Am 18. April 2013 trafen sich die Bezirkshauptleute, die nö Umweltanwaltschaft, die GrundbesitzerInnen und die JägerInnen in Zweiersdorf an der Hohen Wand, um über das Schicksal der dortigen Steinböcke zu entscheiden. Diese waren vor mehr als 10 Jahren aus einem Gehege entkommen und sollten nun getötet werden. Die Vorgeschichte habe ich bereits skizziert, siehe
https://martinballuch.com/?p=1495
https://martinballuch.com/?p=1331
Zwar war bisher niemand vom Tierschutz in diese Verhandlungen einbezogen, doch wir hatten von dem Termin erfahren und gingen kurzerhand einfach hin. Dort wollten wir unseren Vorschlag eines Umsiedlungsprojekts präsentieren, sollte die Präsenz der Steinböcke auf der Hohen Wand tatsächlich ein unumgängliches Problem darstellen.
Beim Steinbockgipfel präsentierten zwei Gutachter der nö Umweltanwaltschaft die Resultate ihrer Forschungen vor Ort. Andreas Traxler vom Technischen Büro für Biologie und Ökologie betreibt seit 2008 ein „Steinwildmonitoring“ an der Hohen Wand. Es handle sich um einen Teil eines Natura 2000 Gebiets mit 292 Pflanzenarten, die in 63 Aufnahmeflächen von je 4×4 m gefunden worden seien. Die große Zahl von Steinböcken und Gemsen, die alle an der Hohen Wand nicht wirklich heimisch wären, habe einerseits durch Verbiss und andererseits durch eine hohe Kotbelastung die Natur schwer geschädigt. Manche Arten würden vom Verbiss oder sogar vom Kot profitieren, aber in einem abgezäunten Testbereich hätten sich nach 3 Jahren wesentlich mehr Pflanzenarten gezeigt. Allerdings sei eine geringe Population von Paarhufern für die Trockenrasen von Vorteil, ansonsten käme es innerhalb von 20 Jahren zur vollständigen Verwaldung aller Flächen. Traxler empfahl den Abschuss von mindestens 75% aller Gemsen und Steinböcke.
Anschließend sprach Martin Forstner als zweiter Gutachter. Er habe eine Zählung durchgeführt und dabei an 5 Stellen mittels Fotofallen über 23 Tage hinweg mehr als 2000 Bilder aufgenommen und die Tiere einzeln identifiziert. Es gebe also 60-70 Steinböcke und 50 Gemsen auf der Hohen Wand. Vor mehr als 100 Jahren seien die Steinböcke in Österreich ausgerottet worden, in Salzburg habe das sogar der Erzbischof beschlossen. Ab 1924 habe man mit einer Wiedereinbürgerung begonnen. Die Gemsen seien in den 1930er Jahren auf die Hohe Wand zugewandert.
Forstner kritisierte dann die Jagdpraxis an der Hohen Wand scharf. Erstens gebe es zahlreiche große Jagdgatter, die die zugängliche Region für die Wildtiere zerschneiden und teilweise unbrauchbar machen. Es würden sich auch ständig Vögel an den Zäunen verletzen. Abgesehen davon sei es fragwürdig, fremde Arten wie den Himalaya Dag dort für die Jagd zu halten, es käme auch zu Aussprüngen, die die Fauna verfälschen. Die Steinböcke stammen ja ebenfalls aus einer Tierhaltung vor Ort. Aber zweitens würde sich die Jagd vor allem dadurch sehr negativ auswirken, dass es sehr viele sogar ganzjährige Fütterungen und Salzlecken gebe. Diese seien zwar nur für die jagdbaren Rehe und Hirsche gedacht, aber auf zahlreichen Nachtaufnahmen von Fotofallen war zu sehen, dass sich die Steinböcke, Gemsen und sogar Wildschweine an den Futterstellen mästen. Natürlich komme es dadurch zu einer erhöhten Vermehrungsrate, die also nur künstlich herbeigeführt wird. Im Auwald mit der höchsten natürlichen Paarhuferdichte aller österreichischen Naturlandschaften gebe es 20-25 Tiere pro Hektar, an der Hohen Wand mittlerweile 73-87 Tiere pro Hektar aufgrund der Fütterungen.
Forstner forderte also für die Jagd:
- Die Jagdgatter müssten entfernt werden
- Fütterungsverbot zumindest innerhalb von 250 m oberhalb und unterhalb der Hohen Wand
- Eine nachhaltige Jagdpraxis
- Der Lebensraum müsse erhalten werden
Eine Reduktion der Steinbock- und Gemsenpopulation um 75% würde zwar der Natur gut tun, aber dabei bliebe keine genetisch vitale Gruppe übrig. Für besser hielt Forstner die von uns propagierte Option der Umsiedlung aller Steinböcke (zumindest aller weiblichen Tiere, einige männliche könnten bleiben), sodass dann die Gemsenpopulation in der bisherigen Form erhalten bliebe.
An dieser Stelle boten wir unsere Hilfe an. Es gibt bereits einen Grundbesitzer, der den Fang der Tiere mit Kastenfallen erlauben würde. Auch hat sich ein Gebiet in den Hohen Tauern in Salzburg gefunden, das die Steinböcke aufnehmen würde, da dort seit der Ausrottung keines dieser Tiere mehr heimisch ist. Vom Standpunkt des VGT aus könnte man das Projekt also sofort angehen, wenn es die Schneelage in den Salzburger Bergen zulässt. Zusätzlich legten wir 2300 Unterschriften vor, die eine gewaltfreie Lösung fordern.
Die Bezirkshauptleute und die GrundbesitzerInnen zeigten sich dieser Idee gegenüber nicht abgeneigt. Nur die anwesende Jägerschaft murrte. Argumentativ befand sie sich allerdings in einer Zwickmühle. Einerseits wollte man zwar, dass die Steinböcke einen Schaden anrichten, damit es einen Grund für ihren Abschuss gibt. Andererseits sollte dieser Schaden nicht so groß sein, dass man sie gänzlich umsiedeln müsste. Am besten wäre es vom Standpunkt jener, die auf längere Sicht hin möglichst viele Steinböcke in ihrem Jagdrevier schießen bzw. die Abschüsse gerne für € 20.000 pro kapitalem Bock und mehr verkaufen würden, die Steinbockpopulation hoch zu halten, darüber zu jammern, und den jährlichen „Überschuss“ mit Abschussgenehmigungen „abschöpfen“ zu können.
Leider gelang es der Jägerschaft offenbar in den folgenden Tagen ihren mächtigen Einfluss geltend zu machen, wie immer, hinterrücks und mangels Argumenten nicht im Rahmen einer öffentlichen Diskussion. Die Bezirkshauptleute verlauteten nur wenige Tage nach diesem eigentlich konstruktiv verlaufenen Gipfel, dass heuer ab 1. August insgesamt 30 Tiere zum Abschuss freigegeben werden würden! Es liegt an uns, dieses Massaker zu verhindern!
unglaublich, wie immer 🙁