24. November 2024

Hundespiel: Anthropomorphismus oder doch Anthropozentrismus?

Ein Beispiel von vielen. Ein kleines Video zeigt einen Hund, der heimlich aufgenommen wurde, nachdem die menschlichen Kumpanen die Wohnung verlassen hatten. Er sollte nicht auf das Bett gehen, die Hauskatze durfte allerdings schon. Er nähert sich dem Bett, tankt Selbstvertrauen, springt dann aufs Bett hinauf und rollt sich dort begeistert herum, voller Freude und Spielwut. Das Video ist hier:
http://io9.com/do-dogs-experience-joy-you-be-the-judge-1545099349

Der Psychologe und vielfache Buchautor über Hunde, Stanley Coren, kommentiert dieses Video mit großer Autorität. Zwar, gibt er zu, sind die für Emotionen zuständigen Bereich von Menschen- und Hundehirn strukturell gleich, sie nutzen dieselben Hormone und es gibt dieselben chemischen Reaktionen bei emotionalen Zuständen, aber dennoch: It is important not to go overboard and immediately assume that the emotional ranges of dogs and humans are the same. Im obigen Link wird daraus gefolgert: There’s a strong likelihood this dog is simply engaging in some form of scent marking, an instinctive behavior observed in many mammals. Alle anderen Annahmen seien Anthropomorphismus. Aber auch beim Menschen sind Instinkthandlungen von starken Emotionen begleitet. Selbst wenn es also eine wäre, wäre das kein Grund, den Hund schon wieder abzuwerten und zur Maschine zu erklären.

Doch Stanley Coren geht einen großen Schritt weiter. Alwin Schönberger zitiert ihn in seinem Buch über die Intelligenz von Hunden auf Seite 143 wie folgt: Bei den Menschen ist jede Wahrnehmung untrennbar mit Sprache verbunden. Jeder Gegenstand, jede Person, jedes Erlebnis wird sofort mit konkreten Begriffen verknüpft – sämtliche Sinneseindrücke bedürfen der Sprache, um Bedeutung zu erlangen, und ohne sein Lexikon im Gehirn wäre der Mensch unfähig, Bilder und Geräusche zu verarbeiten. Sprache ist beim Menschen gewissermaßen die Voraussetzung für das Bewusstsein von Wahrnehmung. Und deshalb dürfe man keinesfalls die eigenen menschlichen Erfahrungen auf Hunde projizieren. Das wäre unzulässiger Anthropomorphismus.

Seltsam, wie solche Behauptungen mit derartiger Bestimmtheit ausgesprochen werden. Wurde das in einem wissenschaftlichen Experiment nachgewiesen? Wenn ja, dann bin ich kein Mensch. Mir geht es definitiv nicht so. Alexander Selkirk, historisches Vorbild für Daniel Defoes Robinson Crusoe, verlernte nach 4 Jahren und 4 Monaten auf einer einsamen Insel das Sprechen. Warum? Weil er weder sprach, noch sprachlich dachte. Wenn ich mit meinem Hund durch die Wildnis gehe, denke ich definitiv nicht in Worten sondern in Bildern. Ähnlich, wenn ich mathematische Forschung betreibe. Und ich bin damit bei weitem nicht allein. Obige Seltsamkeiten eines sogenannten Hundekenners zeigen mir wieder, wie schwer es den Menschen fällt, Hunde als autonome und grundsätzlich gleichberechtigte Wesen anzuerkennen. Sie seien halt primitive Depperln, das unverstandene Wesen, eine tickende Zeitbombe, jederzeit könnten sie beißen und völlig irrational gemeingefährlich werden. Also eines bin ich mir sicher: auf den Geisteszustand meines Hundes kann ich mich stärker verlassen, als auf den der allermeisten meiner Mitmenschen.

Warum konditioniere ich meinen Hund, aber nicht mein Kind? Warum befehle ich dem einen „sitz“, „platz“, steh“ und „bei Fuß“, aber nicht dem anderen? Warum soll ich das Bellen meines Hundes ignorieren, aber nicht das Schreien meines Kindes? Warum ist es unartig, wenn ein Hund „bettelt“, aber niemand isst vor seinem Kind, ohne ihm etwas abzugeben? Dabei ist ein erwachsener Hund kein Kind mehr, sondern wesentlich selbständiger. Ich würde meinem Hund blind vertrauen, allein im Wald und sogar in der Stadt nach Hause zu finden. Wie alt müsste ein Kind sein, dass es das ohne Probleme zustande brächte?

6 Gedanken zu “Hundespiel: Anthropomorphismus oder doch Anthropozentrismus?

  1. Kurt, faszinierend ist hier vor allem die artübergreifende Kommunikation, der Hund verhält sich der Katze gegenüber sehr unhöflich indem er ohne Ankündigung in ihre private Zone eindringt und die zeigt das erst noch durch Rückzug bevor sie mit einer angedeuteten Ohrfeige klar macht was der Hund dann auch sofort versteht. Die zwei kennen sich wohl schon auch wenn der Hund wohl nicht ganz versteht warum die Katze es nicht lustig findet mit ihm am Bett herum zu kullern.

  2. Was für ein Video. Vor allem die ansatzlose rechte Gerade der Katze am Schluß ist beeindruckend. Allerdings muss auch gesagt werden, dass die Intimsphäre des Hundes und der Katze hier aufs Gröbste verletzt werden 🙂 Man stelle sich vor, zwei Menschen wären heimlich auf dem Sofa gefilmt und die Aufnahmen dann ins Internet gestellt worden.

  3. @Balluch
    Es gibt genug Menschen die auch Kinder konditionieren, ihnen nichts abgeben, usw. Menschen die wenig Erfahrung haben, schließen immer von sich selbst auf andere – das solltest du nicht tun. Solche “Fachleute” tun das auch, auf andere Art. Der eine glaubt, weil er nur in Worten denkt, würden das alle anderen Menschen auch tun. Was schon deshalb blöd ist, weil Babys z.B. nicht in Worten denken. Aber weil Tiere selten sprechen, glauben sie, Tiere könnten Sprache nicht verstehen. So wie Gehörlose. Manche Leute glauben wieder, alle Menschen würden in Bildern denken. Ich denke z.B. nie in Bildern. Bewiesen wurde gerade erst, dass Hunde ein Sprachverständnis besitzen. Wer weiß, vielleicht denken sie nicht nur in Bildern, sondern auch in Worten? Aber dass Tiere heimlich tun was ihnen verboten wurde, ist allgemein bekannt. Sie wissen genau was sie nicht tun dürfen und sie wissen, dass sie alles tun können wenn niemand zuschaut. War einmal im Fernsehen: Sogar gut abgerichtete Polizeihunde haben heimlich gefressen, obwohl es ihnen verboten wurde. Das ist ein Zeichen von Intelligenz. Nur Deppen tun was andere ihnen vorschreiben, obwohl es für sie ein Nachteil ist. 🙂
    Der Unterschied ist der, dass sie wahrscheinlich nicht wissen, dass der Mensch nachträglich vielleicht herausfindet, dass sie sich nicht an die Verbote gehalten haben.

  4. Wie süss!

    In unserem neuen Zuhause haben wir eine Fussbodenheizung. Seither verbringen die Katzen immer mal wieder einige Zeit damit, sich (am liebsten kollektiv, es scheint also irgendwie ansteckend zu sein) auf ihre Lieblingsstelle auf den Fliesen zu legen und auf dem Rücken genüsslich hin und her zu wälzen. “Genüsslich” ist jetzt eine Behauptung von mir, im Anbetracht dessen, dass sie das aber nur auf den Fliesen machen und in der alten Wohnung so gut wie nie getan haben, behaupte ich jetzt mal es handelt sich nicht um Revier markieren 😉 Und das viel schlagendere Argument für mich: ich sehe ihren Gesichtsausdruck und der ist für mich zumindest eindeutig 😉

  5. Dieses Video ist absolut genial. Hoffentlich wurde der Hund nicht bestraft 🙁
    Ich würde ja so gerne wissen, was sich die Katze über den Hund denkt. *g
    liebe pflanzliche Grüße,
    miss viwi

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