19. November 2024

Ein Vorbild für Kanzler Kurz: Orbans Ungarn (Buch von Paul Lendvai)

Paul Lendvai flüchtete nach dem Ungarn Aufstand 1956 nach Österreich und wurde hier zusammen mit hundert tausenden Menschen gegen die Aufregung von rechts aufgenommen. Heute, schreibt er, ist ihm Österreich längst eine liebe Heimat geworden. Umso besorgter blickt er auf sein Vaterland Ungarn über die Grenze. Dort etabliert sich gerade eine „illiberale Demokratie“ (O-Ton Victor Orban selbst) mit autoritären Strukturen. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hat diesem illiberalen Demokraten Orban kürzlich den ersten Staatsempfang der neuen ÖVP-FPÖ Regierung bereitet und in höchsten Tönen von ihm geschwärmt. Vizekanzler Strache wollte auch unbedingt mitmischen und gab sich in der ungarischen Botschaft ein Stelldichein. Kurz und Strache entschuldigten sich quasi für die Kritik der Vorgängerregierung an den ungarischen Verhältnissen und wollten bei in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als ob sie jeweils ein besseres Verhältnis zu Orban haben als der andere. Ein peinliches Trauerspiel. Aber jedenfalls Grund genug, einen Blick über die Grenze zu wagen. Und das am besten unter professioneller Anleitung. Das Buch „Orbans Ungarn“ ist 2016 im Kremayr&Scheriau Verlag Wien erschienen.


Als rebellischer Student

Victor Orban studierte in Budapest am Bibo-Kollegium Jus, das von genau jenem George Soros, den er heute als Hort des Liberalismus mit allen Mitteln bekämpft, finanziert wurde. Dort gründete er, gegen Ende des kommunistischen Regimes, zusammen mit 36 anderen Studenten am 30. März 1988 den Bund junger Demokraten, genannt Fidesz. Es sollte eine unabhängige Jugendorganisation werden, die Altersgrenze war mit 36 festgelegt. Heute ist Fidesz jene autokratische Staatspartei, die Ungarn seit 2010 alleine und die meiste Zeit mit verfassungsgebender Mehrheit regiert, mit Orban als „Führer“ und seinen Vasallen von 1988 auf allen Machtpositionen.

1989 kam auch in Ungarn die Wende und neue Parteien schossen wie Pilze aus dem Boden. Offenbar war es dadurch relativ einfach ins Parlament zu kommen. Bei den ersten freien Wahlen im April 1990 gewann Fidesz 22 von 386 Mandaten und ging als Kleinpartei ins Parlament. Orban und seine Studis als Abgeordnete traten mit Bärten und ohne Anzüge als linksliberale Opposition auf. Bei den nächsten Wahlen 1994 wurden sie auf 20 Mandate reduziert. Da zeigte Orban sein wahres Gesicht. Das linksliberale Auftreten war offenbar nur ein Versuch, an die Macht zu kommen. Als das nicht gelungen war, probierte Orban rechts zu überholen, nannte ab 1995 seine Partei in „Ungarische Bürgerliche Partei“ um, erschien fortan nur noch im Anzug und rasiert im Parlament, und betonte die Werte Christentum (das er extra dafür erst angenommen hatte, nachdem er aus einem atheistischen Elternhaus gekommen war), Heimat und Nation. Diese Ausrichtung entsprach viel besser seinem autoritären Führungsstil innerhalb der Partei und so gewann er die Wahlen 1998, um zusammen mit der Kleinlandwirtepartei und dem national-konservativen Demokratischen Forum MDF eine Koalitionsregierung zu bilden, der er als Ministerpräsident vorstand.

1. Regierung Orban 1998-2002

Orban versuchte schon in seiner ersten Regierungszeit das Parlament zu entmachten. Die Sitzungen  wurden nur alle 3 Wochen einberufen, im Ministerrat gab es keine Diskussionen über die Vorlagen von Orban, und es wurde ein Fidesz eigenes Medienimperium aufgebaut. Schon da kamen die ersten Korruptionsfälle ans Licht, so wie z.B. dass Orbans Vater einen Steinbruch durch staatliche Begünstigung kaufen konnte, der ihn später reich machte. In einem funktionierenden Rechtsstaat wäre bei Bekanntwerden zumindest ein Rücktritt wenn nicht ein Strafverfahren die Folge gewesen. Nicht aber in Ungarn. Doch 2002 wurde Orban wieder abgewählt. Es folgten 8 Jahre einer links-liberalen Regierungskoalition mit Orban als Führer einer stramm rechten nationalen Opposition.

Im Jahr 2006, 4 Jahre vor Ende der Legislaturperiode, wurde Orban die Aufnahme einer internen Rede des linksliberalen Ministerpräsidenten zugespielt. Darin gibt dieser Mann zu, die Öffentlichkeit über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse belogen zu haben, plädiert aber an seine Partei, damit nun aufzuhören und ein ernsthaftes Sparprogramm durchzuziehen. Doch Orban nutzte diese Aufnahme, um eine Art Revolution gegen die Regierung zu entfesseln. Die Fidesz-Abgordneten weigerten sich, mit einem „Lügner“, wie dem Ministerpräsidenten, in einem Parlament zu sitzen, und verließen das Hohe Haus. Gleichzeitig wurden große Demonstrationszüge, begleitet von rechtsradikalen Schlägertrupps, organisiert, die u.a. sogar die ungarische Fernsehstation in Brand setzten. Orban verurteilte zwar die Gewalt, ließ aber Verständnis für die Wut der BürgerInnen durchblicken. Es folgten weitere Demos mit 100.000 Menschen vor dem Parlament, bei denen Orban in Reden als „unrechtmäßig“ und „diktatorisch“ bezeichnete. Auch der 50. Jahrestag des Ungarnaufstands gegen das kommunistische Regime wurde genutzt. Zusätzlich brach 2008 die Weltwirtschaftskrise aus. Die Folge war ein Erdrutschsieg im April 2010. Fidesz erhielt 57,2 % der Stimmen und die rechtsradikale Jobbik-Partei zusätzlich noch 17 %, d.h. 75 % der Menschen wählten radikal bis extrem rechts. Im zweiten Wahlgang erhielt Fidesz sogar 68 %.

2. Regierung Orban 2010 – …: 26 neue Verfassungsbestimmungen

Und jetzt begann Orban mit einer verfassungsgebenden 2/3 Mehrheit die Gesellschaft unverzüglich total umzustellen. In den folgenden 19 Monaten wurde die Verfassung in Kurzverfahren ohne Debatte im Parlament in 12 neuen Verfassungsgesetzen mit 26 Verfassungsbestimmungen geändert. Zunächst wurde die Schutzklausel, dass die Vorbereitung zu einer Verfassungsänderung von 4/5 der Abgeordneten gebilligt werden muss, abgeschafft. Zusätzlich erlaubt die Verfassung Orban nun, innerhalb von 48 Stunden sogenannte Ausnahmegesetze im Eilverfahren in Kraft zu setzen. Das erste solche Ausnahmegesetz war die Aufhebung des Datenschutzgesetzes durch ein Informationsfreiheitsgesetz. In den ersten 2 ½ Jahren wurden so 26 dringliche Gesetze ohne Diskussion erlassen. Orban hat alle Gesetze, die für die Zementierung seiner Macht notwendig waren, in den Verfassungsrang erheben lassen. Am 1. Jänner 2012 trat eine „Osterverfassung“ in Kraft, die das Christentum, eine ethnisch definierte Nation und die Stephanskrone besonders schützt. In der Präambel wird die Rolle der ungarischen Regierung 1944 bei der Vernichtung von 560.000 ungarischer Juden und Jüdinnen geleugnet.

Das Verfassungsgericht wurde schon kurz nach der Wahl ausgehebelt. Zunächst wurde das Auswahlverfahren für Nachbestellungen von einem Parlamentsausschuss auf die Regierung übertragen. Dann wurde das Gericht von 11 auf 15 RichterInnen erweitert, damit Orban seine eigenen RichterInnen bestellen konnte. Da ein Posten nachzubesetzen war, standen mit einem Schlag 5 regierungstreue Verfassungsrichterinnen zur Stelle. Dennoch hob das Verfassungsgericht eine Reihe der neuen Gesetze von Orban gleich wieder auf, so z.B. das Gesetz zur fristlosen Entlassung von BeamtInnen ohne Kündigung, das Mediengesetz und das Wahlberechtigtengesetz. Orban hob daraufhin alle diese Gesetze wortwörtlich in den Verfassungsrang. Zusätzlich wurde dem Verfassungsgerichtshof per Gesetz verboten, Gesetze zu prüfen, die mit dem Staatshaushalt in Verbindung stehen.

Mediengesetz und andere Einschränkungen

Mit dem Mediengesetz schloss Orban alle öffentlich-rechtlichen Medien zu einem Konglomerat zusammen und stellte sie unter Fidesz-Kuratel. JournalistInnen werden unter Androhung hoher Strafen zu objektiver Berichterstattung und zur Offenlegung ihrer Quellen verpflichtet. 80 % der Bevölkerung in Ungarn wird nun nur durch Fidesz-Medien informiert. Die Regierung hob mit weiteren Gesetzen alle Verfassungsgerichtshofsurteile auf, die bis 2012 erlassen worden waren, und führte eine Zwangspensionierung aller RichterInnen ab einem Alter von 62 Jahren ein, um neue regierungstreue RichterInnen einsetzen zu können. Dazu wurde ein Oberstes Landesgerichtsamt in der Verfassung verankert, das sämtliche Bestellungen von RichterInnen vornehmen kann. Der Oberste Gerichtshof wurde abgeschafft und als neues Gericht gegründet, wodurch es möglich war, den Vorsitzenden des Höchstgerichts zu ersetzen. Weiters setzte Orban via Verassung einen „Haushaltsrat“ im Parlament ein, dessen 3 Mitglieder von ihm für 9 Jahre bestellt wurden, und der unabsetzbar ist. Dieser Rat kann jedes von einer Regierung beschlossene Budget streichen und jederzeit Neuwahlen ausrufen. Damit kann Orban, selbst wenn er abgewählt werden sollte, auch nach seiner Regierungszeit Macht ausüben.

Orban hat auch die Position eines obersten Staatsanwalts geschaffen und mit einer willfährigen Person besetzt, die auf 9 Jahre unabsetzbar bestellt ist und deren NachfolgerIn nur durch eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments nominiert werden kann. Das Schulwesen wurde unter eine neue Zentralverwaltung gestellt, wodurch Orban 5000 neue SchuldirektorInnen ernennen konnte. Orban übt seine Macht aber auch durch Vergabe von Staatsaufträgen an Firmen, Schaltung von Inseraten in Medien und durch Subventionen aus. Wer genehm ist, profitiert und wird superreich, wer kritisch ist geht wirtschaftlich unter. Orban hat so eine reiche Oberschicht als Staatselite geschaffen, die ihm willfährig folgt. Gleichzeitig geht die Wirtschaft den Bach hinunter.

Am 6. April 2014 musste sich Orban erneut einer Wahl stellen. Durch sein neues Wahlgesetz mit ausgewählten Wahlbezirken und einer die größte Partei fördernden Reststimmenvergabe konnte er, trotzdem er nur 45 % der Stimmen bekam, seine 2/3 Mehrheit behalten. Die WahlbeobachterInnen der OSZE berichten, dass sich die Regierung durchgehend, von der Abfassung der neuen Wahlregeln bis zur Durchführung des Wahlkampfes, „unangemessene“ Vorteile verschafft hat. Fidesz hat damit bei der Wahl 2014 mit 2,1 Millionen weniger Stimmen erhalten, als bei den Wahlen 2002 und 2006, wo Fidesz verloren hat. Und dennoch bekam Fidesz eine 2/3-Mehrheit an Parlamentsmandaten. Orban konnte also unbeschränkt weiterregieren.

Ist Orban überhaupt noch abwählbar?

Im Jahr 2018 stehen die nächsten Wahlen an. Trotzdem aufgrund der Organ-Regierung 500.000 UngarInnen das Land verlassen haben, die Wirtschaft darnieder liegt und der „World Happiness Report“ Ungarn am 104. Platz von 129 Ländern einordnet, wird prognostiziert, dass Orban eine satte Mehrheit erhalten wird. Grund ist seine restriktive Asylpolitik und sein Grenzzaun nach Serbien. Damit konnte er die Menschen gewinnen und sogar die rechtsextreme Jobbik-Partei rechts überholen.

Und das, obwohl er im Sommer 2014 öffentlich verkündete, dass sein Ziel die „illiberale Demokratie“ ist, mit einer Orientierung an Putins „gelenkter Demokratie“. Zwar nennt Orban die Türkei mit Erdogan und Russland mit Putin als die Orientierungspunkte seiner Politik und hat enge Freundschaften zu diesen beiden Diktatoren geknüpft, doch so weit ist es in Ungarn noch nicht. Hier kann immer noch gegen Orban demonstriert werden und es gibt auch liberale und kritische Medien, wenn auch in einer sehr kleinen Minderheit. Doch wie lange wird es dauern, bis auch diese letzten Reste von Demokratie verschwinden? Vermutlich hält ihn momentan nur noch die Mitgliedschaft in der EU davon ab. Orban hat bereits durchklingen lassen, dass er Ungarn nach einem weiteren Wahlsieg aus der EU führen könnte – direkt in die Arme von Putin und Erdogan. Dann werden das Demonstrationsrecht und die Pressefreiheit endgültig verschwinden.

Und das ist das Vorbild von Bundeskanzler Sebastian Kurz?

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