel nachvollziehbarer, als was in manchen Menschen so vorgeht. Selbst wenn sie mir in Worten farbig schildern, was sie denken, verstehe ich oft nur Bahnhof. Kein Wunder, ich kenne sie ja gar nicht persönlich genauer – im Gegensatz zu Kuksi, mit dem ich mehr oder weniger ununterbrochen zusammen bin, Tag und Nacht, und das seit bald 7 Jahren!

Gestern fahren wir mit dem Auto in eine Gegend, die er nicht kennt, gut 1 Stunde entfernt. Kuksi wird total unruhig, springt auf, hechelt, schlabbert, drängt sich zwischen Fahrer- und Beifahrersitz nach vorne und will wissen, was gespielt wird. Schwer zu verstehen? Wohl kaum. Er hat schließlich keine Ahnung, was auf ihn zukommt. Werden wir jetzt lange irgendwohin wandern gehen oder muss er für Tage auf einer Konferenz stillsitzen? Für ihn ein großer Unterschied, ohne erkennen zu können, wohin die Reise geht. Wer würde da nicht nervös werden? Im Umkehrschluss beweist das, wie sehr er auch im Auto die Gegend beobachtet und den Tagesverlauf abschätzt. Er hat normalerweis eine ziemlich klare Vorstellung, was als nächstes passieren wird und es ist ihm alles andere als egal. Das denkt ein Hund.

Wir fahren auf einer Bundesstraße, nähern uns einer Serpentine. Kuksi lehnt sich, auf der Hinterbank sitzend, in Erwartung der starken Fliehkraft weit auf eine Seite hin. Wir fahren über eine Schotterstraße in großer Dunkelheit, die Fahrbahn ist kaum von den anschließenden Feldern zu unterscheiden. Kuksi lehnt sich links und rechts, mehr oder weniger, je nach dem, was die kommenden Kurven erwarten lassen. Er begreift also haargenau, was die Fortbewegung im Auto bedeutet und hat einen Begriff von Straße, der sich nicht am Fahrbahnbelag orientiert. Das denkt ein Hund.

Im Auto hängt Kuksi, wie ich, an einem Sicherheitsgurt. Die Bedeutung davon ist ihm nicht klar, er hat auch noch nie einen Unfall erlebt. Ja, er ärgert sich manchmal sogar, wenn er angehängt wird. Auf kurzen und ungefährlichen Strecken unterlassen wir das deshalb auch. Doch für Kuksi macht es einen großen Unterschied, er weiß genau, wann er angehängt ist und wann nicht. Ich merke mir das weniger gut. Einmal öffnete ich die Tür und sagte zu Kuksi, komm, wir gehen. Er kam nicht. Ich wurde ungeduldiger und drängte ihn. Er blieb ganz still sitzen, wie aus Protest. Plötzlich realisierte ich: er war am Sicherheitsgurt angehängt! Das denkt ein Hund.

Kürzlich übernachteten wir in einer Berghütte. Als ich hinausging, um Holz für das Ofenfeuer zu hacken, schloss sich Kuksi mir an. Doch bald war es ihm zu langweilig, neben mir sitzen zu bleiben, und er wanderte in den Wald, um zu strawanzen. Eine Stunde später war ich fertig, von Kuksi noch keine Spur. Also ging auch ich in den Wald hinaus, meines eigenen Weges. Und tatsächlich, keine 15 Minuten später traf ich auf Kuksi. Er wühlte gerade im Schnee und untersuchte mit Akribie die Spuren von Rehen. Als ich kam, blickte er erschrocken auf, erkannte mich sogleich, rannte zu mir, um mich zu begrüßen, und kehrte dann sofort wieder zu seiner Tätigkeit zurück. Ich schaute ihm eine Weile zu und jetzt begann ich mich zu langweilen, also begann ich in eine andere Richtung zu strawanzen. Kuksi blieb zurück. Nach einer Stunde kam ich wieder zu unserer Hütte, Kuksi keine 10 Minuten später. Noch nie bei unseren gemeinsamen Wanderungen haben wir uns im Wald getrennt. Ganz anders, wenn wir beide einzeln unterwegs sind, und uns zufällig treffen. Da begrüßt man sich und verfolgt seine eigenen Interessen. Das denkt ein Hund.

Nach 10 stündiger Schitour kehrten wir erschöpft in unsere Hütte zurück. Die Menschen gingen in die Küche, den einzigen beheizbaren Raum, um das Essen zu bereiten. Kuksi zog sich in einen kalten Winkel eines anderen Raumes zurück, um zu ruhen. Dabei muss er eingeschlafen sein. Jedenfalls kam er plötzlich einige Zeit später in die Küche gestürzt und bellte uns mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an., seinem charakteristischen Protestbellen, einer Mischung auf Bellen und melodischem Jaulen. Ich zeigte ihm das Essen im Kochtopf, er blickte um sich, war beruhigt und legte sich unter den Tisch. Wieso? Das war klar zu erkennen. Er muss eingeschlafen sein, und als er plötzlich im Dunkeln erwachte und das Essen roch, war er überzeugt, wir hätten ohne ihn gegessen. Also schoss er in die Küche, um sich zu beschweren, vergessen worden zu sein. Kaum sah er, dass wir ja noch gar nicht soweit waren, konnte er sich beruhigt zurücklehnen. Das denkt ein Hund.

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