16. November 2024

VfGH Erkenntnis zum Schweine-Vollspaltenboden

Eigentlich läuft gerade unsere Kampagne gegen den Vollspaltenboden in der Mastrinderhaltung. Doch jetzt hat uns das Thema Schweine wieder eingeholt. Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Übergangsbestimmungen für das Verbot des Schweine-Vollspaltenbodens zu lang sind. Bei dieser Abwägung sei nur das Interesse der Landwirt:innen aber nicht jene des Tierschutzes (Bemerkung: nicht das der Tiere, weil die haben nach unserer Rechtslage keine Interessen) berücksichtigt worden. Deshalb wurden sämtliche Übergangsbestimmungen aufgehoben, und zwar gültig ab 1. Juni 2025. Eine Aufwertung von Tierschutz, keine Frage, aber in Sachen Verbot des Vollspaltenbodens in der Schweinehaltung stehen wir jetzt wieder am Start.

Erinnern wir uns. Das Verbot des Vollspaltenbodens, wie es zuletzt in einem Kompromiss erzielt wurde, ist äußerst kompliziert. Ich werde versuchen das aufzudröseln. Zunächst einmal wurde es im § 18 (2a) des Tierschutzgesetzes so formuliert:

Das ist äußerst problematisch. Ein Trick der Schweinebranche. Die hat nämlich 2020 gemerkt, dass unsere Kampagne gegen den Vollspaltenboden zunehmend mehr öffentlichen Druck erzeugt. Um dem entgegen zu wirken, hat sie ein wissenschaftliches Projekt in Auftrag gegeben. Die Vorgabe: es ist ein Haltungssystem zu finden, das kein Stroh verwendet, für das der Umbau geringe Kosten verursacht und das aber kein Vollspaltenbodensystem im konventionellen Sinne ist. Sie nannten das Projekt IBeSt, kurz für Innovationen für Bestehende Schweineställe. Das Resultat war das “dänische System”, das in Dänemark seit 2015 für alle Betriebe als Mindeststandard vorgeschrieben ist. Dieses Haltungssystem sieht vor, dass auf einem Drittel der Schweinebucht nur mehr die Hälfte der Spalten vorhanden sein dürfen. Der Boden ist also immer noch überall mit Spalten versehen, also voll perforiert, aber auf einem Drittel sind nur noch 10 % des Bodens Spalten statt, wie im konventionellen Vollspaltenboden, 20 %. Zusätzlich wird den Tieren um 0,1 m² mehr Platz geboten, also etwa um 1,6 A4 Seiten. Und es muss zwei Arten von Beschäftigungsmaterial statt, wie bisher, nur eine Art geben, und die Mindestbuchtengröße ist 20 m². Mit anderen Worten: es handelt sich um einen verbesserten “Vollspaltenboden Neu”. Verkauft wurde das als Vollspaltenbodenverbot. Der Witz: diese neue Bucht soll der gesetzlichen Voraussetzung § 18 (2a) Tierschutzgesetz genügen, weil das Drittel an Bodenfläche mit der Hälfte der Spalten als Liegebereich definiert wird. Somit hätte diese Bucht “Struktur” und “Funktionsbereiche”.

Hier ein Foto davon:

Man muss schon genau hinsehen, um einen Unterschied zur konventionellen Vollspaltenbodenbucht zu erkennen. Aber tatsächlich: im Hintergrund sieht man, dass die Bodenfläche nur die Hälfte der Spalten hat. Für die Schweine ändert sich aber nichts Relevantes.

Diesen Trick der Tierindustrie kennen wir schon von unserer Kampagne für ein Legebatterieverbot. Da wurde plötzlich der “ausgestaltete Käfig” aus dem Ärmel gezogen. Großartig als “Legebatterieverbot” bezeichnet, hatte dieser verbesserte Käfig etwas mehr Platz, und enthielt eine Sitzstange, einen Plastikvorhang (als Nest) und eine Fußabstreifmatte. Wir konnten diese Legebatterieversion letztlich verhindern, wenn auch 12 Betriebe mit ca. 200.000 Hühnern ab 2005 bis 2020 diese Käfige nutzen durften. In der EU wurde der ausgestaltete Käfig ab 2012 zum Mindeststandard. Bis heute sind 50 % aller Legehennen der EU in solchen Käfigen.

Zurück zum Schweine-Vollspaltenboden und seinem verbesserten “Vollspaltenboden NEU”. Im Rahmen unserer Kampagne bestanden wir auf einem Ende dieser Zwischenlösung und das wurde letztlich Mitte 2022 gesetzlich festgehalten. Der konkrete Gesetzestext findet sich in § 44 Absätzen (29) bis (32):

Anschaulich übersetzt steht da:

(29) Der Vollspaltenboden NEU gilt für alle Neu- und Umbauten ab 1. Jänner 2023 als Mindeststandard. Für alle anderen gilt er ab 1.1.2040.

(30) Ab 2028 muss die Regierung einen neuen Mindeststandard festlegen, der routinemäßiges Schwanzkupieren (eine Notwendigkeit beim Vollspaltenboden) und einen physisch angenehmen Liegebereich (wir denken an Stroh) umfasst und der ab 1.1.2040 für alle Schweinebetriebe gilt.

(31) Alle Betriebe, die einen Vollspaltenboden NEU eingebaut haben, dürfen diesen noch 23 Jahre ab Erstinbetriebnahme weiterführen.

(32) Ab dem die Regierung einen neuen Mindeststandard festgelegt hat, gilt dieser sofort für alle Neu- und Umbauten.

Das war zwar ein seltsam unbestimmtes, aber in unseren Augen ein echtes Verbot des Vollspaltenbodens, weshalb wir unsere Kampagne beendeten. Und dann trat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Aktion, angerufen von Hans-Peter Doskozil und seiner Burgenländischen Landesregierung. Dankenswerter Weise hat er sich schon 2020 von uns überzeugen lassen, an den VfGH einen Normenprüfungsantrag zu stellen. Zu prüfen war, ob der Vollspaltenboden den Grundsätzen des Tierschutzgesetzes und der Staatszielbestimmung Tierschutz widerspricht, und ob die Übergangsfrist nicht zu lange ist. Leider befand der VfGH, dass ersterer Antrag nicht alle dazu gehörigen Paragraphen umfasste und lehnte ihn daher aus formalen Gründen als unzulässig ab. Der VfGH hat also nicht inhaltlich entschieden, ob der Vollspaltenboden verfassungswidrig ist. Aber er hat die lange Übergangsfrist als verfassungswidrig aufgehoben. Die essenziellen Passagen eines sehr langen Erkenntnisses lesen sich so:

Der VfGH sagt also, dass die lange Übergangsfrist nur die Interessen der Landwirt:innen an Investitionsschutz, aber nicht die Interessen des Tierschutzes berücksichtigt. Deshalb ist eine so lange Frist verfassungswidrig, weil das öffentliche Interesse an Tierschutz in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Der VfGH stellt aber nicht fest, dass der Vollspaltenboden selbst verfassungswidrig sei, sondern lehnt die Behandlung dieser Frage wegen Formalfehlern im Antrag ab. Er sagt nur, weil die Bundesregierung den konventionellen Vollspaltenboden laut § 18 (2a) Tierschutzgesetz aus Tierschutzgründen verbietet, muss dieses Verbot im Interesse des Tierschutzes sein. Und die Übergangsfrist dafür, bis alle Betriebe dieser Vorgabe zu genügen haben, muss daher auch das Interesse des Tierschutzes gleich wie das Interesse der Landwirt:innen berücksichtigen. Der VfGH wertet also den Tierschutz auf.

Wie im letzten Absatz aber ersichtlich, hat der VfGH zugleich sämtliche Bestimmungen, die über § 18 (2a) Tierschutzgesetz hinausgehen, als untrennbar mit der Übergangsfrist verbunden, mit aufgehoben (ab 1. Juni 2025). D.h. wir haben nur mehr die Bestimmung, dass der Mindeststandard in der Schweinehaltung der Vollspaltenboden NEU ist, also kein Verbot des Vollspaltenbodens mehr. Diese Bestimmung tritt aber für alle Schweinebetriebe verpflichtend am 1. Juni 2025 in Kraft, wenn bis dahin die beanstandeten Regelungen nicht repariert wurden. Das deshalb, weil es dann keine Übergangsfrist mehr gibt. In gewissem Sinn stehen wir aber wieder am Start. Und zwar deshalb, weil keine gesetzliche Verpflichtung der Regierung mehr existiert, einen neuen Mindeststandard festzulegen, und auch kein Ablaufdatum des Vollspaltenbodens NEU festgelegt ist.

Da uns spätestens im Herbst eine Neuwahl des Parlaments ins Haus steht, und da neue Regierungen sich typischer Weise erst nach Monaten bilden und dann eine Zeit brauchen, sich zurecht zu finden, läuft uns die Zeit davon. Es ist entsprechend notwendig, dass die Regierung in den nächsten Wochen oder Monaten gesetzliche Regelungen beschließt, und zwar jedenfalls für eine neue Übergangsfrist. Bedenkt man aber, dass diese ja deutlich kürzer ausfallen muss, dann kann man auch nicht bis 2028 warten, wie ursprünglich vorgesehen, bis die Regierung einen neuen Mindeststandard festlegt. Das würde ja bedeuten, dass die Schweinebetriebe erst wenige Jahre, bevor sie alle umgestellt haben müssen, erfahren, was der neue Mindeststandard ist. Deshalb muss dieser neue Mindeststandard ebenfalls jetzt bereits beschlossen werden. Und er muss den beiden Vorgaben entsprechen, dass das routinemäßige Schwanzkupieren nicht mehr notwendig ist, und dass alle Schweine Zugang zu einem physisch angenehmen Liegebereich haben. Das sollte auch den Vollspaltenboden NEU ausschließen.

Selbst wenn die Legislaturperiode voll ausgereizt wird, ist Anfang Juli der letzte Plenartag im Parlament. Davor brauchts einen Beschluss für das neue Gesetz in einem Ausschuss des Parlaments, und dazwischen muss es die 5 wöchige Begutachtungsfrist geben. Wir haben also bei bestem Willen nur mehr 3 Monate Zeit, bis die Regierung das neue Gesetz ausverhandelt haben muss. Die Verhandlungen aber, so hört man, laufen bereits.

Ein Gedanke zu “VfGH Erkenntnis zum Schweine-Vollspaltenboden

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