In der umzusetzenden EU-Richtlinie steht es eindeutig: um eine öffentliche Kontrolle der Tierversuche zu ermöglichen, ist eine eigene Webseite vom Wissenschaftsministerium einzurichten, auf der jeder einzelne Tierversuch veröffentlicht wird. Wissenschaftsminister Töchterle versprach im Interview mit mir, siehe https://martinballuch.com/?p=1753, um Minute 1:50, dass die Veröffentlichung eine öffentliche Kontrolle ermöglichen werde, weil das ja der Sinn der Veröffentlichung ist. „Wenn sie nichtssagend ist, wenn niemand was davon hat, dann wäre es eine reine, mühselige Pflichtübung“, so der Minister.
In der Regierungsvorlage liest sich das so. Veröffentlicht muss nach §31 (2) für jeden Tierversuch auf einer eigenen Webseite werden:
- Informationen über die Projektziele, einschließlich des zu erwartenden Schadens und Nutzens sowie der Zahl und Art der zu verwendenden Tiere,
- den Nachweis über die Erfüllung der Anforderungen von Vermeidung, Verminderung und Verbesserung sowie
- den Hinweis, ob ein Projekt einer rückblickenden Bewertung (§ 30) unterliegt und innerhalb welcher Frist diese vorgenommen wird.
Was das heißt wird in den (dazu sehr spärlichen) Erläuterungen erklärt. Dort steht auf Seite 12
In den [Veröffentlichungen …] darf die Zuordnung [des Schweregrads des Tierleids] nicht angeführt werden.
Weil in der EU-Richtlinie nicht explizit der Schweregrad des Leids der Tiere als zu veröffentlichende Information angegeben ist, liest der Gesetzgeber „im Umkehrschluss“ aus der Richtlinie heraus, dass man diesen Schweregrad gar nicht anführen darf! Also nicht nur, dass der Versuchsablauf nicht veröffentlicht wird, über das Leid der betroffenen Tiere darf nichts gesagt werden! Ich habe mich umgehend an den Wissenschaftsminister gewand:
§31 (2) gibt an, welche Informationen die zu veröffentlichenden nichttechnischen Projektzusammenfassungen enthalten müssen. Dazu gehören die Projektziele, der zu erwartende Schaden und Nutzen sowie die Anzahl und Art der verwendeten Tiere. Gleichzeitig steht in den Erläuterungen Seite 12, dass der Schweregrad des Leids der Tiere nicht in den nichttechnischen Projektzusammenfassungen erwähnt werden darf.
Da Sie ja diese Regierungsvorlage ausgearbeitet haben, dürfte ich Sie fragen, was mit “Schaden” des Tierversuchs gemeint ist, wenn nicht der Schweregrad des Leids der Tiere? Gibt es noch einen anderen Schaden, der mir gerade nicht auffällt? Geht es da um die Kosten des Tierversuchs oder was könnte ein Schaden sein, wenn nicht das Leid der Tiere? Und wenn ich gesetzlich gezwungen werde, über das Leid der Tiere Auskunft zu geben, wie kann ich da gleichzeitig verpflichtet werden, über den Schweregrad dieses Leids nichts zu sagen? Kann man über ein Leid sinnvoll Auskunft geben, ohne zu sagen, wie groß es ist?
Leider habe ich bisher vom Ministerium keine Antwort erhalten.
Die EU-Richtlinie schreibt auch vor, dass die rückblickende Bewertung eines Tierversuchs, so sie denn durchgeführt wird, zu veröffentlichen ist. Auch hier hält sich die Regierungsvorlage an die Mindestanforderungen der EU: nur Tierversuche mit Primaten und solche, die schweres Leid verursachen, sind zwingend rückblickend zu bewerten. Die Regierungsvorlage verbietet aber die rückblickende Bewertung von Tierversuchen, die geringes Leid verursachen oder an terminal betäubten Tieren stattfinden. Für Tierversuche mit mittlerem Tierleid obliegt es einem Beamten im Ministerium, ob es zu einer rückblickenden Bewertung kommt.
Die Angabe des Schweregrad des Leids wird vom Antragsteller des Tierversuchs in seinem Antrag in Eigenregie eingeschätzt. Wäre da eine rückblickende Bewertung nicht zwingend nötig, um nach dem Tierversuch diese Einschätzung zu überprüfen? Und beweist nicht die Vorgabe der Veröffentlichung rückblickender Bewertungen, dass die EU-Kommission natürlich schon wollte, dass auch der Schweregrad des Leids veröffentlicht wird, da dieser ja in der rückblickenden Bewertung eine zentrale Position hat?
Auch daran erkennt man wieder, wie von Seiten der ÖVP-Behörden – ob Landwirtschafts- oder Wissenschaftsministerium, ob zu Nutztieren oder Versuchstieren – immer mit aller Macht und vorsätzlicher Bösartigkeit gegen die Tiere entschieden wird. Vorgaben der EU werden verdreht und möglichst negativ für die Tiere ausgelegt, Gesetze zum Schutz der Tiere immer am absoluten Minimum angesiedelt – außer der öffentliche Druck ist zu groß –, Übergangsfristen für Tierschutzmaßnahmen zum St. Nimmerleinstag ausgedehnt (3 Jahre für die Erstellung eines Fragenkatalogs!, 21 Jahre für die Abschaffung des Kastenstands) und bereits bestehende Verbote in eigenen Verordnungen untergraben und ins Gegenteil verkehrt. Ich frage mich wirklich, wie sich diese Menschen in der Früh im Spiegel ins Gesicht schauen können!
PS: ein spannender Leserkommentar zu diesem Thema erschien gerade im Online-Standard http://derstandard.at/1350261401883/Staatsgeheimnis-Tierversuche#forumstart
Sehr interessant! Vielen Dank für diesen Artikel.