28. März 2024

Die Psychologie der Ausgrenzung

Wie das sprichwörtliche Amen im Gebet gab es im Umfeld unserer bisher 6 österreichischen Tierrechtskongresse immer aus demselben Eck das Geschrei, wen wir nicht aller ausgrenzen sollten. So auch heuer. Einmal ging es um den deutschen Verein Animal Peace, dann um PETA, die keinesfalls bei uns zugelassen sein sollten, natürlich gegen den IBT, ReformistInnen, Nicht-VeganerInnen, TierschützerInnen, AlternativmedizinerInnen, EsoterikerInnen und eine ewig lange Liste von Einzelpersonen wegen angeblicher Antisemitismen, Rassismen oder Sexismen, die diese unter irgendwelchen Bedingungen irgendwann ausgesprochen haben sollen, darunter natürlich der sogenannte KZ-Vergleich. Damit ja niemand von UL-Gläubigen bei uns Zutritt habe, wurde sogar ein Aktivist aus Deutschland als Spitzel in unser VGT-Büro geschickt, der auskundschaftete, wie man unseren Kongress am besten sabotieren und verhindern kann. Selbst den Erzbischof von Wien hat man darüber informiert, dass in einem katholischen Haus eine „gemeingefährliche Sekte“ zu Wort kommen werde. Ich musste mir dann 5 Stunden lang die Bedenken des Erzbischofs anhören.

Wir haben uns davon nie beeindrucken lassen und immer darauf bestanden, dass alle Menschen willkommen sind und völlig ohne Zensur ihre Ideen vorbringen können. Und wir sind sehr gut damit gefahren. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem irgendjemand unseren Kongress tatsächlich zu menschenrechtswidriger Propaganda missbraucht hätte. Und in Österreich gibt es weder rechtsradikale TierrechtlerInnen, noch sind solche je auf unserem Kongress erschienen. Ich fühle mich also mit unserem offenen, herrschaftsfreien Kurs der Meinungspluralität voll bestätigt. Anders sahen das manche Personen, die zwar bei uns reden durften, aber danach nichts Besseres zu tun wussten, als die OrganisatorInnen des Kongresses als RassistInnen und AntisemitInnen zu beschimpfen, weil eben gewisse Personen unzensiert zu Wort gekommen sind, die gerade zufällig bei den AusgrenzerInnen als Opfer hoch im Kurs standen, aber bei genauer Betrachtung überhaupt nichts mit Rassismus zu tun hatten.

Was treibt diese Leute also, sich so zu verhalten, fragt man sich? Ich habe nun bereits 30 Jahre Erfahrung mit diesem Ausgrenzungszirkus und konnte mir daher ein deutliches Bild machen. Einige Charakteristika sind typisch:

  • Die Ausgrenzungsforderungen enden nie. Gibt man einer Forderung nach, kommt sofort die nächste und wieder die nächste. Klar ist, dass die Ausgrenzungsforderung und die damit einhergehende Hetze selbst das Ziel ist, nicht eine etwaige Konsequenz.
  • Die Schärfe der Formulierung der Forderung richtet sich ausschließlich danach, wie schwach die eigene Position eingeschätzt wird. In Österreich momentan, wo praktisch niemand auf die AusgrenzerInnen hört, ist der Ton zuckersüß, man präsentiert sich ehrlich besorgt und verständnisvoll. Ist die Sache einmal in Schwung oder schreiben dieselben Personen vor einer Zuhörerschaft, die sie für empfänglich halten, dann wird der Ton scharf und gehässig, dann zeigen sie ihr wahres Gesicht.
  • Ausgrenzungsforderungen gehen letztlich immer Hand in Hand mit der Forderung, dass auch alle jene, die nicht mitausgrenzen, ausgegrenzt werden sollen. Dadurch entsteht ein Druck auf die schweigende Mehrheit, die sich heraushalten will, nicht einzugreifen, und der Meute wird das Feld überlassen. Letztlich bin ich als lautstarker Kritiker dieser Ausgrenzerei Feindbild Nummer Eins in diesen Kreisen.
  • Die Erfolge von Ausgrenzungsforderungen sind zahlreiche Hasspostings, Sachschäden (bei veganen UL-Shops) und physische Angriffe, sowie eine nachhaltige Rufschädigung in der Szene, die bis zur völligen psychischen Vernichtung der Opfer führen kann. Ich habe das aus der ersten Reihe miterlebt. Hubert Hirscher, einer jener Personen, deren Tod wir am Tierrechtskongress gedachten, war ein Opfer jener Hetzer, die heute zur Ausgrenzung von Helmut Kaplan aufrufen.

Nein, es geht hier gar nicht um den Schutz verletzter Gefühle, wie das bei den ersten, noch harmlos verpackten Ausgrenzungsaufrufen durchklingen mag. Im Gegenteil, Ausgrenzung erzeugt verletzte Gefühle, sie verhindert sie nicht. Tatsächlich sind die Gefühle, die sie verletzen, den AusgrenzerInnen völlig egal. Das Bewusstsein, Gefühle verletzt zu haben, bereitet ihnen sogar Lust! Es gibt in uns Rudeltieren die instinktive Veranlagung, auf soziale Außenseiter gemeinsam loszugehen. Ich sehe das beim Kuksi, wenn er mit Begeisterung zusammen mit anderen Hunden einen weiteren verbellt. Und ich sehe das bei Menschen, die auch sehr stark dazu neigen. Doch Hund wie Mensch unterliegen sozialen Regeln – und haben Spiegelneuronen – die dem entgegenwirken. Deshalb wird jede Ausrede, diesen Gefühlen freien Lauf lassen zu dürfen, so dankbar angenommen. Konstantin Wecker nannte es, mit den Augen voll Sand in die heiligen Kriege ziehen zu können. Wenn es gegen die Bösen geht, dann gibt’s kein Mitleid mehr, dann darf man sie endlich nach Lust und Laune verbellen. Auch antisemitische Pogrome bedienten sich derselben Ausrede und haben dieselben Wurzeln.

Als ich zu studieren begann, kam plötzlich die Nachricht, ein böser Nazi und Eugeniker will an der Uni sprechen: Peter Singer. Da muss man dagegen vorgehen. Völlig unreflektiert schloss ich mich der bellenden Meute an, wir stürmten mit Gewalt die Bühne, rissen Singer die Brillen vom Kopf und entfernten sein Mikrophon. Er konnte seine Rede nicht halten. Ich dachte, ich hätte damit Menschenrechte geschützt. Heute weiß ich: ich ging lediglich HetzerInnen auf den Leim, Leuten, die vorsätzlich zum Kreuzzug gegen Singer aufriefen, um eine differenzierte öffentliche Diskussion zu verhindern. Und zusammen mit der unbändigen Lust, gemeinsam auf Hilflose loszugehen, war das Pogrom schon fertig. Wie sich Singer dabei fühlte war uns völlig egal, die Spiegelneuronen waren ausgeschalten. Wir waren die Guten, er der Böse. In Wirklichkeit ist er ein Linksintellektueller mit jüdischer Abstammung, seine Eltern konnten vor den Nazis aus Wien flüchten, die restliche Familie wurde in Auschwitz ermordet. Durch unseren und ähnliche Überfälle fühlte er sich an die Nazizeit erinnert. Seine Thesen sind sorgfältig rational argumentiert und haben mit Eugenik und Rechtsradikalismus überhaupt nichts zu tun, auch wenn einige Konsequenzen als fragwürdig bezeichnet werden müssen und zurecht – sachlich – kritisiert wurden. Aufgrund von Ausgrenzungsaufrufen wurde auch Kaplan, genau wie Singer und ebenfalls mit jüdischer Verwandtschaft, am Reden gehindert.

Es ist wirklich erschreckend zu sehen, wie diese archaischen Instinkte immer wieder durchbrechen können und sich die Geschichte wiederholt. Nein, Schreiberlinge, die Einzelne angreifen und ihren Ausschluss fordern, sind nicht die Guten, als die sie sich darstellen, sie sind DenunziantInnen, siehe https://martinballuch.com/denunziation-und-aufsplitterung-in-der-tierrechtsbewegung/. Lassen wir sie gewähren, dann enden dort Menschenrechte und Meinungspluralismus. Diese Leute sind HetzerInnen und PopulistInnen, die an die Öffentlichkeit gezerrt gehören. Sie sind momentan innerhalb der Tierrechtsbewegung die größte Gefahr für Menschenrechte. Ihre Intoleranz darf nicht toleriert werden!

6 Gedanken zu “Die Psychologie der Ausgrenzung

  1. Hervorragend geschrieben, ganz grosse Klasse 😀

    Beim letzten Satz: “Ihre Intoleranz darf nicht toleriert werden!” bin ich kurz zusammen gezuckt.

    Diese und sehr ähnliche Aussagen sind sehr weit verbreitet, gerade in der veganen Szene.

    Ich toleriere alles.
    Und ignoriere nichts.

    Dieser kleine Unterschied verändert für mich alles.

    Denn Ignoranz wird von uns gefordert, wenn es heißt: Sei doch toleranter ! (Und lass mich mein Schnitzel essen) Hierbei fordern sie allerdings Ignoranz.

    Und ebenso verdreht sind wir, wenn es darum geht Intoleranz zu tolerieren.

    Was spricht gegen Toleranz ?

    Dieses Wort bedeutet Geduld.

  2. „Diese Leute sind HetzerInnen und PopulistInnen, die an die Öffentlichkeit gezerrt gehören.“

    Das klingt zunächst dramatisch, sollte m. E. aber systematisch umgesetzt werden. Denn die Lage IST dramatisch: Diese Leute zu benennen und bekanntzumachen, ist vermutlich die einzige realistische und erfolgversprechende Strategie, um der seit Jahren grassierenden Verleumdungs- und Ausgrenzungsorgie einer kleinen Gruppe von irrationalen, totalitären Polit-Hysterikern Einhalt zu gebieten. Diese Verleumdungs- und Ausgrenzungsorgie droht die Tierrechtsbewegung irreversibel zu schwächen, wenn nicht zu vernichten.

  3. Die Kritik an Kaplan und Peta aufgrund von deren Antisemitismus und Holocaust-Relativierung als “Ausgrenzung”, “Hetze” oder Gefahr für Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu bezeichnen und in dem Zusammenhang einen “Meinungspluralismus” zu fordern ist nicht nur extrem unreflektiert, sondern auch eine rhetorische Strategie, die arg nach rechts abdriftet.

  4. Also ich fasse zusammen: Weil Sie sich schon mal unreflektiert einem Mob angeschlossen haben und sich dabei als “Guter” fühlten, unterstellen Sie Ihren Gegner_innen, diese wären genauso aufgehetzt wie Sie (es mindestens einmal waren). Nicht sehr solide Argumentation. Fühlen Sie sich im Moment nicht auch als “Guter”?
    .
    Und vom journalistischen Standpunkt vollkommen indiskutabel ist an Ihrem Posting Ihre Aufzählung an “Verbrechen” Ihrer Gegner_innen, ohne einen einzigen Beleg. In Zeiten des Internets müssten sich doch Links auftreiben lassen, die Ihre Vorwürfe belegen können, oder nicht?
    .
    Ihre Vorwürfe scheinen doch zu arg zurechtfabuliert und kaum glaubwürdig. Personen, deren Meinung Sie nicht teilen sind quasi das absolute Böse und schrecken vor gar nichts zurück? Es scheint hier jemand tatsächlich in einen “Heiligen Krieg” zu ziehen…

  5. Allein in deinem letzten Absatz bestialisierst du Kritiker_innen (“archaische Instinkte”), stellst Dissens als eine Gefahr für Menschenrechte dar, forderst Menschen “an die Öffentlichkeit zu zerren”, die einen Diskurs innerhalb “der” Bewegung führen wollen, und vergleichst schließlich die Forderung, jemandem von einer Veranstaltung auszuladen, mit den Verbrechen des Faschismus (“die Geschichte [die sich] wiederholt”). Relativierung wie sie im Buche steht. Ich habe gerade einiges an Respekt vor dir verloren.

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