19. März 2024

Kriterienkatalog Tierversuche: Offener Brief an Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner

Sehr geehrter Herr Minister,

mit dem Erlass eines inexistenten Kriterienkatalogs im Rahmen einer Verordnung zur ethischen Schaden-Nutzen Abwägung haben Sie nun endgültig sichergestellt, dass in den nächsten Jahrzehnten keinerlei Tierschutzbedenken die völlige Narrenfreiheit für Tierversuche einschränken wird. Sie haben damit alle Versprechen Ihres Vorgängers im Jahr 2012 und sämtliche wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Kriterienkatalog in den letzten 3 Jahren mit einer Handbewegung verworfen. 4 Jahre lang Entwicklungsarbeit an dieser Idee sind nun von Ihnen völlig vernichtet worden. Sie haben beschlossen, auf die LobbyistInnen der Tierversuchsindustrie aus den Universitäten und den Pharmamultis zu hören. Tierschutz ist ja nur die Spinnerei einer idealistischen Bewegung ohne finanzieller Power, die kann man leicht ignorieren.

Und wo bleibt Ihr Mitgefühl mit den Versuchstieren? Und wo bleibt Ihr Verantwortungsgefühl als gewählter Volksvertreter? Sie wissen ganz genau, dass die große Mehrheit der Menschen die heutige Tierversuchspraxis rundheraus ablehnt, dass man sich ein strenges Gesetz wünscht, dass man grundsätzlich keine Tierversuche an Hunden, Katzen und Primaten will und dass die Alternativen gefördert werden sollten. Die Praxis ist das Gegenteil. Ihre Verordnung erlaubt nicht nur jeden Tierversuch, egal wie unwichtig, irrelevant und nutzlos er ist. Ihre Verordnung unterscheidet auch nicht zwischen Tierarten. Und Ihre Förderungspolitik hat das letzte Forschungslabor für Alternativen zu Tierversuchen in Österreich finanziell ausgetrocknet. Sie haben als gewählter Vertreter des Volkes in dieser Frage völlig versagt.

Erzählen Sie mir bitte nicht, es handelt sich bei Ihrer Verordnung um irgendeine Art von Kompromiss. Einseitiger kann man gar nicht entscheiden. Ehrlicher wäre, dieses Verordnungspapier aus dem Fenster zu werfen und gleich öffentlich zu verkünden, dass Tierversuche grundsätzlich genehmigt werden. Aber Ehrlichkeit ist im Tierversuchsbereich das allerletzte, was von Seiten der Politik gewünscht wird. In keinem Metier wird mehr gelogen, getäuscht, verheimlicht und vertuscht. Erklären Sie mir doch bitte,

  • Warum werden sämtliche Tierversuche nicht verpflichtend veröffentlicht? Ihre nichttechnischen Projektzusammenfassungen sind ein einziger Scherz!
  • Warum dürfen die Tierschutzombudsschaften nicht auch eine Oberkontrolle für die Genehmigungen von Tierversuchen durchführen?
  • Warum gibt es österreichweit keine verpflichtend vorgeschriebenen, unabhängigen Kontrollkommissionen für alle Tierversuchsanträge, wie in jedem anderen zivilisierten Land üblich?
  • Warum musste diese schöne Idee eines Kriterienkatalogs, dieses letzten Strohhalms einer halbwegs sinnvollen Kontrolle, so vollständig vernichtet werden?
  • Warum wird jede öffentliche Diskussion über Tierversuche und ihre Kontrollen ständig abgewürgt? Warum dürfen die Ergebnisse des wissenschaftlichen Projekts vom Messerli-Institut nicht veröffentlicht werden? Warum zwang Ihr Ministerium die Vortragenden zum Kriterienkatalog auf der Konferenz in Linz im Sommer 2015 zur Absage?

Als wir Anfang 2012 auf breiter Basis unter Einbindung zahlreicher ExpertInnen auch aus dem Tierversuchsbereich über die Reformmöglichkeiten im Tierversuchsrecht diskutierten, eröffnete mir ein Mann, der seit Jahrzehnten Tierversuche durchführt, dass er mir gleich sagen könne, dass alle unsere Bemühungen sinnlos sein werden. Im für ihn schlimmsten Fall werde das Antragsformular auf Genehmigung seiner Tierversuche etwas länger ausfallen, aber es würde uns niemals gelingen, den Genehmigungsprozess zu erschweren oder gar gewisse Versuchsreihen zu unterbinden. Der Genehmigungsantrag, so seine Aussage, ist und bleibt nur ein Formalakt. Und das weiß jeder Mensch, der in Österreich Tierversuche durchführt.

Leider hat sich diese so überheblich wirkende Aussage zu 100 % als wahr herausgestellt. Solange wir keine PolitikerInnen mit Rückgrat haben, die auf die Meinung der Bevölkerung hören und das Mitgefühl mit Tieren gegenüber dem Profit- und Prestigestreben von Pharmaindustrie und Universitäten nicht wenigstens in die Waagschale werfen, wird sich das nicht ändern.

Während den Workshops zur Entwicklung eines Kriterienkatalogs, die vom Messerli Institut organisiert wurden, und von denen wir heute wissen, dass sie von Ihrem Ministerium nur als lächerlicher Mumpitz gesehen wurden, ergriff mich bereits eine gewisse Ahnung. Der spannende Katalog vom Juni 2014, der nur noch evaluiert hätte werden sollen, wurde plötzlich von Bütteln aus Ihrem Ministerium vollkommen zerlegt. Insbesondere Ihr Beamter Daniel Weselka tat sich dabei in seinen Bemerkungen als besonders destruktiv hervor. Auf seinem Mist ist diese unsinnige Verordnung erwachsen, er hat diese Lächerlichkeit produziert, die sich jetzt „Kriterienkatalog“ nennt, aber absolut nichts mit einem Kriterienkatalog zu tun hat. Ihre Schuld, Herr Minister, ist es, solche Typen gewähren zu lassen.

Diese Verordnung ist eine Kriegserklärung an alle tierschutzinteressierten Menschen Österreichs. Und, glauben Sie mir, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wir werden mobilisieren. Und wir werden keine Ruhe geben, bis diese Verordnung zurückgezogen und durch einen sinnvollen Katalog ersetzt ist. Unter solchen Bedingungen bin ich zu keinerlei konstruktiven Gesprächen mehr bereit.

Sie werden von uns hören,

Martin Balluch

Ein Gedanke zu “Kriterienkatalog Tierversuche: Offener Brief an Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner

  1. Da wurde offenbar zu keinem Zeitpunkt daran gedacht auch nur irgend etwas am Schicksal der Versuchstiere zu verbessern. Von Anbeginn eine reine Hinhaltetaktik. Falls der Herr Minister überhaupt dazu in der Lage ist, dann sollte er sich zutiefst schämen.
    Ja, und das ist auch der Grund warum vor allem Spitzenpolitiker so “beliebt” sind: sie halten die Bevölkerung jahrelang zum Narren, legen sich mit Lobbyisten ins Bett, nützen ihr Amt vor allem um sich weitläufig zu vernetzen und das alles damit sie sich dann eine gute Ausgangslage für die Karriere danach schaffen.
    Bin schon gespannt wo Minister Mitterlehner nach seiner Amtszeit unterkommt …

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