17. November 2024

Warum Verbesserungen des Tierschutzgesetzes so wichtig sind

Immer wieder wird das Argument vorgebracht, Kampagnen zur Änderung von Tierschutzgesetzen seien sinnlos, ja kontraproduktiv, man müsse nur die Einstellung der Menschen ändern und alles wäre paletti. Ich habe dazu einen detaillierten Artikel geschrieben:

http://www.vegan.at/warumvegan/tierrechte/abschaffung_vs_reform.html

Bei der Kampagne gegen Legebatterien haben wir eine IFES-Umfrage machen lassen, die ergab, dass 86% der Menschen ein Legebatterieverbot wünschten, aber 80% der gekauften Eier aus Legebatterien stammten. Die Menschen haben also anders gehandelt, als ihrer Einstellung entsprochen hätte. Das Problem war also nicht die Änderung der Einstellung der Menschen, sondern die Änderung ihres Verhaltens. Die Menschen dachten sich, dass sie zwar bereit sind, für teurere Eier aus Alternativhaltung mehr zu bezahlen, aber nur, wenn allen diese Mehrkosten aufgebürdet würden. Sie alleine wollten nicht mehr bezahlen, insbesondere weil sich dadurch ja überhaupt keine merkbare Änderung ergeben hätte. Sie wollten also nicht „die Dummen“ sein, die mehr für Eier aus besserer Haltung bezahlen, wenn sich dadurch nichts an der Lage der Legehühner ändern würde. Nach dem Verbot listeten die Supermärkte die Käfigeier aus ihrem Sortiment aus, es gab nur noch Eier aus Boden- oder Freilandhaltung, die wesentlich teurer waren. Dennoch griffen jetzt alle Menschen nach diesen Eiern. Wir beobachten also, ganz abstrakt gesprochen: eine Einstellungsänderung alleine ändert noch nicht das Verhalten der Menschen, eine Systemänderung (z.B. Gesetzesänderung) auf Basis dieser Einstellungsänderung aber schon.

Dieses Faktum kann ich auch an mir beobachten. Ich bin gegen Kinderarbeit für billige T-Shirts aus Asien. Trotzdem kaufe ich diese T-Shirts. Ich wäre sofort für ein Gesetz, das die Einfuhr dieser T-Shirts verbietet und ich wäre gerne bereit, mehr für T-Shirts zu bezahlen, aber ich bin nicht bereit als einziger mehr zu bezahlen, ohne eine Änderung zu bemerken. Ich will ja nicht „ein reines Gewissen“ haben, also selbst nichts zur Kinderarbeit beitragen, auch wenn diese ungebrochen weitergeht. Ich will, dass die Kinderarbeit endet. Und ein Boykott dieser T-Shirts meinerseits scheint die Kinderarbeit nicht zu beenden. Also habe ich nicht genügend Motivation, mir einen solchen Boykott anzutun.

Dasselbe gilt auch für das Autofahren zum Beispiel. Ich bin für öffentlichen Verkehr und gegen Autos, ich wäre bereit dafür mehr zu bezahlen, wenn ich mit dem öffentlichen Verkehr und dem Fahrrad alle meine Fahrten gleich effizient absolvieren könnte. Trotzdem fahre ich mit dem Auto, und zwar dauernd. Ja, ich radle auch und ich nutze öfters den öffentlichen Verkehr, aber ich setze mich dabei nicht unter Druck. Ist das Auto leicht zur Hand fahre ich damit. Wieder die gleiche Begründung: Ich habe das Gefühl, ein Boykott nur durch mich wäre mühsam aber global gesehen völlig sinnlos. Also tue ich mir das nicht an. Ich wäre nur dazu bereit, wenn das alle gleichzeitig machen würden, dann wäre der Aufwand sinnvoll. So aber mache ich gar nichts dafür.

Man könnte die Liste beliebig fortsetzen, mit fair trade, Bioprodukten, Einkauf bei multinationalen Konzernen, Erdöl usw. Mir fehlt dabei nicht die Information. Noch so viele Infostände und Flugblätter würden dazu meine Meinung nicht ändern, weil ich eh schon gegen Autos und Kinderarbeit bin etc. Die Einstellung ist bereits verändert, das Verhalten nicht. Und zur Verhaltensänderung brauche ich eine Systemänderung und nicht mehr Information.

Infostände zu Veganismus und Tierleid sind also wichtig, haben aber ihre Grenze in der Wirkung auf das Verhalten der Menschen. Ich persönlich lebe seit langem strikt vegan, weil das Schicksal der Tiere aus verschiedenen Gründen für mich eine sehr hohe Priorität hat. Andere Dinge haben eine niedrigere Priorität und deshalb nehme ich dafür weniger Mühen auf mich. Bei vielen Menschen ist es andersherum, und das kann ich ihnen nicht vorwerfen. Deshalb bemühen sich vielleicht manche ohne Auto zu leben, greifen aber weiterhin zu Massentierhaltungsprodukten, obwohl sie in der Einstellung all das ablehnen. Für diese Menschen bringt mehr Information über Veganismus überhaupt keine Änderung. Ja, ich habe schon sehr oft erlebt, dass Menschen, die im Tierschutz aktiv sind, vegan werden, und kaum leben sie in anderen sozialen Kreisen hören sie damit wieder auf. Sie haben nicht ihre Meinung geändert, es hat sich nur ihre Priorität verschoben, weshalb ihnen die Mühen des veganen Lebens ohne erkennbare globale Änderung zu viel wurden.

Daher ist die Arbeit an Systemänderungen mittels konfrontativer Kampagnen so wichtig. Systemänderungen kommen aber nur Schritt für Schritt, oft in wahnsinnig langsamem Tempo. Nichtsdestotrotz passiert letztlich gar nichts, wenn wir nicht direkt ins System eingreifen. Die Tierindustrie, wage ich zu prognostizieren, wird letztlich nicht durch individuellen Boykott sondern durch schrittweise Änderungen der Gesetzeslage gekippt werden.

3 Gedanken zu “Warum Verbesserungen des Tierschutzgesetzes so wichtig sind

  1. Klar stimme ich Dir zu, dass man der Trägheit des Individuums nur dadurch beikommen kann, indem man die Realität dem Ideal weitestgehend anpaßt – spricht beim Tierschutz beispielsweise versucht, die Gesetzeslage zu verbessern.

    Aber das ist nur eins von zwei Gleisen, die gleichzeitig zu benutzen snd, um tatsächlich Veränderungen zu bewirken. Denn wenn ich Tierleid verhinden will und für bessere Gesetze kämpfe, werde ich unglaubwürdig, wenn ich gleichzeitig in der Mensa Schnitzel esse, weil das Tier ja ohnehin schon tot ist und ich als Einzelne/r ja eh nichts ändern kann …

    Wenn ich hingegen konsequent vegan/vegetarisch lebe und anderen auf die Weise zeige, dass es weder unmöglich noch uncool ist, bewirke ich tatsächlich Veränderung.

    Ganz davon zu schweigen, dass mir das Schnitzel schwer im Magen und auf dem Gewissen liegen würde.

    Ebenso geht es mit dem T-Shirt aus Biobaumwolle, dem Fair Trade Kaffee etc. … auf all diesen Gebieten hat sich in den letzten Jahres viel und wunderbares getan, wovon wir vor zwei, drei Jahrzehnten, als sich die ersten unförmigen Latzhosen auf die Straße wagten, noch nicht mal zu träumen gewagt hätten.

    Zu dem T-Shirt aus Kinderarbeit gibt es durchaus Alternativen. Echt schöne sogar. (Zu SIlvesterraketen und Wunderkerzen aus Kinderarbeit leider anscheinend nicht, wie ich heute mit Schaudern und schlechtem Gewissen in der TAZ las).

    Die von DIr verlangte Systemänderung kann nicht nur von oben kommen – “erst wenn es keine Käfigeier mehr gibt, kauf ich die teuren Bioeier” – sondern muss parallel auch durch geändertes Kaufverhalten bewirkt werden. Schließlich brauchen wir Altrenativen, wenn wir auf Schnitzel, Auto und Kinderarbeit verzichten wollen. Die gibt es, und die wollen unterstützt werden: Fair trade statt Jacobs Kaffee, Living Craft und MIsericordia statt C&A, Lush statt Schlecker & Co., Bourgeois Boheme statt Prada Shoes … und rauf aufs Fahrrad. Der ADFC kennt übrigens sogar fahrradgeeignete Hundeleinen …

  2. Eine wunderbar verständliche und plausible Erklärung für die Zusammenhänge in unserem Gesellschaftssystem. Faszinierend logisch, wenn sie einem einmal bewusst geworden sind. Da wird mir auch gleich klar wie sich meine eigenen Prioritäten in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr verschoben und verfestigt haben.

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