Der Tierschutzprozess ist zu Ende. Und man kann ihn auch als einen Kampf um ein Recht auf zivilgesellschaftliche Kampagnenführung sehen. Von Anfang an ging es schließlich darum, dass Dauerdemonstrationen, Medienaktionen, ziviler Ungehorsam und u.U. auch Homedemos einen solchen Druck auf Wirtschaftsbetriebe (und politische Parteien) ausüben würden, dass diese genötigt wären, ihre Firmenpolitik zu ändern, um tier-, umweltschutz- oder menschenfreundliche zu agieren. Das sei ein Eingriff in ihre Autonomie als UnternehmerInnen, donnerte der Staatsanwalt. Also Hausdurchsuchungen, U-Haft, Anklage und Berufung.
Die Antwort war eine eigene Kampagne für ein Kampagnenrecht. Der Organisationsparagraph 278a wurde aufgrund öffentlichen Drucks entschärft. Nun ging es um den Vorwurf der Nötigung. Das OLG Wien äußerte die Rechtsansicht, dass jede legale Kampagne, die auf eine Änderung der Firmenpolitik abzielt, eine rechtswidrige Nötigung sei, die Ausnahme bei Entsprechung der guten Sitten würde sich nur auf Ziele beziehen, auf die man sowieso ein Recht habe. Diese Ausnahme müsse also sehr eng ausgelegt werden. Die Antwort der Zivilgesellschaft waren Selbstanzeigen im noch nie dagewesenen Ausmaß. Zunächst über 3000, in einer zweiten Welle gut 700. Eine davon landete – nach einer Aktion des zivilen Ungehorsams – vor Gericht, eine andere wurde angeklagt aber nicht verhandelt. Schließlich kam es im zweiten Rechtsgang zu völligen Freisprüchen, die bereits rechtskräftig sind. Eine große Hilfe dafür waren Gutachten von Univ.-Prof. Schwaighofer und Univ.-Prof. Velten, die beide klar ein Recht auf Kampagnenführung guthießen.
Dieses Recht ist (leider) keine Selbstverständlichkeit. Nach Auskunft anderer NGOs hat man oft versucht, die Kampagnenziele nie auszusprechen und die Kampagnenintensität zu beschränken, um nicht den Gesetzen zum Opfer zu fallen. Die ältere Generation von JuristInnen in Österreich, auch wenn sie mit dem Tierschutz sympathisieren, sah durchaus einen Konflikt zwischen klassischen legalen Kampagnen und dem Strafrecht. In einer IFES-Umfrage fand sich eine 2/3-Mehrheit für ein Kampagnenrecht. Bedenklich die Äußerung der obersten Staatsanwaltschaft Österreichs, der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof, nur wenige Tage vor dem letzten Tierschutzprozess in Wr. Neustadt:
Hier wird noch am 13. Mai klar die Meinung vertreten, dass jede Art von „Drohung zur Willensbeugung“ von UnternehmerInnen mit bis zu 5 Jahren Gefängnis zu ahnden ist, selbst wenn das mittels legaler Demonstrationen geschieht und sich auf Ziele bezieht, die aktuell und mehrheitsfähig sind. Man kann nur hoffen, dass das endgültige Urteil im Tierschutzprozess diese Rechtsmeinung ein für alle Mal ad acta gelegt hat. Wir dürfen gespannt sein, was die Staatsanwaltschaft mit den ausstehenden Selbstanzeigen machen wird.
Das Streikrecht ist ähnlich gelagert, vielleicht sogar direkter und daher rechtlich problematischer, weil finanzielle Vorteile für die ArbeitnehmerInnen gefordert werden, und gleichzeitig eine viel größere Abhängigkeit der Unternehmen von ihren ArbeitnehmerInnen besteht. Beim Kampagnenrecht geht es um die versuchte Beeinflussung von potentiellen KundInnen durch objektive Information, hier haben die AktivistInnen einen wesentlich indirekteren Einfluss.
In Deutschland gibt es seit den 1950er Jahren ein verbrieftes Streikrecht, in Österreich ist es nur praktische Rechtsprechung, siehe z.B. bzgl. eines Streiks Anfang 2014 http://diepresse.com/home/wirtschaft/recht/1559761/KBAModling_Darf-man-streikende-Mitarbeiter-fristlos-entlassen. Die streikintensivste Zeit in Österreich waren die 1960er Jahre, in der sich dieses Streikrecht bei uns etabliert hat. Allerdings wurde 2003 ein Streik bei der AUA gerichtlich untersagt. Die streikärmsten Jahre waren die 1990er und 2000er, nach einem weiteren Hoch davor, siehe http://www.nachrichten.at/nachrichten/wirtschaft/Streik-OeGB;art15,84005.