29. März 2024

Jäger und Förster Peter Wohlleben fordert die Abschaffung der Jagd

Peter Wohlleben ist Jäger und Förster. In seiner Jugend hat er mit einer gewissen Begeisterung auf Hirsche geschossen. Heute betreut er den Gemeindewald von Hümmel in der Eifel im Westen Deutschlands. Ökologie und Tierschutz sind ihm mittlerweile zweifellos ein großes Anliegen, wie er in seinen vielen Büchern, insbesondere “Der Wald. Ein Nachruf”, beweist. Und für die Jagd kommt er darin zu besonders beeindruckenden Schlussfolgerungen.

Seit 1900, so Wohlleben, gebe es die Trophäenjagd. Seither will man also besonders große männliche Tiere schießen und seither möchte man daher mindestens 100 Tiere der jeweiligen Art pro Revier haben, um daraus abnorm große Trophäen züchten zu können. Mit einer Untergrenze von über 1 km² Grundfläche, bevor ein Gebiet bejagt darf, haben es sich die Oberen 10.000 so gerichtet, dass sie bei der Jagd unter sich sind. Nur Großgrundbesitzer_innen können da mithalten. Und auf ihrem Besitz werden nun hohe Tierpopulationen erhalten, um die Feudaljagd zu ermöglichen.

Pro Wildschwein, so Wohlleben, werden jährlich 130 kg Kraftfutter ausgebracht, im Mittel also 12,5 kg pro kg erlegtem Wildbret. Damit sei die Fleischproduktion in der Jagd um das Dreifache weniger effizient als die Massentierhaltung!

Die natürliche Populationsdichte sei 1 Reh pro km², heute gebe es aufgrund der Fütterungen etwa 50. Dazu würden 10 Hirsche und 10 Wildschweine pro km² kommen. In vielen Revieren habe man auch nichtheimische Tierarten wie Damhirsch und Mufflon für die Jagd zusätzlich ausgesetzt. Ein einzelnes Reh würde 15.000 Triebspitzen von Jungbuchen pro Tag verzehren. Bei 1 Reh/km² ließe sich trotzdem ein Urwald erhalten. Bei der von der Jagd aufgezüchteten Wilddichte blieben aber nur die ortsfremden Fichtenmonokulturen bestehen, alles Andere würde verbissen. Die jährlichen Wildschadensberichte am Wald sollte man daher „Jagdschadensberichte“ nennen, so Wohlleben.

Die heutige Jagdpraxis zerstöre daher nicht nur den Wald, sondern führe auch zu zahlreichen Autounfällen. Die Jagd treibe die Tiere in die Nachtaktivität. Zusätzlich würden durch die Überpopulation Jährlinge bei den Rehen auf Reviersuche weite Strecken zurücklegen müssen. Die Folge seien 240.000 Autounfälle allein mit Rehen in Deutschland pro Jahr. Dabei würden 2600 Menschen verletzt.

Aber auch die Zeckenplage und die meisten der damit einhergehenden Erkrankungen an Borreliose und FSME führt Wohlleben auf die Jagd zurück. An einem Hirsch würden sich im Durchschnitt zu jedem Zeitpunkt 100 Zecken mit Blut voll saugen und dann jeweils 3000 Kinder gebären. Weil die Population an Hirschen aufgrund der Jagd das 50fache der natürlichen Population ausmacht, gibt es 50 x 3000 = 150.000 Mal mehr Zecken als ohne Jagd – die dann exponentiell mehr Kinder bekommen.

Auch die Erhöhung der Fluchtdistanz führt Wohlleben auf die Jagd zurück. In nichtbejagten Gebieten könnte man Tiere aus großer Nähe beobachten. In bejagten Gebieten wird dieses Erlebnis den Erholungssuchenden im Wald aufgrund der Jagd versagt. Die Tiere würden jedenfalls, so Wohlleben, nicht aufgrund von Wanderern, sondern aufgrund der Jäger_innen an erhöhtem Stress leiden. Gäbe es statt den menschlichen Jäger_innen ausreichend Wölfe, Luchse und Bären, dann wäre nicht nur die Populationsdichte von Paarhufern reduziert, sie würden auch vermehrt am Waldrand leben und sich nicht ins Dickicht zurückziehen, wo sie potentielle Freßfeinde nicht erkennen könnten. Sie würden daher weniger Wildverbiss anrichten.

Insbesondere in seinem Buch „Der Wald. Ein Nachruf“ erzählt Wohlleben reihenweise Geschichten von Jäger_innen, die die Politik und die Förster bestechen, um illegalen Jagdpraktiken frönen zu können. So könnten sie sich Wanderern gegenüber als Jagdherren aufspielen, wie der frühere Adel. Darüber hinaus schießen sie pro Jahr 400.000 Katzen und Hunde in Deutschland.

Aus all diesen Gründen, so Wohlleben, sei es an der Zeit über die Abschaffung der Jagd nachzudenken. Die Jägerschaft erlege weniger Tiere als geboren werden, weil es ja zu keiner Reduktion der Populationen kommt, und sei daher ökologisch unnötig. Wäre die Jagd abgeschafft, dann könnten sich Wolf und Luchs ausbreiten, mit allen positiven Folgen. Die Wiederkäuerpopulation würde gesenkt und der Verbiss am Wald drastisch reduziert.

Zumindest, so Wohlleben, sollten wir die Jagd professionalisieren. Mit ausschließlich Berufs- statt Hobbyjäger_innen würden zumindest Wildfütterungen, Bestechungen und die Anpöbeleien verschwinden.

Zuletzt referiert Wohlleben noch über ein interessantes Experiment in seinem Gemeindewald. Dort habe er die Bürgerjagd eingeführt. Jeder Bürger und jede Bürgerin mit Jagdschein aus der Gemeinde dürfe im Wald nach Anmeldung kostenlos jagen. Er selbst als Förster gebe aber die Abschusszahlen vor. Das habe zu hervorragenden Ergebnissen geführt. Doch weil dadurch die in den Nachbarrevieren angefütterten Populationen mit abgeschossen würden, sei man von Seiten der Jägerschaft sehr gegen ihn vorgegangen. Das habe bis zu Morddrohungen gereicht. Trotz politischer Interventionen habe er aber seinen Posten behalten dürfen, weil die Gemeinde hinter ihm stehe.

Ob Wohlleben bei all dem Druck seitens der Jägerschaft es heute noch wagt, solche Positionen zu vertreten, entzieht sich meiner Kenntnis. Sein Nachruf auf den Wald wurde 2013 veröffentlicht.

11 Gedanken zu “Jäger und Förster Peter Wohlleben fordert die Abschaffung der Jagd

  1. “Damit sei die Fleischproduktion in der Jagd um das Dreifache weniger effizient als die Massentierhaltung!”
    Hallo Martin,
    dieser Satz wird mir nicht ganz klar. Ist die Jagd bei Wildfütterung nun effizienter oder nicht?
    Die Kombination aus Steigerung (das dreifache) und Minderung (weniger) macht es schwierig zu verstehen.

    1. Gemeint ist, dass in der Massentierhaltung schon sehr viel mehr Energie durch Fütterung aufgewendet werden muss, als in Form von Fleisch nachher herauskommt. Und Wohlleben argumentiert, dass das bei der Fleischproduktion durch die Jagd noch um das Dreifache schlimmer ist, also es muss drei Mal mehr Energie als bei der Massentierhaltung aufgewendet werden, um die gleiche Menge an Fleisch zu erhalten.

  2. “Gäbe es statt den menschlichen Jäger_innen ausreichend Wölfe, Luchse und Bären, dann wäre nicht nur die Populationsdichte von Paarhufern reduziert, sie würden auch vermehrt am Waldrand leben und sich nicht ins Dickicht zurückziehen, wo sie potentielle Freßfeinde nicht erkennen könnten. Sie würden daher weniger Wildverbiss anrichten.” – ich habe heute mit einem Jäger gesprochen und nachdem ich obiges Argument gegen die Jagd vorgebracht habe, antwortete er, dass es in vielen Gebieten nicht mehr genug zusammenhängende Wälder gäbe, damit Wölfe, Luchse und Bären dort leben könnten. Das kann ich mir z.B. vom Marchfeld traurigerweise sogar vorstellen. Zur Wildfütterung, die ich auch als Gegenargument zur Notwendigkeit der Jagd anführte, sagte er, dass Hirsche kaum gefüttert werden und Futter auch kaum annehmen, weil sie genug davon finden. Ich habe keine Ahnung und will nur wiedergeben, was der Jäger sagte.

    1. @paul leitgeb
      Naja, das Marchfeld ist ein extremes Beispiel von Kulturlandschaft. Aber kennt Dein Jäger die reine Waldregion zwischen Hochschwab und Ötscher? Dort wohnt kein Mensch, da gibts keine Nutztiere und es gibt keine Baumgrenze, also ist alles Wald. Diese Region is 25 km x 30 km groß. Kein Platz für große Beutegreifer? Sehr wohl! Und das ist nicht die Ausnahme. Wölfe, Bären und Luchse leben in allen Ländern der EU außer in Irland und bei uns. Dabei hat Österreich viel mehr Waldanteil als Deutschland und Italien, z.B.

      Natürlich gibt es Hirschfütterungen, quer durch Österreich. Es gibt viele Jäger:innen, die weiterhin behaupten, ohne Hirschfütterung könnten Hirsche gar nicht überleben. Das Argument: Hirsche würden im Winter in die Auenlandschaften wandern, und weil sie das aufgrund der Autobahnen und Zäune nicht mehr können, müsse man sie füttern. Es gibt eine große Studie in den Gailtaler Alpen, was passiert, wenn man Hirsche nicht mehr füttert. So eine Studie bräuchte es nicht, wenn es nicht überall normal wäre, Hirsche zu füttern. Übrigens: Es ist viel mehr anerkannt, dass Rehfütterungen nicht notwendig sind, weil Rehe recht kleine Reviere haben und vor Ort bleiben, während Hirsche wandern (wollen). Und trotzdem gibt es sehr viele Rehfütterungen. Nein, leider füttert die Jägerschaft weiter massiv und schadet damit den Tieren und dem Wald.

  3. Die Jagd ist nicht das Proplem sondern dieser Kapitalismus der hinter allem Steckt. Massentierhaltung, Leiharbeit, Lohndumping durch Friehandel Zollfreihandel und die Bankenderegulierung der 1980ziger Jahre von Ronald Reagan und Margret Thatcher.
    Wenn wir uns von diesem Marktradikalismus diesem Dysfunktionalem Wirtschaftsmodell verabschieden und dem Menschen das Menschliche oder besser menschlich sein zu dürfen zurückgeben und die Moderne Sklaverei Abschffen mit economy4mankind.org Umsetzen dann kann der Befreite mensch das erste mal Verantwortung Übernehmen weil er die Freiheit hat NEIN zu sagen.

  4. Ich weiß keinen Bestseller-Autor, über dessen Erfolge ich mich so gefreut habe wie über die von Peter Wohlleben. Was er und wie er schreibt, vor allem über Bäume, aber auch auch über Tiere, die Jagd, die Wirtschaft, rückt vieles zurecht, was in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaft, der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft unheilvoll betrachtet und gedacht wurde. Er vermenschlicht nicht, er zeigt die Verwandtschaft der Menschen mit allem Lebendigen. Dass so viele Menschen ihm zuhören und ihn lesen, finde ich sehr ermutigend.

  5. Ach, wäre es schön, wenn die Natur sich selber regulieren dürfte und den Jägern das Handwerk gelegt. Nach meinen Erfahrungen mit Jägern sind das Menschen, die Regeln einzuhalten einfordern, gegen die sie selber ständig verstoßen. So sehe ich immer wieder “ausgebildete” Jagdhunde, die Wild hetzen, weil die Jäger sie nicht an der Leine führen, obwohl das in Schleswig-Holstein im Wald auch für sie gilt. Und etliches mehr… Ein Hoch auf den hoffentlich baldigen Untergang der Jagd.

  6. Das freut mich sehr, dass P. Wohlleben für die Abschaffung der Jagd ist!
    Ich plädiere seit Jahren dafür, die etwa 380.000 (deutschen) Hobby-Jäger und Waffenträger komplett abzuschaffen. Sollten Eingriffe in Wildtierbestände notwendig werden, dürften das nur gut ausgebildete Wildhüter übernehmen – nachdem ein Gremium aus Tier-, Natur- und Artenschützer das beschlossen hat.
    Das Argument der Hobby-Jäger, sie kümmerten sich ja auch um Arten,- Natur- und Tierschutz, ist lachhaft. Bei praktischer Natur- oder Tierschutz-Arbeit sind Schießeisen und Schlagfallen höchst hinderlich – meist tödlich!

    1. Herr Korn, ich musste Ihre Beleidigung zensurieren, um nicht selbst geklagt werden zu können. Abgesehen davon möchte ich festhalten, dass ich Ihnen überhaupt nicht zustimme. Ich habe Herrn Wohlleben bei einer Diskussion im Servus TV über die Jagd kennengelernt, an der wir beide teilgenommen haben, und halte ihn für eine integere und sehr vernünftige Person mit viel Erfahrung in Sachen Jagd und Forstwirtschaft.

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