Tierschutzorganisationen und –gruppen investieren den Großteil ihrer Zeit zumeist darin, die Öffentlichkeit aufzuklären und für Tierleid zu sensibilisieren. Diese Grundlagenarbeit ist die Basis für jede Änderung in der Gesellschaft. Darüber hinaus werden von vielen Organisationen konkrete konfrontative Kampagnen gegen Firmen durchgeführt, die für Tierquälerei verantwortlich sind, um sie dazu zu bringen, eine tierfreundlichere Geschäftspolitik zu praktizieren. Solche Kampagnen können sich gegen den Verkauf von Pelz richten, aber auch gegen Pelzfarmen, gegen Fluglinien, die Versuchstiere transportieren, genau so, wie gegen Pharmafirmen, die Tierversuche durchführen oder gegen Tierzirkusse, Zoos, Schlachthöfe, Tiertransportunternehmen usw. Kampagnen dieser Art gibt es viele, weltweit. In Österreich wird von Staatswegen gerade versucht, diese Kampagnen als schwere Nötigung zu kriminalisieren. Die Neuauflage des Tierschutzprozesses mit dieser Anklage beginnt Anfang 2014.
Doch zum Reformprozess gehört auch die Gesetzesänderung. Der typische Einfluss von Tierschutzorganisationen in diesem Gebiet ist durch klassisches Lobbying oder durch Eingaben. So finanzieren EU-weite Tierschutzverbände Personen, die nach Brüssel und Straßburg ziehen und dort durch direkte Gespräche oder durch das Zur-Verfügung-Stellen von Hintergrundinformationen auf den Gesetzwerdungsprozess Einfluss zu nehmen versuchen. In den USA z.B. engagiert sich die HSUS in jedem Bundesstaat bei jeder Tierschutzgesetzesinitiative, indem sie ein derartiges Lobbying durchführt und u.U. auch die Bevölkerung darüber informiert.
Herkömmlich wird dieses Feld der Einflussnahme auf die Gesetzwerdung den großen Organisationen überlassen. Das sei, so wird empfunden, nicht die Aufgabe von AktivistInnen auf der Straße. Dazu kommt eine gehörige Portion Misstrauen unter AktivistInnen gegenüber der Politik im Allgemeinen, aber zumeist auch gegenüber den großen Tierschutzorganisationen. Und tatsächlich, wer in der Politik mitmischen wird, muss sich schmutzig machen. Gegen den Pelzverkauf von Modehäusern zu sein, legt noch nicht fest, wofür man ist. Solche Kampagnen können also weitgehend idealistisch bleiben, was der Motivation teilnehmender AktivistInnen entgegen kommt. Wer für eine Gesetzesinitiative ist, muss eben für etwas sein, und das wird im Realfall fast nie idealistischen Maßstäben gerecht. Die Konsequenz ist, dass es weltweit praktisch keine konfrontativen Kampagnen für Gesetzesänderungen gibt.
Weltweit? Nicht ganz. Wir in Österreich haben diese Taktik trotz aller Widrigkeiten in den letzten 15 Jahren entwickelt. Sie besteht aus einer Kombination der seriös-wissenschaftlichen Präsentation der Alternative mit den Aktionsformen der konfrontativen Kampagne, also Permanentdemos und ziviler Ungehorsam.
Die Kampagne beginnt am Reißbrett. In einem Treffen nur weniger Personen wird diskutiert, welches Ziel realistisch wäre. Vom kleinen Kreis wird die Diskussion dazu dann in Tierschutzgruppen in alle Bundesländer getragen. Ist man sich dann einig gehen wir an die Öffentlichkeit. Wie in meinem Buch „Widerstand in der Demokratie“ beschrieben entfaltet sich jetzt eine Strategie der stetigen Eskalation. Der öffentliche Druck wird durch tägliche Demos und Aktionen am Köcheln gehalten und mit zunehmend radikaleren Aktionen des zivilen Ungehorsams in die Gesellschaft getragen. Das Ziel ist, die Politik gegen die Einflüsterung der Tierindustrielobby an den Verhandlungstisch zu zwingen. Letztlich soll der Konflikt so weit eskalieren, dass eine Kompromisslösung notwendig wird. Die Politik muss dann zwischen dem Gewicht der verschiedenen Interessen abwägen und es kommt zu einem neuen Gesetz – mit entsprechender Verwässerung, Ausnahmebestimmungen und Übergangsfristen, je nach dem wie stark sich die Kampagne entwickeln konnte.
Mir scheint dieser Prozess, der hier in Österreich im Tierschutz seit 1998 schon ein Dutzend Mal durchlaufen wurde, findet kein Pendant sonstwo in der Welt. Das dürfte an den oben angegebenen Gründen liegen. Nur im Zusammenspiel von Straßendruck von unten und Verhandlungsgeschick auf parlamentarischer Ebene ist ihm ein Erfolg beschieden. Und diese Zusammenarbeit verlangt viel, eine Kooperation von radikalem Aktivismus mit seriösem Auftreten, von Grassroots Demos und Aktionen mit dem Mainstream-Appeal und der Kompromissbereitschaft größerer Organisationen, eine Gratwanderung zwischen Idealismus und Pragmatismus.
Das Wunder einer funktionierenden Zusammenarbeit dieser Art in Österreich ist ein zartes Pflänzchen, das es zu behüten und bewahren gilt!
So einen Artikel würde ich gerne einmal in einer (Mainstream-) Zeitung lesen. Super geschrieben, danke!
Sehr schön zu lesen, interessant und informativ. Danke.